Film

Oppenheimer oder: Der Mann, der das Feuer brachte

Auf diesen Film haben die Fans von Christopher Nolan gewartet. In »Oppenheimer« erzählt er in glänzenden Bildern und berauschendem Sound von dem Mann, der die Atombombe erfand. Mit dieser bildgewaltigen und nicht ganz einfach konstruierten Geschichte über einen amerikanischen Prometheus dürfte ihm eine weitere Oscar-Nominierung sicher sein.

Unablässig knistert, piept, flüstert, rauscht, grummelt und donnert es auf der Tonspur von Christopher Nolans neuem Filmprojekt »Oppenheimer«. Es sind die Geräusche des sich ankündigenden Unheils, die in dem viel erwarteten Drama des britisch-amerikanischen Regisseurs bis zum Anschlag aufgedreht werden. Nur um sie dann zum Nullpunkt herunterzuziehen, wenn die Explosion die Leinwand in ein so blendendes Licht taucht, dass man sich wünschte, man hätte eine der Brillen auf, die die Beobachter der ersten atomaren Explosion in Los Alamos am 16. Juli 1945 tragen. Denn in dem Moment ist nur das Atmen und der Pulsschlag derjenigen zu hören, die jahrelang am Manhattan-Projekt mitgearbeitet haben. In eine gefühlte Ewigkeit dehnt Nolan diesen Moment aus, lässt in Zeitlupentempo die Flammen in der aufsteigenden Feuersäule für sich sprechen, bevor der Film wieder in Echtzeit wechselt und mit der Verzögerung des Schalls die Explosion auch auf der Tonspur ankommt und ein ohrenbetäubender Knall die Zuschauer aus den Sesseln reißt.

Dieser überwältigende Moment spielt sich etwa nach 90 Minuten in »Oppenheimer« ab. Es könnte der Höhepunkt in der Geschichte der Erfindung der Atombombe sein, aber nicht in diesen kriegsbewegten Zeiten und schon gar nicht bei Christopher Nolan. Hier ist diese Szene nur eine Momentaufnahme in der komplexen Geschichte der Erfindung der schlimmsten Waffe der Menschheit und ihren fatalen Folgen. Deshalb schließen sich an die Ereignisse rund um den Trinity-Test im Sommer 1945 noch gut 90 Minuten an, in denen der fatale Einsatz der Atombombe in Hiroshima und Nagasaki, Oppenheimers Engagement für eine weltweite Einhegungspolitik sowie die politischen Debatten nach dem Krieg, auch im Zuge der Verfolgung der Kommunisten in der McCarthy-Ära, aufgegriffen werden. Das wirkt überladen, aber Nolan will nicht weniger, als ein Leben erzählen.

Cillian Murphy is J. Robert Oppenheimer in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved

Über 100 Millionen soll die Produktion gekostet haben, in der neben Cillian Murphy in der Hauptrolle unter anderem Emily Blunt, Florence Pugh, Matt Damon, Robert Downey Jr., Rami Malek, Keneth Branagh, Garry Oldman und Matthias Schweighöfer mitwirken. Es gibt nur eine Handvoll Regisseure in Hollywood, die auf eine solche Riege Hollywoodstars zurückgreifen können, Nolan gehört zweifellos dazu. Mit visuell wie erzählerisch anspruchsvollen, aufregenden und mitreißenden Filmen wie »Memento«, seiner Batman-Trilogie »Batman Begins«, »The Dark Knight« und »The Dark Knight Rises«, dem Science-Fiction-Epos »Interstellar«, dem Kriegsfilm »Dunkirk« sowie zuletzt mit seiner aufsehenerregenden SciFi-Agenten-Story »Tenet« hat er Kritik und Zuschauer begeistert. Mehr als fünf Milliarden Dollar und elf Oscars haben diese Blogbuster eingespielt, Nolan selbst fehlt noch die wichtigste Trophäe der Filmwelt. Für »Oppenheimer« könnte er sie nun endlich bekommen.

L to R: Robert Downey Jr is Lewis Strauss and Cillian Murphy is J. Robert Oppenheimer in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved.

