Die Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer geben dem Klimawandel Identität und Gesichter. Sie haben insgesamt 16 Länder auf allen Kontinenten bereist, Menschen aufgesucht, die direkt vom Klimawandel betroffen sind, und bringen uns diese »Schicksale des Klimawandels« näher.
Die Vertreter der UN-Mitgliedstaaten auf dem Klimagipfel im südafrikanischen Durban haben sich nach nächtelangen Verhandlungen, die zwischenzeitlich zu scheitern drohten, schlussendlich darauf verständigt, dass bis 2015 ein neuer Weltklimavertrag zur Begrenzung der Erderwärmung erarbeitet werden und 2020 in Kraft treten soll. Dieser Vertrag soll das Kyoto-Protokoll ablösen, welches bis zu einem neuen Klimaabkommen weiter gilt. Erstmals wollen sich wohl auch die USA und China verbindlichen Zielen zur Minderung ihrer Ausstöße von Treibhausgasen verpflichten. Darüber kann man sich freuen, die bisherige Starrsinnigkeit so mancher Staaten darf darüber aber nicht in Vergessenheit geraten. Die Debatte um den Klimawandel und die menschliche Verantwortung wird mit geradezu religiösem Eifer geführt. Ein Grund, insbesondere für Humanisten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Der Klimawandel, ob menschengemacht oder naturgegeben, findet statt. Daran gibt es keinen Zweifel. Unter den Bedingungen der Globalisierung – weltweiter Wissenstransfer und globale Interdependenz – kann er Humanisten nicht egal sein, denn das hieße, die eigene Verantwortung am Zustand der Erde und dem damit verbundenen Schicksal der sie bevölkernden Menschen nicht anzunehmen. Welche konkreten Auswirkungen der Klimawandel auf die Menschen, insbesondere in besonders anfälligen Regionen, hat, dokumentiert eindrucksvoll der Bildband Schicksale des Klimawandels.
Zwar wissen viele, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf Meeresspiegel, Gezeiten, Küstenerosion und Wasserqualität in küstennahen Regionen fatal sein können, greifbar wird dies aber erst, wenn man dieses Wissen mit Personen verbinden kann. Etwa mit Hamida Katun aus Bangladesh, deren Haus vor wenigen Monaten bei einem Zyklon überschwemmt und zerstört wurde. Oder Azizul Islam, der als Tagelöhner beim Wiederaufbau eines Flussdamms aushilft und den Traurigkeit überkommt, wenn er über seine Situation spricht: »Wir haben kein Trinkwasser mehr, keine Bäume, keine Häuser. Alles haben wir an den Fluss verloren. Unsere Häuser haben wir aus Lehm gebaut. Sie stürzen ein, wenn alles überschwemmt wird, und wir müssen sie wieder aufbauen. In den letzten zwanzig Jahren hat sich viel verändert. Es gibt keine Bäume, weil sie, wie der Reis, im salzigen Wasser nicht gedeihen. Als ich noch ein Kind war, war Gabura ein sehr schöner Ort, aber jetzt hat sich die Insel verändert. Heute gibt es kein Vieh, kein Gras, keine Fische mehr, die wir essen können. Das kommt daher, dass der Wasserspiegel steigt. Meerwasser überschwemmt das Land. Die Pflanzen wachsen nicht mehr. Unser grünes Land verändert seine Farbe.«
Die Zerstörungskraft von Wasser – oft wird sie uns westlichen Lesern nur bei Tsunamis oder Hochwasser gewahr, doch in Asien oder im Südpazifik wirkt sie täglich. Ganz im Sinne des den Stein höhlenden, steten Tropfen. Die Bewohner von Südseeinseln wie Tuvalu und Kiribati, aber auch die Einwohner der als Urlaubsparadies bekannten Malediven wissen, wovon die Rede ist. Sie gelten schon jetzt als die ersten Klimaflüchtlinge der Welt. Das Kabinett der Malediven hielt aus Protest vor zwei Jahren sogar ein Arbeitstreffen unter Wasser ab. Die Medien berichteten enthusiastisch über diesen Coup, das Anliegen ging nahezu unter.
