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»Ein ewiges Gleichnis für das Destruktive«

Ulrich Blumenbach hat neben David Foster Wallace so manches vermeintlich »unübersetzbare Werk« ins Deutsche gebracht. Nun hat er mit George Orwells »Farm der Tiere« einen Schulklassiker neu übersetzt. Sein Text glänzt vor allem dann, wenn Orwells Vorlage ins Poetische und Rhythmische abhebt.

Ulrich, warum lohnt sich die Lektüre von George Orwells Märchen »Farm der Tiere« heute noch?
Mich fasziniert an »Animal Farm« die extreme und beim Lesen kaum auszuhaltende Spannung zwischen dem harmlosen, ja kindlichen Fabelton und der bitterbösen Satire auf die Vernichtung einer Utopie im Zuge ihrer Verwirklichung. Wenn die Schweine die sieben Gebote nach und nach in ihr Gegenteil verkehren, denken wir heute vielleicht an die unter dem Trumpeltier sprichwörtlich gewordenen fake news und alternative facts, Flexibilität im Umgang mit der Wahrheit gehört aber zur job description aller Politikerïnnen, und schon Machiavelli konstatiert im »Principe« mit dem ihm eigenen Zynismus, »dass diejenigen Fürsten Großes vollbracht haben, die auf ihr gegebenes Wort wenig Wert gelegt und sich darauf verstanden haben, mit List die Menschen zu hintergehen; und schließlich haben sie sich gegen diejenigen durchgesetzt, welche auf die Redlichkeit gebaut hatten.« Aktualität und Zeitlosigkeit kommen in diesem Fall also zur Deckung. Oder wie Eva Menasse in ihrem Nachwort zur Neuübersetzung schreibt: »Es ist eine archaische Geschichte und eine universale, eine, die sich immerzu wiederholt, von Beginn der Menschheit an. Jeder große Sieg, jeder revolutionäre Akt zerfasert schnell und meist gewaltsam im Klein-Klein konkurrierender Interessen. […] Farm der Tiere ist ein ewiges Gleichnis für das Destruktive an der menschlichen Gruppendynamik.«

Welche Folgen hat die aktuelle Relevanz von Orwells Werk für eine Neuübersetzung?
Wichtig war mir, den Märchen- oder besser Fabelton genauso konsequent durchzuhalten wie Orwell im Original. Fremdwörter dürfen beispielsweise nur dort auftauchen, wo die Tiere sie nicht verstehen. Die Doppelbödigkeit – die stilistische Entsprechung der erwähnten Spannung zwischen Fabel und Satire – ließ sich durch das unterschwellige Einstreuen kommuni­sti­scher Diskurselemente erzielen (am plakativsten im »Schandmal der Sklaverei«, das wörtlich MEW 15, S. XIII, zitiert), aber auch durch Ausdrücke wie »Vorposten­gefecht« oder »eingekesselt«, die in der Beschreibung der Schlacht an der Windmühle den Zweiten Weltkrieg und genauer den Kampf um Stalingrad assoziieren lassen.

George Orwell: Farm der Tiere. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Mit einem Nachwort von Eva Menasse. 192 Seiten. 18,00 Euro. Hier bestellen

Gab es bestimmte sprachliche Wendungen oder Begriffe, für die Du neue, aktuellere Entsprechungen finden musstest?
Die übersetzten Eigennamen der Tiere in »Animal Farm« haben sich eingebürgert, und ich habe sie in der Regel übernommen. Eine Ausnahme habe ich bei Squealer gemacht: Der heißt bei N.O. Scarpi 1946 »Quiekschnauz« und bei Michael Walter 1982 »Schwatzwutz«. Beide Ausdrücke finde ich verharmlosend. to squeal heißt ‚petzen, verpfeifen’, konnotiert im Romankontext also ‚denunzieren’. Squealer entspricht nach allgemeiner Meinung dem Stalin-Vertrauten Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow, der als Vorsitzender des Rats der Volkskommissare oberster Propagandist der Sowjetunion und treibende Kraft hinter den sogenannten ‚Säuberungen’ und Schauprozessen der dreißiger Jahre war. Ein bloßer ‚Schwätzer’ würde diesen realhistorischen Hintergrund der Fiktion verharm­losen, und deswegen habe ich ihn »Petzwutz« genannt.

Welche Passage hat Dich beim Übersetzen mit Blick auf die Gegenwart besonders bewegt?
Da heute keine Utopie mehr formuliert werden kann, weil wir diesen schönen blauen Planeten zugrunde gerichtet haben und das Ende unserer Gattung und vielleicht des irdischen Lebens überhaupt nur noch eine Frage der Zeit ist, bewegt mich »Animal Farm« nicht hinsichtlich unserer Gegenwart, sondern als Reaktion auf eine bestimmte historische Vergangenheit, nämlich das Scheitern des Spanischen Bürgerkriegs. Orwell hat in Spanien die grundstürzende (nämlich ihm den Boden seiner Überzeugungen unter den Füßen wegziehende) Erfahrung gemacht, dass parteilinientreue Genoss:innen auf anarchistische Genoss:innen schießen. Dass die Ideale der Solidarität und des Antifaschismus plötzlich nichts mehr wert waren. Für mich hallt in »Animal Farm« lautstark sein enttäuschter Glaube an die ursprüngliche Utopie des Kommunismus nach, und mich erschüttert die Passage, in der die Tiere, die die blutigen Massaker der Schweine überlebt haben, auf die Anhöhe mit Blick auf die friedlich in der Abendsonne liegende Farm hinausschleichen. Die Stute Klee entwirft noch einmal »das Bild einer Gesellschaft der Tiere […], die keinen Hunger und keine Peitsche mehr kannten, die alle gleich waren, die alle gemäß ihren Fähigkeiten arbeiteten, und wo die Starken die Schwachen beschützten«. Ein letztes Mal singt sie leise die Hymne »Tiere Englands«, und die anderen Tiere stimmen ein, »sehr melodisch, aber so langsam und schwermütig wie nie zuvor« – bis Petzwutz vorbeikommt und das Lied verbietet, wie die »Internationale« in der Sowjetunion verboten wurde.

Ulrich, vielen Dank, vor allem für deine wunderbare Übersetzung.

1 Kommentare

  1. […] ihn sprechend mit Petzer und Ulrich Blumenbach spielerischer Petzwutz. Ein bloßer Schwätzer, begründet Blumenbach seine Entscheidung, würde den realhistorischen Hintergrund – der Charakter ist nach Stalins Propaganda-Minister […]

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