Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado ist jahrzehntelang durch die Welt gereist und hat neben den menschgemachten Abgründen die faszinierende Schönheit unseres Planeten mit seiner Kamera festgehalten. Am Ende obsiegte die Faszination an der Größe der Natur über die Erinnerung an die menschlichen Grausamkeiten. Der Bildband »Genesis« erzählt davon. So schön war Natur noch nie.
Der Brasilianer Sebastião Salgado bereist seit Jahrzehnten die Kontinente dieser Welt und hat Natur und Menschheit mit allen Hoffnungen und Ängsten festgehalten. In den 1980er und 1990er Jahren dokumentierte die Unabhängigkeitskriege in Angola und Mosambik, erlebte die Dürrekatastrophen in Äthiopien, Sudan und Tschad und scheute nicht, den Völkermord in Ruanda mit seiner Kamera zu bezeugen. Nach all der Grausamkeit und dem Elend, die er sah, hatte Salgado »jede Hoffnung auf eine Zukunft für die Menschheit verloren.«
Es ist einem Zufall zu verdanken, dass der Brasilianer uns jetzt mit Fotografien in den Bann nimmt, die von der Schönheit und Vielfalt des Lebens auf der Erde erzählen. In den Jahren, in denen er Zeuge der größten menschlichen Grausamkeiten wurde, übernahm er von seinem Vater ein altes brasilianisches Anwesen. Von der Ausbeutung der Regenwälder schwer getroffen, begannen Sebastião Salgado und seine Frau Lélia Wanick Salgado an der »Wiedergeburt jenes kleinen Ökosystems, das ich als Kind gekannt habe« zu arbeiten. Damals wollte Salgado ursprünglich ein Langzeitprojekt in Angriff nehmen, mit dem er ein Zeichen setzen wollte gegen den Umgang des Menschen mit seiner Existenzgrundlage. Doch von dem wieder entstehenden Naturparadies auf seinem Anwesen ergriffen, entschied er sich, die Schönheit der Erde erforschen zu wollen. Er bereiste in acht Jahren in 32 Winkel der Welt, um unberührte Landschaften und ursprüngliche Seegebiete, geheimnisvolle Tiere und uralte Völker aufzuspüren, die dem »oft zerstörerischen Arm der modernen Zivilisation entgangen waren«. Sein Mammutprojekt Genesis versammelt nun die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der sich noch im Urzustand befindlichen Natur.
Sebastião Salgado ist ein Fotograf aus Leidenschaft. Der gelernte Ökonom reiste Anfang der 1970er Jahre für eine Internationale Kaffee-Organisation mehrmals nach Afrika und erlebte dort die Unabhängigkeitskriege in Angola und Mosambik. Die Fotoreportagen, die er von dort mitbrachte, wurden in den renommiertesten Magazinen gedruckt. Salgado beschloss, seine wirtschaftlichen Ambitionen niederzulegen und sich ganz der Fotografie zu widmen. Was dann folgte, war der Marsch durch die Institutionen der Fotografie, denn er heuerte bei großen Agenturen, wie Sygma und Gamma an, bis er schließlich 1979 Mitglied bei Magnum wurde. Fünfzehn Jahre war er für die weltweit erfolgreichste Fotoagentur tätig und hat in dieser Zeit weit mehr als zwei dutzend Länder bereist. Seine große Fotostudie vom Ende des Zeitalters der industriellen Handarbeit Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters und seine beeindruckende Dokumentation Migranten über die Armuts-, Elends- und Kriegsflüchtlinge sind in dieser Zeit entstanden. Im Vorwort zu Genesis bezeichnet er beide Arbeiten als »Reisen durch die Irrungen und Wirrungen der Menschheit«.
