Gesellschaft, Politik, Sachbuch

Fragiler Frieden oder: Warten auf den nächsten Krieg

Die Zahl internationaler Friedensmissionen ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen. Allerdings lässt sich feststellen, dass es dabei viele Rückschläge und Fehlentwicklungen gegeben hat. Roland Paris ist den Ursachen dieser Probleme auf den Grund gegangen.

Als in Kambodscha 1997 nur vier Jahre nach den durch die Vereinten Nationen organisierten parlamentarischen Wahlen blutige Kämpfe zwischen den beiden regierenden Fraktionen ausbrachen, war dies die logische Konsequenz einer von Anfang an mit Fehlern behafteten Friedensmission. Die Grundbedingungen des in Paris ausgehandelten Friedensabkommens zur Vorbereitung der parlamentarischen Wahlen 1993 wurden nicht eingehalten. Die Radikalkommunisten der Roten Khmer, deren stalinistischen Säuberungs- und Vernichtungsterror von 1975 bis 1979 mindestens 1,7 Millionen Kambodschaner zum Opfer gefallen sind (knapp ein Viertel der damaligen Gesamtbevölkerung), wurden entgegen den Abmachungen nicht unter Aufsicht der UN-Friedensmission UNTAC entwaffnet und blieben so eine enorme politische Gefahr im instabilen Kambodscha. Aus ihren Hoheitsgebieten drohten die Roten Khmer, immer noch unter der Führung des Massenmörders Pol Pot, wiederholt mit Guerillaattacken. Es kam zu zahlreichen tödlichen Zwischenfällen im Vorfeld der Wahlen, ohne dass die UN-Truppen eingegriffen hätten.

Aus dem ersten, formal freien Urnengang in der Geschichte des Landes ging eine Doppelregierung, bestehend aus der bis dahin regierenden kambodschanischen Volkspartei (CPP) von Ministerpräsident Hun Sen und der königstreuen Wahlgewinnerpartei FUNCINPEC hervor. Sämtliche Posten wurden aufgrund des hohen politischen Misstrauens zwischen den Fraktionen doppelt besetzt. Vom Ministerpräsidenten bis zum Dorfvorsteher gab es jeweils einen CPP- und einen FUNCINPEC-Amtsinhaber, ohne dass die internationale Gemeinschaft dieses absurde politische Gebilde infrage gestellt hätte. Permanent kam es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen den einzelnen Amtsinhabern beider Parteien. Dass diese Lösung keine den nachhaltigen Frieden sichernden Effekte haben könnte, blieb für die internationalen Truppen unerheblich. Sie zogen nach den Wahlen ab.

Dies sollte sich vier Jahre später bitter rächen, denn die Wahlen in Kambodscha hatten die politische Parteienkonstellation in dem Land nur mehr radikalisiert. Statt gemeinsam am Wiederaufbau des Landes und der Gesellschaft zu arbeiten, lag es den einzelnen Fraktionen ausschließlich daran, die eignen Pfründe zu sichern. Die Gefahr einer Rückkehr der Roten Khmer schwebte im Hintergrund, so dass jede der regierenden Parteien versuchte, diese durch Zugeständnisse auf die eigene Seite zu ziehen, um sich ein politisches Übergewicht zu verschaffen. Darüber hinaus hatte die mit dem Friedenskonsolidierungsprozess eingeführte Liberalisierung des Marktes dazu geführt, dass die einzelnen politischen Fraktionen begannen, den freien Markt zu ihren Gunsten zu missbrauchen. Als die FUNCINPEC im Sommer 1997 schließlich ein Abkommen mit den Roten Khmer schloss, in dem sie sich deren Unterstützung gegen die mitregierende CPP sichern wollte, eskalierten die regierungsinternen Spannungen in offenen Kämpfen mit mehreren Toten. Der vorläufige Tiefpunkt einer misslungenen Friedensmission war erreicht.