Der ansteigende Meeresspiegel verschluckt die weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel liegenden pazifischen Archipele zusehends, Stein für Stein und Inselchen für Inselchen. Jeder heftigere Sturm wird zur existenziellen Bedrohung. Karotu Tekita muss diesen Prozess schon seit Jahren am eigenen Leib erfahren. Keine der Kokospalmen, die auf seinem Grundstück auf dem zu Kiribati gehörenden Atoll South Tarawa standen, steht noch. Das salzige Meerwasser hat nicht nur zehn Meter seines Grundstücks verschluckt, sondern auch den Boden zerstört. Seinen Palmenhain und damit seine Existenzgrundlage verloren haben auch Aata Maroieta und seine Frau Atanraoi Toauru. Auch die Fischteiche des Ehepaares sind innerhalb weniger Jahre unbrauchbar geworden. Dem Ehepaar hat man gesagt, es müsse woanders noch einmal von vorn anfangen. So sei nun mal der natürliche Lauf der Dinge. Dies ist, was viele Inselbewohner – denen nicht nur der Verlust ihres Wohnraums, sondern ihrer kompletten Inselkultur droht – immer wieder hören. Der Fischer Tutaake Arawatou spricht das aus, was viele denken: »Bis vor kurzem ist noch nie eine Insel untergegangen. Jetzt sind sogar in Abaiang zwei oder drei Inseln praktisch verschwunden. Ich glaube nicht, dass das natürliche Veränderungen sind, denn in den Erzählungen unserer Vorfahren ist von so etwas nie die Rede. Ich glaube, daran sind andere Menschen schuld, wahrscheinlich die Industrieländer. Der Meeresspiegel begann zu steigen, als ich neun oder zehn Jahre alt war.«
Das entgegengesetzte Gesicht des Klimawandels zeigt sich in Afrika. Nicht Überschwemmungen, sondern vor Trockenheit aufgerissene Felder und Flussbetten prägen hier die Landschaft. Erst verschwinden die wenigen Wälder, dann die Seen, Flüsse und Sümpfe, schließlich trocknen die lehmhaltigen Böden zu einem nicht mehr kultivierbaren Steinboden aus und schließlich übernimmt die sich ausbreitende Wüste die Landschaft. Doch wie sollen unter solch Bedingen über eine Milliarde Menschen ernährt werden? Wie sollen die für das Jahr 2060 prophezeiten 2,5 Mrd. Menschen hier friedlich leben können und wie soll der Anstieg auf über 3,5 Mrd. Menschen bis 2100, wie ihn der US-Weltbevölkerungsfonds voraussagt, zu verkraften sein?
Es ist ebenso rätselhaft wie deprimierend, liest man die Geschichten, die die beiden Fotografen Mathias Braschler und Monika Fischer auf ihrer Reise gesammelt haben. Etwa wenn der Bauer Dogna Fofana aus Mali berichtet, dass sich die Regenzeiten um bis zu drei Monate nach hinten verschoben haben. „Kaum hat es zu regnen begonnen, hört es auch schon wieder auf.“ Manchmal braucht man die Geschichten gar nicht, die Fotografien sind erschütternd genug. Wie die des Kuhhirten Gouro Modi und seines sechsjährigen Sohnes Dao neben dem ausgetrockneten Kadaver einer ihrer Kühe, die den immer längeren Weg zu den Weidegründen nicht überstanden hat. Die Sorge um die Zukunft ist in den Augen von Vater und Sohn abzulesen, der immer näher kriechende Tod liegt zu ihren Füßen. Sichtbar wird der Tod auf dem Bild der Bäuerin Fatama Djapraul Mousa mit ihren drei Kindern – durch Abwesenheit. Denn eigentlich müsste die Mutter von sechs Kindern umgeben sein. Drei ihrer Kinder sind jedoch an Durchfallerkrankungen gestorben – weil das wenige Grundwasser nicht mehr zum Trinken geeignet ist.
