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Knechtschaft statt Sklaverei

»1984« von George Orwell | Foto: Thomas Hummitzsch

Gisbert Haefs verantwortet als Übersetzer und Herausgeber für die neuen Werkausgaben unter anderem von Rudyard Kipling und Jorge Luis Borges. In seiner Übertragung von George Orwells Klassiker »1984« hat er die etablierten Parteislogans in den Blick genommen, um einen eigenen Weg zu finden.

Warum lohnt sich die Lektüre von George Orwells Romanen heute noch?
Orwells Sprache ist straff und ohne zeitgenössische Floskeln, dadurch immer noch »modern«. Die Darstellung einer bis ins letzte Detail zynischen totalitären Diktatur ist heute vielleicht noch erschreckender als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, weil Phänomene wie Stalinismus und Faschismus nicht überwunden sind, sondern lediglich Namen und Formen geändert haben und durch neue technische Möglichkeiten eher noch bedrohlicher geworden sind.

George Orwell: 1984. Aus dem Englischen von Gisbert Haefs. Manesse Verlag 2021. 448 Seiten. 22,00 Euro. Hier bestellen

Was hat die Aktualität seiner Romane für Folgen für eine Neuübersetzung?
Einer der wichtigsten Aspekte von »1984« ist die Manipulation des Denkens durch Sprache, »Neusprech«; folglich habe ich versucht, gängige Formeln unserer aktuellen Varianten von manipulativem Neusprech – z.B politische Korrektheit, Gendern – zu vermeiden.

Gab es sprachliche Wendungen, für die Sie aktuellere Entsprechungen finden mussten?
Es gibt z. B. einige Formeln aus der ersten Übersetzung, die bei uns geläufig wurden: »Der Große Bruder sieht dich an« – aber das ist zu harmlos für »Big Brother is watching you« – daher: »der Große Bruder beobachtet dich«. Bei einem anderen Parteislogan, »Freedom is slavery«, habe ich länger geschwankt und mich dann für »Freiheit ist Knechtschaft« entschieden, weil unabhängig von ethischen Aspekten das Feld Sklaverei/Sklavenhaltung/Sklavenwirtschaft vor allem ökonomisch besetzt ist, wogegen es Orwell um totale politische und geistige Unterdrückung geht.

Welche Passage hat Sie beim Übersetzen mit Blick auf die Gegenwart besonders bewegt?
Der von Orwell skizzierte Weg zur totalen Gedankenkontrolle durch unausgesetzte Überwachung auch von Mimik und Gestik sowie Erfassung aller Daten einer Person – der immer weiter perfektionierte Überwachungsstaat China ist purer Orwell; was Cambridge Analytica (angeblich) zu den US-Wahlen 2016 und zum Brexit beigetragen hat, ist harmlos verglichen mit dem, was die von uns freiwillig alimentierten großen Datenkraken jederzeit tun könnten. Big Brother Zuckerberg is watching us.