Der UN-Friedenseinsatz in Kambodscha ist nur eine der zahlreichen Missionen in den 1990er Jahren, die einen negativen Verlauf genommen haben. Man könne zwar nicht wirklich abstreiten, dass die meisten der Friedenseinsätze eine grundsätzliche Verbesserung der allgemeinen Lage bewirkt hätten, doch die allerwenigsten dieser Missionen hätten nachhaltig die Konfliktursachen beseitigt und damit die Grundlagen für einen andauernden Frieden geschaffen. Dies ist das niederschmetternde Ergebnis einer Studie des kanadischen Politologen und Sicherheitsexperten Roland Paris. In der Hamburger Edition ist sein bereits 2004 im Original erschienenes Werk At war’s end. Building peace after civil conflict  unter dem deutschen Titel Wenn die Waffen schweigen. Friedenskonsolidierung nach innerstaatlichen Gewaltkonflikten erschienen. Mit den Friedenseinsätzen in Angola und Ruanda, Kambodscha und Liberia, Bosnien und Kroatien, Nicaragua, El Salvador und Guatemala sowie Namibia und Mosambik untersucht der Kanadier darin insgesamt elf Fallbeispiele. Auf die Friedensmissionen am Ende der 1990er Jahre im Kosovo, Osttimor und Sierra Leone geht er aufgrund der 2004 noch nicht absehbaren Langzeitfolgen nur kurz in einem abschließenden Kapitel ein.

Grundlage seiner Untersuchung ist der Ansatz der liberalen Friedenstheorie. Diesen Ansatz bezeichnet er als »Wilsonianismus« in Anlehnung an das Konzept zur Befriedung Europas des ehemaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson, mit dem er 1918 gescheiterte war. Wilson schlug nach dem ersten Weltkrieg die politische und wirtschaftliche Liberalisierung als den einzig funktionierenden Weg vor, um Europa nachhaltig zu befrieden – er scheiterte katastrophal. Warum also die internationale Gemeinschaft allein in der Demokratisierung und Marktliberalisierung das Allheilmittel für die Befriedung von Bürgerkriegsgesellschaften zu erkennen glaubt – den Weg zu dieser Ansicht zeichnet Paris detailliert und faktenreich nach – ist für den Autoren nicht nachvollziehbar.

978-3-936096-79-8
Roland Paris: Wenn die Waffen schweigen. Friedenskonsolidierung nach innerstaatlichen Gewaltkonflikten. Aus dem Englischen von Doris Gerstner. Hamburger Edition 2007. 482 Seiten. 33,- Euro. Hier bestellen

An den genannten Beispielen macht Paris deutlich, warum in den meisten der von ihm untersuchten Fälle kein dauerhafter Frieden eingekehrt ist. Die eingeführten demokratischen Prozesse sowie die Entfesselung des Marktes von staatlicher Kontrolle haben die Konfliktlinien verschärft oder neue Konflikte entstehen lassen. Paris lässt hier allerdings die Tatsache unter den Tisch fallen, dass die Friedenstruppen in den meisten Fällen kein robustes Mandat besaßen und bei Verstößen gegen die in den Friedensabkommen festgelegten Regeln keine Sanktionen folgen. Zu oft kommen Rebellenarmeen nicht der Forderung der Waffenniederlegung und Entwaffnung bei oder Wahlen nicht frei und demokratisch durchgeführt Auch bei der Marktliberalisierung treiben die einstigen Übeltäter oft ein falsches Spiel, so dass die marktwirtschaftliche Demokratie in solchen Gesellschaften meist schon von Beginn an untergraben wird. So entstand in Kambodscha und Liberia lediglich der Anschein eines demokratischen Staates. Politische Demagogen haben dort die Führung übernommen und die Demokratie durch ihre repressiven Maßnahmen unterlaufen. In anderen Ländern, wie Bosnien oder Ruanda hat die Demokratisierung dazu geführt, dass vor allem diejenigen politischen Parteien an Macht gewonnen haben, die die »ethnische Karte« gespielt und erneut aggressive ethnische Auseinandersetzungen provoziert haben. In anderen Fällen, wie in denen der zentralamerikanischen Staaten, hat vielmehr die Marktliberalisierung der Schaffung eines dauerhaften und nachhaltigen Friedens entgegengewirkt. Die Auswirkungen der geforderten Strukturanpassungsmaßnahmen haben in diesen Staaten den erfolgreichen Demokratisierungsprozess unterlaufen. In El Salvador, Guatemala und Nicaragua, so beschreibt Paris faktenkundig, habe die ökonomische Liberalisierung die Gesellschaften zu den Konflikt auslösenden Ungleichheitsbedingungen zurückgeführt, die ursprünglich die Konflikte ausgelöst hatten.

