Literatur, Roman

Holger Fock und Sabine Müller erhalten Paul-Celan-Preis

Der vom Deutschen Literaturfonds alljährlich vergebene, mit 20.000 Euro dotierte Paul-Celan-Preis für herausragende Übersetzungen geht in diesem Jahr an das Übersetzungstandem Holger Fock und Sabine Müller. Damit erhalten zwei verdiente Übersetzer:innen aus dem Französischen den wichtigsten deutschen Übersetzerpreis. Dass auch sie auf das Preisgeld angewiesen sind, haben sie erst kürzlich in einem Essay erklärt und damit auf ein strukturelles Problem von Übersetzenden hingewiesen.

Wie der Deutsche Literaturfonds heute mitteilte, erhalten Holger Fock und Sabine Müller den Paul-Celan-Preis für ihr übersetzerisches Gesamtwerk. Dies umfasst meisterhafte Übertragungen aus dem Französischen von ebenso bedeutenden wie preisgekrönten Autoren wie Matthias Énard (Prix Goncourt), Alain Mabanckou (Grand Prix littéraire de l’Afrique noire, Prix Renaudaut), Patrick Deville (Prix Feminina, Grand Prix de Littérature), Sylvain Tesson (Prix Renaudot), Érik Orsenna (Prix Goncourt) oder Jean Rolin (Prix Médicis). Sie erhalten den Preis aber auch für ihre »so präzise wie ästhetisch beglückende Übersetzung« des Ende 2022 erschienenen Romans »Die geheimste Erinnerung der Menschen«, für die der senegalesische Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde.

Schon der Autor war in seiner Rezension begeistert von ihrer Übersetzung. Fock und Müller »haben dieses hochliterarische Spiel vielstimmig, kraftvoll und poetisch ins Deutsche übersetzt. Sie ziehen dafür sämtliche Register, meistern die anmaßenden Töne des Pariser Kulturbetriebs Ende der dreißiger Jahre ebenso wie den lüsternen Dirty Talk unter marginalisierten Literat:innen in den Zweitausendern. Mal raunt, säuselt und flüstert ihr Text mit dem Wind der Literatur, dann wieder poltert und donnert er wortgewaltig mit der brutalen Geschichte, durch die streift. Um schließlich davon zu erzählen, was den Menschen zum Menschen und große Literatur zu großer Literatur macht.«

Nun aber lobt auch eine renommiert besetzte Jury diese Meisterleistung. In dem Roman, der mehrere Jahrhunderte und Kontinente umspannt und sich auf höchst raffinierte Weise mit Rassismus und Kolonialismus in der Welt der Literatur befasst, »offenbart sich die ganze Fülle ihres langjährig erprobten Könnens, sei es der unerschöpflich reiche Wortschatz, die Fähigkeit, endlose Satzkaskaden mit leichthändiger Eleganz im Deutschen nachzubilden oder Figuren, Schauplätze und Dialoge so lebendig zu gestalten wie das Original, aber auch das Gespür für feinste stilistische wie emotionale Nuancen und der Blick fürs Detail, sei es noch so winzig. Gerade an solchen Winzigkeiten lässt sich wahre übersetzerische Größe erkennen«, heißt es in der Begründung der Jury, die die jüngste Kollektivübersetzung von Holger Fock und Sabine Müller nachhaltig beeindruckt hat.

Mohamed Mbougar Sarr: Die geheimste Erinnerung der Menschen. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Hanser Verlag 2022. 448 Seiten. 27,- Euro. Hier bestellen. | Mohamed Mbougar Sarr: La plus secrète mémoire des hommes. Jimsaan / Philippe Rey 2021. 448 Seiten. 22,- Euro Hier bestellen.

Die Jury setzte sich wie schon im Vorjahr aus den ebenso erfahrenen wie sachkundigen Übersetzer:innen Karin Betz, Ursula Gräfe, Patricia Klobusiczky, Christiane Körner und Ulrich Sonnenberg zusammen. Holger Fock und Sabine Müller folgen Ulrich Blumenbach, der 2022 für sein Gesamtwerk sowie die Übersetzung von Joshua Cohens Roman »Witz« den Preis erhielt.

Expert:innen der Branche sind von der Entscheidung begeistert, wie eine kurze Facebook-Recherche zeigt. Marieke Heimburger, Vorsitzende des Berufsverbandes der Literaturübersetzer:innen, jubelte »Großartig!! So verdient!«, Hinrich Schmidt-Henkel, der 2004 den Paul-Celan-Preis erhielt und ebenfalls aus dem Französischen übersetzt kommentierte schlicht »Wunderbar!«.

Sabine Müller und Holger Fock sind auch als Solo-Übersetzer:innen aktiv. Von Müller erschien zuletzt die Übersetzung von Mathias Énards Kriegsroman »Der perfekte Schuss« bei Hanser, von Holger Fock die Übersetzung von Antoine Volodines Antikrimi »Einige Einzelheiten über die Seele der Fälscher« in der Edition Converso. Ende August erscheint zudem mit Alain Mabanckous Kongo-Noir »Das Geschäft der Toten« bei Liebeskind ihre neueste Gemeinschaftsübersetzung.