Unzählige seiner Bilder fanden Eingang in diese gigantischen Bände, viele aber auch nicht, so dass Sebastião Salgado und seine Frau Lélia 1994 eine eigene Fotoagentur gründeten, die sich ausschließlich seinem Werk widmet. Seine Arbeiten haben in den vergangenen 30 Jahren unzählige Auszeichnungen erhalten. Vor sechs Jahren erschien sein epochaler Fotoband Africa, in dem er anhand der in über dreißig Jahren Fotografie gemachten Aufnahmen die komplexe Geschichte Schwarzafrikas in Schwarz-Weiß-Fotos erzählt. Der Band kann als eine Art Brückenteil von den »Irrungen und Wirrungen der Menschheit« zur »Hommage an die Größe der Natur« betrachtet werden, wie er sein Werk Genesis verstanden wissen möchte. Denn darin dringt neben den deprimierenden Bildern der afrikanischen Totenklage in den Natur- und Tieraufnahmen schon seine Faszination an der Natur durch. Die düsteren Aufnahmen aus den zahlreichen afrikanischen Kriegen werden – als sei es eine Geste der Versöhnung – außergewöhnliche Aufnahmen der Schönheit und Vielfalt Afrikas zur Seite gestellt. Sie erzählen vom Stolz und der Würde fast vergessener Stammesgesellschaften sowie dem Anmut und der Faszination der Tier- und Pflanzenwelt sowie der südafrikanischen Wüstenregionen.
Der opulente Bildband Genesis ist das Zeugnis einer jahrzehntelangen Suche nach der Schönheit und Anmut der Welt, die Sebastião Salgado unternommen hat. Nach intensiven Recherchen, wo die letzten unberührten Ecken dieser Welt zu finden sind, entschied sich der Fotograf für 30 Hotspots, die es zu bereisen galt. Bei maximal zwei viermonatigen Reisen im Jahr war klar, dass das Projekt mindestens acht Jahre in Anspruch nehmen sollte. Um ein möglichst problemloses Reisen zu ermöglichen, mussten Sondergenehmigungen eingeholt, Regen- und Trockenzeiten berücksichtigende Reiserouten geschrieben sowie verschiedenste Transportmittel gemietet werden, bevor er in dieses mehrjährige Abenteuer starten kann.
Der opulente Bildband Genesis ist in fünf Kapitel gegliedert, die Regionen umfassen, in denen dann wiederum Ökosysteme, Tiere und Völker fotografisch beschrieben werden. Die Reise beginnt im Süden der Erde, auf der Antarktis. Salgados kontrastreiche Aufnahmen zeigen uns diese Region als Gletscher- und Eismeer, als Heimstatt der Fels- und Eisburgen, abweisend dem menschlichen Leben gegenüber und einladend der Tierwelt gegenüber, die den eisigen Temperaturen in der Region zu trotzen vermag. Wie ein unsichtbarer Gesell hat er sich unter Möwen, Pinguine und Robben begeben und einmalig faszinierende Aufnahmen gemacht, die dem Betrachter immer wieder das Gefühl vermitteln, diese Wesen berühren zu können, wenn er nur die Hand ausstreckte.
Die imaginäre Reise des Betrachters dieses Bildbandes führt nun auf abgelegene Inseln, weil diese ideale Bedingungen für den Schutz der heimischen und manchmal auch singulären Flora und Fauna bieten. Die Galapagosinseln, Madagaskar, Sumatra, Neuguinea sowie Papua-Neuguinea heißen die Paradiese, in denen Salgado nicht nur seltene Pflanzen und Tiere mit seiner Kamera auf famose Art und Weise einfangen konnte, sondern auch kleine ethnische Völker aufspürte, die noch nicht komplett von der westlichen Zivilisation eingeholt sind. Wirklich ursprünglich sind aber nur noch wenige dieser Gemeinschaften, bei vielen (auch in den anderen Kapiteln) erkennt man die Folgen der christlichen Missionierungsaktionen, aber all diese Stämme haben sich den Respekt vor der Natur bewahrt, in der sie leben. Sie haben damit der westlichen Arroganz- und Vernichtungskultur eine Menge voraus.
Es folgen Salgados Aufnahmen aus Afrika, die zum Teil auch schon im gleichnamigen Bildband zu sehen waren. Salgado lässt den Blick des Betrachtenden über gespiegelte Wüstenlandschaften, nebeldurchzogene Steppen und undurchdringliche Urwälder schweifen. Zu entdecken gibt es in den lichtdurchfluteten Landschaften die Kontraste der Ödnis, die kleinen und großen Zeichen des Lebens und vor allem die Kulturen derjenigen, die in diesen Landschaften existieren – das Volk der San, die Dinka und die Himba. Zwischen den ethnologischen Erkundungen dieser Kulturen sind grandiose Porträts der Könige dieser Region zu finden – und wieder entsteht der Eindruck, Salgado hätte sich nur wenige Zentimeter von den Elefanten, Löwen und Berggorillas entfernt versteckt, als er diese Aufnahmen gemacht hat. Das Afrika-Kapitel schließt mit atemberaubenden Aufnahmen der äthiopischen Landschaften und Stämme. Salgado selbst betitelt diesen Teil im Begleitheft mit den Bildbeschreibungen als »Reise durch das Alte Testament«.