Für Paris gibt es daher einen grundsätzlichen Fehler im wilsonianistischen Ansatz der Friedenskonsolidierung. Die von der internationalen Gemeinschaft eingeleiteten Prozesse der Demokratisierung und Marktliberalisierung hätten in großen Teilen nicht zu einer Beseitigung der Konfliktfaktoren geführt bzw. neue Probleme geschaffen. Lediglich in Namibia und Mosambik könne man von einem Erfolg reden, denn hier sei die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Kriegsausbruchs sehr gering. Allerdings seien die Konflikte in diesen Ländern überwiegend von externen Akteuren ausgelöst, die dem Friedenskonsolidierungsprozess nun nicht im Wege stehen. Worin liegt dann aber die Lösung für die Befriedung der meist multiethnischen Bürgerkriegsgesellschaften?

Roland Paris’ Vorschlag nennt sich institutionalisation before liberalisation (IBL – Institutionalisierung vor Liberalisierung). Er lehnt nicht den grundsätzlichen Umbau von Nachbürgerkriegsgesellschaften in marktwirtschaftlich orientierte Demokratien ab, sondern kritisiert die Übereile, die bei diesem Umbau meist herrscht. Die internationale Gemeinschaft sollte bei zukünftigen Friedensmissionen »zuerst die Grundlagen für handlungsfähige politische und wirtschaftliche Institutionen schaffen und erst dann die Wahldemokratie einführen sowie eine marktorientierte Strukturanpassungspolitik einleiten.« Nur auf diese Weise könne ein Mindestmaß an politischer Stabilität geschaffen werden, welches Grundbedingung für eine erfolgreiche Durchführung fairer und freier Wahlen sowie einer wirtschaftlichen Anpassung ist. In der Phase der Institutionalisierung müssten Verfahren entwickelt werden, die Mäßigung und nicht politische Radikalisierung belohnten. Die Zivilgesellschaft müsse gestärkt werden und die wirtschaftliche Umgestaltung Rücksicht auf die innere Friedfertigkeit der Gesellschaft nehmen. All dies geschehe jedoch viel zu selten, so Paris. Die Missionen seien zu selten für eine langatmige Institutionenbildung ausgelegt und die internationalen Finanzinstitutionen würden mit ihren Strukturanpassungsforderungen die wirtschaftliche Situation in den Ländern verschlechtern. Denn diese Anpassungsprogramme verlangen meist eine rigide Sparpolitik im Sinne der Haushaltskonsolidierung und Staatsentschuldung und verursachen damit wirtschaftliche Stagnation bzw. ein rückgängiges Wirtschaftswachstum in den betroffenen Ländern. Für die Abfederung dieser negativen Auswirkungen würde jedoch viel zu wenig Geld zur Verfügung gestellt, so Paris Vorwurf. Dies müsse sich dringend ändern.  Eine solche langfristige state-building-Strategie, wie sie Paris vorschlägt, erfordere natürlich höhere Kosten, gesteht er ein. Doch zur Umsetzung eines langfristigen Friedens müsse man diese hinnehmen, so der Politologe.

Allerdings unterschlägt Paris permanent das wesentliche Element in seiner Analyse. Die meisten Konflikte im Rahmen von Friedenskonsolidierungsprozessen treten dann auf, wenn die einzelnen Parteien sich nicht an die Abmachungen der Friedensverträge halten. Dies ist aber nur möglich, da die Truppen der Friedensmissionen kein bindendes Interesse haben, Friedensforderungen im Zweifel auch mit robusten Mitteln Nachdruck zu verleihen. Verstöße gegen die Friedensabkommen bleiben meist ungeahndet und die Weltgesellschaft sieht Schultern zuckend zu, wie Gesellschaften wieder in die Krise rutschen. Wenn Paris also state building fordert, so muss er auch betonen, dass dies im Zweifel auch mit harten Bandagen durchgesetzt werden muss. Doch darauf sind die Friedenstruppen meist nicht vorbereitet, zumal es oft Soldaten aus den Schwellenländern sind, die der westlichen Welt in solchen Einsätzen die Kohlen aus dem Feuer holen sollen. Wenn nicht alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft bereit sind, die von Roland Paris geforderte Institutionalisierung auch mit Waffengewalt und ausdauernd durchzusetzen, verläuft auch dieses IBL-Konzept im Sande. Diesen Aspekt behält der Kanadier seiner Leserschaft leider vor.