Der Fischer Mama Saranyro, dessen Porträt auch das Titelblatt des Bildbandes prägt, bringt die Situation für die Porträtierten Afrikaner auf den Punkt: »Unsere Boote stecken im ausgetrockneten Fluss fest. Seit 2003 fallen die Wasserpegel, weil es zu wenig regnet. Früher hätten wir nicht hier sitzen können, weil hier überall Wasser war. Nun ist es weg. Wir haben versucht, im Kollektiv zu fischen und ein paar Flussabschnitte zum Fischfang und für die Fischzucht zu retten, aber der Fischfang bringt hier nichts mehr ein. Wenn das in den nächsten zehn Jahren so bleibt und wir keine Hilfe bekommen, um unsere Lebensweise zu verändern, wird es uns sehr schlecht ergehen.«
Mathias Braschler und Monika Fischer geben dem inzwischen zum politischen Kampfbegriff verkommenen Terminus Klimawandel Identität und Gesichter. Sie haben von Australien bis nach Kanada die Welt quer bereist, waren in insgesamt 16 Ländern und allen denkbaren Landschaftsformen zu Gast und haben Menschen aufgesucht, die direkt vom Klimawandel betroffen sind. Unter Entbehrungen und Hinnahme einiger Unannehmlichkeiten (Temperaturschwankungen, Krankheiten, Infektionen) haben sie die insgesamt 59 Geschichten und Porträts gesammelt, die uns klar machen, dass der Klimawandel nicht weit von uns weg, sondern längst bei uns angekommen ist. Dem Kanadier Sandy Adam droht der Verlust der eigenen vier Wände, weil der Permafrostboden unter seinem Haus schmilzt und vom Meer weggespült wird.
Das gleiche Schicksal droht Margaret Aliurtuq Nickerson in Alaska. Sie gibt der Bucht, an der sie lebt, noch maximal zehn Jahre. Häuser, die auf schmelzendem Permafrostböden stehen, versinken förmlich in der sich unter ihnen auftuenden weichen Pampe. Anschaulich macht dies das Porträt der Familie Nasarian, welches den Betrachter unweigerlich an das Land Lilliput in Gullivers Reisen erinnert. Die Nasarians leben im sibirischen Jakutsk, dem angeblich kältesten Ort der Erde. Hier vollzieht sich der Klimawandel aber zweimal so schnell wie im weltweiten Durchschnitt, die Temperaturen steigen in doppelter Geschwindigkeit. Das heißt für die Familie, dass das Haus zunehmend im Boden versinkt und sich der Fußboden der Decke nähert. Die Türen enden bereits auf Schulterhöhe, die Decke könnte Familienvater Awetik bequem im Stehen streichen. Das versinkende Haus wird zur Schraubzwinge. Bis die Decke auf dem Boden aufliegt, ist nur eine Frage der Zeit.
In den USA und in Australien häufen sich aufgrund der Trockenheit verheerende Waldbrände und zerstören ganze Landstriche. Wo die Bäume vom Feuer verschont werden, häuft sich der Schädlingsbefall aufgrund der geschwächten Abwehrkräfte. In den südamerikanischen Anden werden die Weideflächen knapper, das Hirtenwesen gerät unter Druck. Die Hochlandgletscher schmelzen und absurderweise gehen daher die Wasservorräte der Bauern zur Neige. Denn das eisige Reservoir löst sich auf. Aber auch vor unserer Haustür vollzieht sich der Klimawandel, wie Braschler und Fischer zeigen. Bauern klagen über Extremniederschläge und extremen Wetterschwankungen, die wiederum enorme Ernteverluste zur Folge haben. Der Italiener Antonio Esposito sagte den beiden Fotografen, dass die Jahreszeiten „durcheinandergeraten“ seien.
Mathias Braschler und Monika Fischer machen mit ihrem den Klimawandel personalisierenden Bildband die Dringlichkeit des Handelns deutlich. Blättert man in diesem, werden die Debatten und Grabenkämpfe bei Klimagipfeln zum höhnischen Kommentar auf das Weltgeschehen. Denn dass sich das Klima verändert und dies Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen hat, ist unbestritten. Hier auf ein Darwin’sches Survival of the fittest zu setzen, wäre inhuman und unverantwortlich. »Die Berghütte, die mein Großvater in der Nähe des Gletschers errichtet hatte, ist vor drei Jahren den Hang herabgerutscht, weil so viel Eis geschmolzen ist. Der Gletscher hat in den vergangenen 25 Jahren mindestens 80 Prozent seines Volumens verloren. Das ist enorm. Als mein Großvater die Hütte in den Vierzigerjahren eröffnete, stand sie etwa auf derselben Höhe wie die Oberfläche des Gletschers. Doch als er zu schrumpfen begann, wurde die Moräne instabil und rutschte Stück für Stück ab. Es war beängstigend. Auf einmal konnte man sehen, wie sich der Boden neben dem Haus auftat, und dann stürzte alles ab. Man kann noch sehen, wo das Eis war. Das sollte uns bewusst machen, dass hier etwas nicht mehr stimmt.«
Ein Interview mit Mathias Braschler und Monika Fischer finden Sie hier.
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