Literatur, Roman

Alptraum auf dem Kaukasus

Der ehemalige Tschetschenienveteran Arkadi Babtschenko legt mit »Ein guter Ort zum Sterben« sein zweites Buch über die Folgen seines Einsatzes im Kaukasus vor. Nachdem er in seinem ersten Buch vor allem seine Erlebnisse in autobiografische Erzählungen gebannt hat, setzt er sich in diesem Roman mit seiner Traumatisierung auseinander.

Im Zeitalter der modernen, der neuen, der schnellen Kriege werden die aus diesen zurückkehrenden Veteranen immer jünger. In Afrika und Asien sind es oft noch Kinder, meist Jugendliche, selten Erwachsene. Im Nahen Osten Jünglinge, gerade der Schule entwachsen. In Russland sind die Kriegsveteranen aus Tschetschenien inzwischen in den Dreißigern – wenn Sie Glück haben. Arkadi Babtschenko ist so einer. Gerade einmal Anfang dreißig schultert er das, was wir nur aus den Geschichten unserer Großväter kennen, Leid und Schuld.

Arkadi Babtschenko wurde mit 18 Jahren in die russische Armee eingezogen, ein halbes Jahr später stand er an der Front in Tschetschenien. Als Infanteriesoldat hat er dort die Gräuel und den unbarmherzigen Taktschlag des Krieges eher durchlitten, als nur erlebt. Allen Schrecken zum Trotz oder vielleicht auch gerade wegen den erlebten Grausamkeiten hat ihn der Krieg gepackt und nicht mehr losgelassen. Nach dem ersten Tschetschenienkrieg ergriff ihn die Leere, als wäre er ein Alkoholiker auf Entzug. Seine Persönlichkeit teilte sich, ging nun zwei Wege. Nach außen den des fleißigen Studenten, nach innen den des immer weiter kämpfenden Kriegers. Dem inneren Drang zur Gewalt konnte er lange Zeit nicht entkommen, auch nach seinem freiwilligen Einsatz als Söldner im zweiten Tschetschenienkrieg nicht. Im Kaukasus ist er durch seine persönliche Hölle gegangen, im Kopf hat er sie bis heute noch nicht ganz verlassen.

Um aus diesem inneren Inferno auszubrechen schreibt er. Über die russische Armee, über das Soldatentum, über Kampf und Krieg. Angefangen hat er als gelegentlicher Autor für die Nowaja Gazeta, inzwischen gehört er zum inneren Kern des Blattes. Um sich selbst immer wieder zu erinnern und mit dem eigenen Handeln zu konfrontieren, schreibt er inzwischen auch autobiografisch-literarische Erzählungen aus dem Krieg. 2007 legte er im Rowohlt-Verlag eine erste Erzählsammlung vor. In Die Farbe des Krieges schilderte Babtschenkow in autobiografischer Form seine Erlebnisse aus dem Krieg, eine Abfolge von Erniedrigungen der älteren gegenüber den jüngeren Soldaten. Nun liegt das zweite Buch des russischen Autors und Herausgebers der Veteranenzeitschrift Art of War vor, ein Roman, der aber mindestens ebenso biografisch wie fiktiv ist. In Ein guter Ort zum Sterben versetzt der erst 30-jährige Babtschenko den Leser mitten in das Herz des Krieges auf dem Kaukasus und konfrontiert ihn nahezu physisch mit den Häuser- und Grabenkämpfen zwischen der russischen Armee und den tschetschenischen Widerstandskämpfern. Es ist eine intensive, plastische und geradezu am eigenen Körper spürbare Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und Hoffungen inmitten eines Dantischen Infernos. Die anhaltend erdrückende Wirkung seiner Erfahrungen drückt sich in den kurzen und verknappten Sätzen des Russen aus. Das Grauen braucht nicht viele Worte, es ist schlicht und effizient.

