Film

Adina Pintilie gewinnt mit »Touch Me Not« Goldenen Bären

Adina Pintilies dokumentarisch anmutende Ergründung von Körper und Intimität ist der Überraschungssieger der 69. Berlinale. Der erste Film aus Paraguay im Wettbewerb, Marcello Martinessis »Las Herederas« wird mit zwei Silbernen Bären ausgezeichnet.

Manchmal fragt man sich, was in die Kolleginnen und Kollegen gefahren ist. Da wird ein Film wie Touch Me Not, der die subjektive Perspektive auf Fragen von Körperlichkeit und Sexualität hinterfragt, als bester Film ausgezeichnet, schon werden die sachlichen Argumente fallengelassen und individuelle Geschmacksfragen rücken in den Vordergrund. Ja, der Wettbewerbsbeitrag der rumänischen Regisseurin Adina Pintilie ist für Cineasten, die Blockbusterkino und französische Lebenskomödien mögen, eine Herausforderung und führt mitunter an die Grenzen dessen, was man im Kino sehen möchte. Aber rechtfertigt das völlig überzogene Urteile, etwa wenn die FAZ von einem »rumänischen Sexfilm« oder die Bild von einer »Sex-Doku«? Wohl kaum.

Ebenso wenig weiterführend ist die Bemerkung, dass der Film schon auf der Berlinale gespaltene Reaktionen hervorgerufen hätte, wie sie die Agenturmeldung zu den Bären verbreitet hat. Welcher Beitrag hat das denn nicht? Man schaue sich nur die unzähligen Rankings an, die während der Berlinale immer wieder die Punktebewertung von so genannten Experten versammeln. Den Film, der alle begeistert, gibt es auch dort nicht. Vielmehr manipulieren diese Rankings die Berichterstattung, weil sie der Journalistencrowd am Potsdamer Platz in einem beklemmenden Maß zur Messlatte des eigenen Urteils werden.

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Besser wäre es, Kritikerinnen und Kritiker würden sich auf die eigenen Sinneseindrücke verlassen und diese in ihre Texte einfließen lassen. Derart könnte auch Vermittlung stattfinden, wie sie Medien leisten können. Tatsächlich vermocht hat dies einzig die Süddeutsche Zeitung, die Pintilies aufwühlendem Film und der Verstörung, die sich beim Zuschauer einstellt, auf den Grund geht. Denn diese hat nichts mit der Hauptfigur Laura und ihrer Berührungsphobie zu tun und auch nichts mit dem haarlosen Tómas. Die Herausforderung des Films besteht in der von Pintilie erzwungenen intimen Begegnung mit dem Schwerbehinderten Christian, den Tómas bei einem Workshop im Gesicht berühren soll. Doch dem körperlich entstellten Christian läuft Speichel aus seinem Mund, seine übergroßen Zähne ragen aus dem Mund. Tómas will eigentlich nur weg, und spiegelt damit das Unbehagen des Zuschauers. Dies zuzugeben, fällt ihm schwer. Er tut es aber, im Gegensatz zur Pressemeute, die Touch Me Not zum »Sexfilm« abstempelt, weil das einfacher ist, als dem eigenen Unbehagen und seinen Motiven Ausdruck zu verleihen.

Touch me Not von Adina Pintilie © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l'Etranger
Touch me Not von Adina Pintilie © Manekino Film, Rohfilm, Pink, Agitprop, Les Films de l’Etranger

Zumal der Film ein Umdenken im Kopf der Zuschauer herbeiführt, weil Christian nicht das abschreckende Wesen ist, wie der erste Eindruck vermittelt. In der SZ wird das ganz wunderbar beschrieben:

»Der Mann, man kann es nicht anders sagen, ist furchtlos. Er lebt mit sich und seinem Körper und dem, was er in anderen Menschen auslöst, vollkommen im Reinen. Man sieht ihn mit seiner nichtbehinderten Frau, die ihn mit mütterlicher Fülle trägt und umhüllt, man spürt ihre besondere, intime Beziehung. Dann spricht er darüber, wie viel Freude ihm sein Penis macht, wie normal er funktioniert, wie stolz er auf dessen Größe ist.