Die vorletzte Station auf dieser aufregenden Reise machen die Betrachter in der Nordpolarregion mit den angrenzenden nördlichen Randzonen Europas, Asiens und Nordamerikas. Eindrucksvoll zeigt Salgado, wie die Witterung des Nordens Stein und Holz formen, ihre Unterschiede schleifen, wie sie Flüsse aus Eis und Schnee entstehen lässt und wie sie die Menschen herausfordert, die in dieser Region leben. Das Titelbild des Fotobandes ist diesem Teil von Salgados Naturkunde entnommen und zeigt eine Landschaft im Arctic National Wildlife Refuge, Nordamerikas größtem Naturschutzgebiet. Betrachtet man diese Aufnahme, bekommt man eine Ahnung davon, in welchem Ausmaß sich die religiösen Erzähler an den Panoramen der Natur inspirieren ließen.
Den Abschluss von Salgados Rundreise bildet die Erkundung seiner Heimat Brasilien und ist überschrieben mit »Amazonas und Panatal«, dem größten Regenwald- und dem größten Sumpfgebiet der Erde. Gemeinsam mit Salgado fliegt der Betrachter dieses Bildbands über riesige und traumhaft schöne Areale von Wasser- und Waldlandschaften, um später in diese Region einzutauchen und mit Amazonaskrokodilen zu schwimmen, Riesenotter zu begegnen, Hyazinthen-Aras zu bewundern und mit Indianern zu leben. Salgado beschließt seine Reise mit einem Luftaufnahme der Anavilhanas, einer Gruppe von bewaldeten Flussinseln im brasilianischen Teil des Rio Negro, die den größten Inlandsarchipel der Welt bilden. Die Aufnahme zeigt die ganze Erhabenheit und Verletzlichkeit dieses Ökosystems, sie steht stellvertretend für die Welt, in der wir leben.
Sebastião Salgado hat sich in die Lüfte erhoben und ist auf Flüssen gereist, ist durch Wüsten gereist und hat Berge erklommen, hat Wälder durchkämmt und Inseln erobert, um für jeden von uns die Schätze der Natur zu entdecken. Bei seinen Aufnahmen wechselt er ständig zwischen Panoramaperspektiven und Nahaufnahmen, um die Faszination der einzelnen Elemente der Natur neben die des Gesamten zu stellen. So entsteht ein Mosaik der Natur, zu dem Salgado erst einzelne Steine zu kleinen Einheiten und dann die Einheiten zum großen Ganzen zusammenfügt. In ausklappbaren Doppelseiten vertieft Salgado immer wieder mit Serienaufnahmen die Einblicke in bestimmte Lebenswelten – er zoomt so einzelne Steine des großen Mosaiks heran.
»Nun, da es vollendet ist, können wir, so glaube ich, stolz sein auf das Ergebnis, das nicht nur einen inspirierenden Einblick in die Schönheit unserer Erde erlaubt, sondern auch ein Aufruf ist, diese Schönheit zu bewahren«, schreibt Salgados Frau Lélia Wanick Salgado in ihrem Geleitwort zum Bildband und bringt damit den zutiefst humanistischen Aspekt dieser Arbeit zum Ausdruck. Um diese majestätische Erhabenheit der Natur zu erhalten, von der Salgados Fotografien erzählen, müssen Respekt und Umsicht gegenüber der Natur zurückkehren in unsere Herzen und Köpfe, wenn wir darüber nachdenken, welche Rolle wir künftig in dieser Welt noch spielen wollen. Diese Welt erhalten wir nicht mit Krieg und Raubbau, maximalen Gewinnen und größter Effizienz, sondern mit Frieden, Nachhaltigkeit und Achtung vor dem, was uns umgibt.
[…] die Schönheit und Völkervielfalt, die ihn nach Afrika treibt, wo er Fotografien für sein Mammutvorhaben Genesis – einem Projekt von Schwarz-Weiß-Aufnahmen, das sich noch im Urzustand befindlichen Natur – […]