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Arkadi Babtschenko: Ein guter Ort zum Sterben. Aus dem Russischen von Olaf Kühl. Rowohlt Berlin Verlag 2009. 124 Seiten. 14,90 Euro (TB 8,95 Euro). Hier bestellen

Im Mittelpunkt des halbbiografischen Romans steht der Soldat Artjom, ein Alter Ego des Autors, mit dem sich der Leser durch das eisige und nasskalte Bergland Tschetscheniens schleppt. Der Leser liegt mit ihm in den feuchten Schützengräben auf Lauer und spürt den Schneematsch durch die Kleider dringen. Er empfindet mit Artjom den unbarmherzigen Hunger und Durst des Krieges, der nicht nur die grundlegenden Bedürfnisse der Nahrungsaufnahme meint, sondern auch die Sehnsucht nach Wärme, Nähe und Geborgenheit.

Babtschenko schildert den Automatismus, der jeden Soldaten im Falle eines Angriffs überkommt, wie kein Autor vor ihm. Eine Mischung aus panikartigem Reflex, überlebensnotwendigem Adrenalinschub und abgrundtiefem Hass. »Die Bewegung kam instinktiv – zusammenzucken, ducken, das Gehirn setzt erst kurz danach ein.« Was dann folgt, ist eine geradezu mechanische Abfolge unbewusster und bewusster Reaktionen. Zunächst physisch: »Der Körper wird von Hitze durchzuckt. Die Kälte, die ihnen so zugesetzt hatte, verfliegt augenblicklich, Schweiß bricht aus, es wird heiß und feucht wie im Dampfbad.« Dann psychisch: »Angst!« Und schließlich konditioniert militärisch, moralisch taub: »Die MP von der Schulter! Schneller! … Die Sicherung, die Sicherung, verflucht! … Endlich gelingt es, den Sicherungshebel zu ziehen. Der erste Feuerstoß ist wie ein Orgasmus – die Schüsse werden begleitet von einem Stöhnen der Erleichterung. … alle ballern blindlings drauflos, ohne Sinn und Verstand, nur mit dem einen Gedanken – dieses Schwein im Blei zu ersticken, es umbringen, ihm das Maul stopfen. Ihn töten, bevor er mich tötet, das Aas.«

Was Babtschenko hier aus der Perspektive des russischen Kriegsveteranen beschreibt, gilt wohl in ähnlicher Form für jeden sich im Krieg befindenden Soldaten. Der Krieg verlangt von seinen Dienern permanente Aufmerksamkeit und Anspannung. Denn wer abschaltet, ist so gut wie tot. »Der Tod liegt auf der Lauer, scheut die Sonne. Er wartet auf uns, wartet ab, bis wir unaufmerksam werden, dann springt er uns an.«

Ein guter Ort zum Sterben ist ein dicht geschriebener Bericht aus dem Herzen des Krieges, in dem Angst und Hass die Hände der Menschen führen. Vieles ist dabei denkbar und vorhersehbar, aber die physische Gegenwart der Schrift und der kalte militärische Ton der Sprache machen den Irrsinn des Krieges plötzlich sehr real.

Nur einmal, am Ende des Romans, bricht die soldatische Schutzhülle auf, als Artjom erfährt, dass ein alter Mann und seine achtjährige Enkelin bei einem Angriff auf ein Haus ums Leben gekommen sind, in dem er tschetschenische Kämpfer vermutete. Schuld überkommt den sonst so kalten Soldaten: »Ab jetzt ist er der Mörder eines Kindes. Und er wird damit leben müssen. Essen, trinken, Kinder großziehen, sich freuen, lachen, traurig sein, Schmerz empfinden, lieben.« Ein Weg, den auch Babtschenko gehen muss. Auch er wird Kinder großziehen, sich freuen, lachen und lieben. Doch auf allem lastet die Schuld, ein Kind getötet zu haben.

2 Kommentare

  1. […] erbarmungslosen harten Hand von Mütterchen Russland, die neben den Russen selbst auch Georgier, Tschetschenen und Ukrainer zu spüren bekommen haben. In dieser gelungenen kritischen Auseinandersetzung mit dem […]

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