Fotografie, Politik

Die Bilder der Pandora

Der Fotograf Christoph Bangert veröffentlicht in »War Porn« Aufnahmen, die die ihn beauftragenden Redaktionen aufgrund ihrer grausamen und schockierenden Bildaussagen nicht publizieren wollten. Bangert aber macht das Wegsehen wütend.

Der Fotograf Christoph Bangert war in den palästinensischen Gebieten, Afghanistan, Pakistan, Darfur, Irak, Indonesien, Zimbabwe und Nigeria. Viele Fotografien, die er aus diesen Staaten mitgebracht hat, sind in Konfliktzeiten entstanden. Aufgrund ihrer Drastik haben die Redaktionen, in deren Auftrag er unterwegs war, darunter die New York Times, die Neue Zürcher Zeitung und der Stern, sie nicht veröffentlicht. War Porn – Kriegspornographie – nennt er diese von der redaktionellen Zensur unterdrückten Bilder, weil sie, wie Pornographie, das Potenzial haben, die abgebildeten Subjekte zu entmenschlichen. Dennoch hat er sie nun in einem kleinen, unauffälligen Bildband veröffentlicht. In Postkartengröße sind darin Aufnahmen gedruckt, die niemand sehen durfte, weil deren Bildaussage »zu weit« ging.

»Sie sollen diese Bilder nicht sehen. Niemand sollte das«, beginnt der unter anderem mit einem World Press Photo Award ausgezeichnete Bangert seinen einleitenden Text, in dem er erklärt, warum er sie nun dennoch vorlegt. Er wolle herausfinden, wie man mit Bildern umgeht oder eben nicht umgeht, die die Grausamkeiten der Wirklichkeit abbilden. Es geht ihm darum, nicht andere über Zensur und Selbstzensur entscheiden zu lassen, sondern dem Betrachter die Entscheidungshoheit darüber an die Hand zu geben, wie viel der Wirklichkeit er in seinen eigenen Wahrnehmungskreis lassen möchte.

© Christoph Bangert
© Christoph Bangert

Das Experiment funktioniert folgendermaßen: Einige Fotografien kann man sehen, indem man durch die in graue Pappe gebundenen Aufnahmen blättert. Andere sind aber in unbeschnittenen Doppelseiten verborgen, die man entlang einer Perforation öffnen kann. Es ist nun jedem Einzelnen selbst überlassen, sich die verborgenen Bilder anzusehen oder nicht. Der Verschluss bestimmter Bilder folgt dabei keiner Regel. Es sind nicht unbedingt die grauenhaftesten Fotografien, die sich in einer geschlossenen Doppelseite verbergen. Manchmal verschaffen einem die eigens geöffneten Seiten gar eine Atempause von den sie umgebenden festgehaltenen Gräueln, hinter einem verbirgt sich ein Selbstporträt Bangerts.

Es geht dem Fotografen um zweierlei: Zum einen soll sich der Betrachter für die Dauer der Wirkung dieser Bilder in die Rolle des Fotografen und der Menschen, die er fotografiert hat, versetzen, die wenige Stunden vor diesen Aufnahmen weder wussten, was sie erwartet, noch sich ihr Schicksal aussuchen konnten. Zum anderen geht es ihm offenbar nicht um die Qualität der Grenzüberschreitung, sondern um die Quantität. Wie oft erträgt das menschliche Auge den absoluten Horror, der aus diesen Bildern entgegenschlägt? Eine Frage, die sich auch Bangert, Jahrgang 1978, täglich stellen muss. Als Fotograf in Krisenregionen kann er es sich nicht aussuchen, ob er hinschaut oder nicht. Hinschauen ist sein Auftrag. Er muss sehen und festhalten, was hinterher womöglich aussortiert wird; und sei es nur dafür. Was er schon alles über diese Bilder hinausgehend gesehen haben muss – man mag es sich nicht vorstellen.

© Christoph Bangert
© Christoph Bangert

Die meisten der Aufnahmen sind eine Zumutung. Im erträglichsten Fall zeigen sie das Chaos nach einer Bombenexplosion, schreiende und weinende Menschen, hektische Szenen. In den meisten Fällen zeigen diese Bilder aber Blutende und schwer Verletzte, mit offenen Wunden und fehlenden Gliedmaßen, mit schweren Verbrennungen oder Folterspuren. Über den Bewusstseinszustand der Fotografierten kann das Bild meist keine Auskunft geben. Oder sie zeigen Leichen jeden Alters, abgelichtet in allen denkbaren Zuständen und Positionen. Sie liegen auf blutüberströmten Fußböden von Krankenhäusern und Leichenhallen, noch im Schmutz am Tatort oder, von Tieren angefressen, auf dem Müll.

Was diese versammelten Fotos vereint, ist die alle Vorstellungskraft übersteigende Gewalt und Unmenschlichkeit, die aus ihnen spricht. Sie sind Zeugnis einer Barbarei, die die einen Menschen erleiden und die die anderen sich vom Leib zu halten erhoffen, indem sie sich mit dieser Gewalt nicht konfrontieren. Diese Haltung macht Bangert wütend: »Diese Fotografien sind im Gegensatz zu den Gewaltstreifen aus Hollywood oder die Videospiele, die wir uns bereitwillig und regelmäßig reinziehen, nicht-fiktional. Sie dokumentieren und interpretieren wirkliche Ereignisse. Wie können sie dann bedeutungslos oder unwichtig sein?« Diese grundsätzliche und berechtigte Frage begleitet diese Bilder, die dann am bedrückendsten sind, wenn die Gewalt bereits von einer tiefen Traurigkeit verdrängt worden und Stille eingekehrt ist. Denn die Stille, soviel ist sicher, ist der Tod.

Christoph Bangert – War Porn from Kehrer Verlag Heidelberg on Vimeo.

Der Kritik, dass viele der fotografierten Menschen in ihren Zuständen nicht hätten fotografiert werden wollen, begegnete Bangert im SPIEGEL-Gespräch energisch: »Im Gegenteil. Die Leute vor Ort wollen fotografiert werden. Sie wollen, dass alle sehen, was da passiert. Das allermeiste Leid wird nicht fotografiert. Aber das, was aufgenommen wird, muss auch veröffentlicht werden. Deshalb tue ich das jetzt. Die Bilder haben eine Funktion: Sie informieren diejenigen, die sich das nicht mit eigenen Augen ansehen können. Wir müssen uns für das interessieren, was auf der anderen Seite der Welt passiert, egal wo. Und wenn es schrecklich ist, sollte es uns erst recht interessieren.«

WarPorn_Cover_web
Christoph Bangert: WAR PORN. Kehrer Verlag 2014. 192 Seiten. 98 Farbabbildungen. 29,90 Euro. Hier bestellen

Bangert und mutmaßlich auch viele seiner Kollegen, schauen täglich für die Welt hin. Sie sehen die Grausamkeiten, die sich Menschen antun, und halten sie fest. »Ich bin ein Fotograf«, schreibt er, »und meine Pflicht ist es, meine Aufnahmen zu veröffentlichen. Wenn mir das nicht gelingt, bin ich gescheitert.« Mit War Porn kommt er dieser Selbstverpflichtung nach. Sein Anliegen ist ein Grundsätzliches: Menschen müssen bereit sein, die Wirklichkeit wenigstens wahrzunehmen und hinzuschauen. Denn schon einmal haben Menschen nicht sehen wollen, was sich vor ihren Augen abgespielt hat. Und dann kam die Befreiung der Konzentrationslager.

Homepage des Fotografen

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