Im Konterbande-Magazin des Deutschen Übersetzerfons »Babelwerk« haben Müller und Fock im vergangenen Jahr ihre Arbeitsweise erklärt. »Wir teilen den Originaltext nicht auf, sondern arbeiten den gesamten Text wechselweise und häppchenweise durch, in zwei bis zehn oder zwölf Portionen. Zu Beginn steht eine Rohübersetzung, in die schon viele Recherchen einfließen. Die erste Fassung einer Portion wandert dann zur/m anderen und wird von ihr/m überarbeitet, und vice versa. Nach der dritten Fassung folgt die vierte, es kommt noch ein Korrekturlesen, bei unproblematischen Texten sind wir dann fertig, bei schwierigeren Texten können es bis zu sieben, acht oder im Extremfall (Lyrik) noch mehr Fassungen werden, die hin und her wandern.«

In dem Text gehen sie auch auf ein in den Feuilletons kaum aufgegriffenes Thema ein – das der wirtschaftlichen Existenz beziehungsweise der miserablen ökonomischen Situation von Übersetzenden. »Oft haben wir das Gefühl, wir müssten effektiver arbeiten und schneller sein«, schreiben sie dort. »Dem stehen das Gespür für die Qualität eines Textes und der Anspruch entgegen, ihm mit der Übersetzung zu genügen. Wirtschaftlich betrachtet ist das ein Dilemma, denn wir bekommen ja kein höheres Honorar als ein/e einzelne/r Übersetzer/in. Und seit über 20 Jahren ist von uns auch keine/r mehr in anderen Jobs tätig. Zudem sind unsere Seitenhonorare seit 20 Jahren kaum noch, seit 8 Jahren überhaupt nicht mehr gestiegen, weshalb die finanzielle Situation häufig bedrohlich ist, obwohl wir auftragsmäßig voll ausgelastet sind. Da wir auch auf keine anderen Ressourcen zurückgreifen können, fühlt sich unsere Arbeit als Literaturübersetzer/in immer öfter beengend und beklemmend an.«

Wenn selbst so renommierte und erfolgreiche Übersetzer:innen wie Fock und Müller, deren Arbeiten nicht selten auf Preis- und Bestsellerlisten auftauchen und regelmäßig in vergleichbar hohen Auflagen verkauft werden, derart unmissverständlich Alarm schlagen, bekommt man einen Eindruck, wie es um die Branche steht. Selbstausbeutung sowie prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen sind unter Literaturübersetzer:innen keine Seltenheit, wie die Sozialumfrage des Übersetzendenverbandes VdÜ kürzlich ergab. Dort gaben 58 Prozent der weiblichen und 35 Prozent der männlichen Übersetzer:innen an, dass das Einkommen aus dem Literaturübersetzen weniger als 10 Prozent zum Haushaltseinkommen beiträgt. Zehn Prozent! Vier von fünf der befragten Literaturübersetzer:innen gaben an, bereits mindestens einmal mehrmonatige Einkommenslücken und Einkommensengpässe überbrückt zu haben. Viele gaben Auftragsflauten als Begründung an, aber offenbar sichern auch volle Auftragsbücher die Existenz von Übersetzenden nicht ausreichend, wie Fock und Müller beschrieben haben. Angesichts solcher Arbeitsbedingungen muss man sich nicht nur um die aktiven Literaturübersetzenden sorgen, sondern auch um den Nachwuchs einer ganzen Branche.

Die Auszeichnung mit dem Celan-Preis und dem damit einhergehenden Preisgeld von 20.000 Euro mögen für Fock und Müller eine kurzzeitiger Segen sein. Das strukturelle Dilemma, das sie beklagen, löst die Auszeichung nicht. Nichts desto trotz dürfen Sie sich zurecht darüber freuen. Der Preis wird zusammen mit dem Großen Preis des Deutschen Literaturfonds und weiteren Auszeichnungen am 27. November 2023 im Literarischen Colloquium Berlin überreicht.

2 Kommentare

  1. […] kommt stiller daher, nicht weil er schlechter übersetzt wäre – immerhin zeichnen sich hier die frisch gekürten Celan-Preisträger Sabine Müller und Holger Fock verantwortlich – sondern weil mediale Aufmerksamkeit einfach seltsamen Gesetzen […]

  2. […] In diesem Verteidigungssystem bedient sich Volodine zahlreicher sprachlicher Mittel – von der nüchternen Aktenprosa der Ermittlungsbehörden über die politische Kampfsprache bis hin zu magisch-realistischen Assoziationen und freischwebenden Sprachspielen. Mit ihnen greift er die »Zuckungen und Kämpfe« auf, die das 20. Jahrhundert geprägt haben. »Der Terrorismus gehört zu den Zuckungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts, von denen ich soeben gesprochen habe. Er gehört zu den Versuchen, die Welt zu verändern, die Schiffbruch erlitten haben, gescheitert sind aufgrund der Pervertierung ihrer ursprünglichen Absichten«, so Volodine in einem Interview mit seinem Übersetzer, dem aktuellen Celan-Preisträger Holger Fock. […]

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