Bleibt die Frage, warum die internationale Gemeinschaft diese Opfer bringen sollte? Nun, in der globalen Gesellschaft sind innerstaatliche Kriege nicht mehr tragbar. Ihr Konfliktpotenzial durch entstehende Flüchtlingsströme sowie die sich ergebenden Rückzugsgebiete für Rebellen und internationale Terroristen ist zu hoch. Insofern sollte die internationale Gemeinschaft ihr Vorgehen bei zukünftigen Friedensmissionen gründlich überdenken. Roland Paris Werk Wenn die Waffen schweigen bietet dafür genügend Anregungen, die allerdings bis zur letzten Konsequenz zu Ende gedacht werden müssen.

Dass Demokratisierung und Liberalisierung gründlich daneben gehen können, zeigen nicht zuletzt auch die Entwicklungen jüngeren Datums im Nahen und Mittleren Osten, in dem das US-amerikanische Experiment der »Demokratisierung der arabischen Welt« gescheitert ist. Zwar gab es in den meisten der arabischen Länder in den vergangenen Jahren Mehrparteienwahlen, doch aus diesen sind meist die Radikalen und Extremisten als Sieger hervorgegangen – sei es die Hamas in den palästinensischen Gebieten oder der iranischen Konservativen um Präsident Mahmud Achmadinedschad. Im Irak haben die ethnisch-religiösen Nationalisten in den Regionen die Kontrolle übernommen, die sie mehrheitlich bevölkern und Afghanistan ist fest in der Hand der Warlords vergangener Tage. Von einem Erfolg der amerikanischen Strategie kann hier also kaum gesprochen werden kann. Und dank der globalen wirtschaftlichen Umstrukturierung im Sinne des Neoliberalismus sind die meisten arabischen Potentaten und Kriegsfürsten finanziell blendend aufgestellt, denn Moral und Anstand hat in dem neoliberalen Kampf um Alles oder Nichts keinen Platz.

All das fand in Roland Paris’ Buch keinen Eingang, da die nun vorliegende Übersetzung auf dem 2004 erschienen Original beruht. Eine Erweiterung hätte dem Buch gut getan und so vielleicht auch zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit dem Kosovo und Osttimor führen können. In beiden Krisenregionen sind die Konflikte inzwischen neu entbrannt bzw. haben sich wieder verschärft. Mit dem unabhängigen Kosovo existiert nun mitten in Europa eine dauerhaft wirtschaftlich völlig abhängige und politisch fragile Entität, bei der fraglich ist, ob sie den Frieden in der Balkanregion fördert oder eher gefährdet. Auch in Osttimor sind die politischen Kämpfe wieder ausgebrochen und eine neue internationale Schutztruppe wurde entsandt. Nach den Wahlen 2007 kam es erneut zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die bis heute andauern. Gerade weil dies Paris’ Thesen nur zusätzliches Gewicht verleiht, wäre eine Aktualisierung des Buches sinnvoll gewesen.

Aller Kritik zum Trotz, die faktenreiche und ausgezeichnet recherchierte Studie wäre eine ausgezeichnete Basis für eine weltweit längst überfällige Diskussion um die Ausgestaltung künftiger Friedensmissionen. Allerdings ist Skepsis angebracht, inwiefern das Buch eine solche auslösen kann, hat es doch in der englischsprachigen Welt wenig Eindruck hinterlassen. Nicht einmal die »Sackgasse Irak« konnte dem Werk eine tiefere Resonanz im anglophonen Sprachraum verleihen. Es ist zu hoffen, dass sich dies ändert. Anlass gäbe es genug.

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