Der Film erzählt in spektakulären Farb- und Schwarz-Weiß-Bildern vom Aufstieg und Fall des amerikanischen Helden von Robert J. Oppenheimer, der sich in Deutschland als Quantenphysiker einen Namen macht, vor den Nazis in die USA flieht und dort als Leiter des legendären Manhattan-Projekt den Wettlauf um die erste Atombombe gegen die Nazis und die Sowjets gewinnt. Seine Erfindung wird im Krieg gegen Japan eingesetzt, wofür er erst als Held gefeiert wird. Als er sich später aus moralpolitischen Beweggründen für ein internationales Abkommen zur Kontrolle atomarer Waffen einsetzt, wird er als Sympathisant der Kommunisten in einer Art Schauprozess öffentlich diffamiert.

OPPENHEIMER, written and directed by Christopher Nolan | © Universal Studios. All Rights Reserved.

Grundlage des Films ist die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Biografie »American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer« von Kai Bird und Martin J. Sherwin, die in der Übersetzung von Klaus Binder bei Ullstein vorliegt. Darin wird die Lebensgeschichte von J. Robert Oppenheimer als Drama eines Forschers erzählt, der sich zwischen Erkenntnisdrang und ethischer Verantwortung entscheiden muss. Dies ist auch leitgebend für den Film, der immer wieder hin- und herspringt zwischen Zeiten und Orten. Ausgangspunkt der Erzählung ist eine Sicherheitsbefragung, die der Physiker in den fünfziger Jahren aufgrund einer Jahrzehnte zurückliegenden Nähe zur kommunistischen Partei über sich ergehen lassen muss. Seine Aussagen hier dienen Nolan als Sprungbrett, um in die Geschichte der Erfindung der Atombombe zu springen und abzutauschen.

Kai Bird, Martin J. Sherwin: J. Robert Oppenheimer. Die Biographie. Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder. Ullstein Verlag 2023. 704 Seiten. 16,99 Euro. Hier bestellen.

Dabei stehen zunächst der akademische Wettbewerb sowie die privaten Eskapaden im Leben des Physikers im Mittelpunkt. Florence Puff spielt die freizügige Kommunistin Jean Tatlock, der der junge Oppenheimer geradezu manisch verfiel. Dieser hinreißenden Femme Fatale steht in Emily Blunt als Kitty Oppenheimer eine interessante Figur gegenüber, die die erotischen Ausflüge ihres Mannes, dessen Neigungen zur Depression und sein schwankendes Gemüt stoisch erträgt, die auferlegte Beschränkung auf Kinder und Haushalt aber in Alkohol ertränkt. Ein wirklich gutes oder ausgewogenes Bild von Frauen zeichnet »Oppenheimer« nicht, sie bleiben an vielen Stellen Objekt der Begierde oder absicherndes Heimchen am Herd.

Front Row L to R: Christopher Denham as Klaus Fuchs, Seth Neddermeyer is Devon Bostick, Emily Blunt is Kitty Oppenheimer, Gustaf Skarsgård is Hans Bethe, and Josh Peck is Kenneth Bainbridge in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved.

Unter den Wissenschaftler:innen (hier zeigt Nolan zumindest am Rand, dass schon damals Forschung ohne Frauen undenkbar war) sind es vor allem Albert Einstein, Niels Bohr und Werner Heisenberg, mit und an denen sich Oppenheimer abarbeitet. Seine Forschungen gehen in Bereiche, die die anderen nicht betreten haben, wenngleich Bohr und Einstein geradezu väterliche Rollen einnehmen. Für die Geistesblitze und gedanklichen Echokammern, die den jungen Oppenheimer in seinen Lehrjahren einnahmen, hat Nolans Film eindrucksvolle visuelle Effekte gefunden, in denen Sterne explodieren und Energien vibrieren.

L to R: Tom Conti is Albert Einstein and Cillian Murphy is J. Robert Oppenheimer in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved.