Und auf einmal wirkt er nicht nur er ganz normaler Mann, sondern wie ein Vorbild sexueller Befreiung: Man sieht in splitternackt auf einem Divan in einem SM-Club thronend, von den Kurven seiner Frau umflossen, ein König unter Gleichgesinnten, in seinem Reich. Das letzte Bild, das der Film von ihm schafft, hat den ersten, abstoßenden Eindruck vollkommen ausgelöscht. Und ein Film, dem das gelingt, der ein paar Synapsen im Hirn seiner Zuschauer komplett neu verdrahtet – hat der nicht jeden Bären verdient?«

Twarz | Mug von Małgorzata Szumowska © Bartosz Mronzowski
Twarz | Mug von Małgorzata Szumowska © Bartosz Mronzowski

Einen  Bären verdient hatte auch die polnische Regisseurin Małgorzata Szumowska. Nachdem sie 2015 für ihren Film Body für die beste Regieleistung ausgezeichnet wurde, erhielt sie in diesem Jahr für Twarz den Silbernen Bären den Großen Preis der Jury. In dem Film geht es im weitesten Sinne um Fragen von Körper und Wahrnehmung, aber auch um die polnische national-religiöse Ideologie und ihren Einfluss auf dem Land.

Las herederas | The Heiresses © lababosacine
Las herederas | The Heiresses © lababosacine

Der Silberne Bär für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet (Alfred-Bauer-Preis) geht an den paraguayischen Film Las Herederas von Marcelo Martinessi, dessen Hauptdarstellerin Ana Brun verdientermaßen auch den Silbernen Bären als beste Darstellerin erhalten hat. Erzählt wird in dem Film die Geschichte eines in die Jahre gekommenen lesbischen Liebespaares und der Befreiung der Hauptfigur aus dem goldenen Käfig der Gewohnheit. Als bester Darsteller wurde der Franzose Anthony Bajon ausgezeichnet, der in Cédric Kahns La Prière einen Drogenabhängigen spielt, der sein Dope erst gegen Religion und dann gegen hübsche Französinnen austauscht.

Isle of Dogs | Isle of Dogs – Ataris Reise © 2017 Twentieth Century Fox

Wes Anderson, der bereits mit Grand Budapest Hotel einen Silbernen Bären gewonnen hatte, erhält für seinen unterhaltsamen Animationsfilm Isle of Dogs – Ataris Reise den Regie-Bären. Das beste Drehbuch haben für die Jury Manuel Alcalá und Alonso Ruizpalacios geschrieben, Ruizpalacios hat daraus die mexikanische Räuberpistole Museo gedreht. Diese Entscheidung muss man nicht unbedingt nachvollziehen, dem Film geht am Ende nämlich die Luft aus, was auch am langatmigen Drehbuch liegt.

Dovlatov © SAGa Films

Durchaus zu begrüßen ist, dass der russische Film Dovlatov von Alexej German Jr. noch ausgezeichnet wurde. Elena Okopnaya wurde für Kostüm und Production Design mit dem Silbernen Bären für eine herausragende Künstlerische Leistung ausgezeichnet.

IN DEN GÄNGEN (R: Thomas Stuber); v.l.: Sandra Hüller und Franz Rogowski © Sommerhaus Filmproduktion / Anke Neugebauer

Leer ausgegangen sind hingegen einige rasante Filme, die in der zweiten Festivalhälfte gezeigt wurden. Angelehnt an das Mainstreamkino konnten sie aber wohl die Erwartungen der Jury nicht erfüllen. Dazu gehören Gus van Sants rasantes Porträt des kanadischen Cartoonisten John Callahan mit dem Titel Don’t worry he wont get to far by foot, Mani Haghighis skurriler Krimi Khook sowie Thomas Stubers bewegendes Großmarktepos In den Gängen.

Die Geduld aller Zuschauer forderten der philippinische Regisseur Lav Diaz mit seinem langatmigen Film Ang Panahon ng Halimaw (den er selbst seltsamerweise als »Rock-Oper« bezeichnet, der aber eher an einen philippinischen Amateurgesangswettbewerb erinnert) sowie Philip Grönings unsinniges Geschwisterdrama Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot.

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