In den USA dann wird aus der Theorie eine Praxis und in der Wüste New Mexicos entsteht eine geheime Anlage, wo Oppenheimer gemeinsam mit den klügsten Köpfen seiner Generation die Atombombe erfindet. Die Hürden, die es dabei zu nehmen galt, waren gigantisch, schließlich galt es, physikalische Gesetze, die bis dahin unangefochten galten, aus den Angeln zu heben. So trieb die Forscher die Angst um, mit der atomaren Spaltung eine unaufhaltbare Kettenreaktion loszutreten, die die gesamte Welt in Flammen setzen würde. Im Manhattan-Projekt sollte dieses Problem gelöst werden, was aber nicht heißt, dass es unter den Forscher:innen keinerlei moralische Bedenken gab. Vielen war bewusst, dass die Atombombe, einmal Wirklichkeit geworden, eine Gefahr für die Welt war.

Benny Safdie is Edward Teller in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved.

Auch Oppenheimer selbst hatte moralische Zweifel. Überzeugt davon, als Erster die Bombe bauen und dann für sichernde Systeme streiten zu müssen, bevor ihm andere ohne Bedenken zuvorkommen und die Welt in den Abgrund stürzen, wischte er diese Bedenken zur Seite. Er ging sogar so weit, den Einsatz der Bombe in Japan befürwortet zu haben, weil er der Ansicht war, dass die Menschheit erst die zerstörerische Kraft dieser Bombe verstehen werde, wenn sie sie einmal gesehen habe. Knapp 80 Jahre später ist die Menschheit kein bisschen weiser. Wie groß die atomare Gefahr ist, zeigt die aktuelle weltpolitische Lage mehr als deutlich. Vor dem Hintergrund, dass Russlands Präsident Putin schon mehrmals mit dem Einsatz atomarer Waffen gedroht hat, bekommt Nolans aktueller Film eine neue Ebene.

Cillian Murphy is J. Robert Oppenheimer in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved

Dazu tragen auch die überwältigenden Bilder bei, die Nolan mit klassischen analogen Großformat-Kameras eingefangen hat. An den Explosionen, Feuer- und Rauchpilzen ist nichts künstlich animiert, sondern alles in Echtzeit gestochen scharf eingefangen und dann in Zeitlupe verarbeitet. Dies gibt dem Film einen eigentümlichen Realismus, allzu real möchte man fast sagen. Es gibt Momente, da vermisst man vor lauter Realität die ungreifbaren Parallelwelten, in die Nolan in seinem Schaffen immer wieder entführt. Hier aber gibt es keine Flucht, die Bedrohung ist echt und auch knapp 80 Jahre nach den Ereignissen überaus real.

Cillian Murphy is J. Robert Oppenheimer in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved

Ein solcher Film lebt aber nicht allein von seinen Bildern, sondern auch von seinen Hauptdarsteller:innen. Der irische Schauspieler Cillian Murphy – Nolan-Fans als Batman-Gegenspieler Scarecrow in der »Dark-Knight«-Trilogie oder als zitternder Soldat in »Dunkirk«, vielen anderen aus der Fernsehserie »Peaky Blinders – Gangs of Birmingham« bekannt – beeindruckt in der Hauptrolle des wechselhaften Physikers, der zwischen Genie und Wahnsinn schwankt. Er ist das pulsierende Herz des Films, aus seiner Perspektive werden die Ereignisse nachgezeichnet. Comic-Kenner Nolan hat ihn als Morpheus-Figur angelegt, wie sie »Sandman«-Lesende kennen. Diese Figur ist ein Traumweber, nur dass sein Traum zum Albtraum aller wird. Murphy spielt diese geheimnisvolle, kaum zu greifende Figur mit einer magnetischen Energie, die an Eddie Redmayne als »Danish Girl« erinnert.

OPPENHEIMER, written and directed by Christopher Nolan | © Universal Studios. All Rights Reserved.

J. Robert Oppenheimer ist der amerikanische Prometheus, der den Menschen das vernichtende Feuer bringt, dann gefesselt den Bestien zum Fraß vorgeworfen wird, um schließlich doch noch begnadigt zu werden. Er teilt mit dem göttlichen Bedenkenträger diese Geschichte. Murphy schlüpft mit Haut und Haar in diese ambivalente Rolle, als sei sie ihm auf den Leib geschrieben.

Matt Damon is Leslie Groves in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved.

Matt Damon, der mit Nolan bereits in »Interstellar« zusammengearbeitet hatte, spielt den US-Militär Leslie Groves, der neben Oppenheimer die militärische Verantwortung für das Manhattan-Projekt trägt. Er spielt etwas hölzern einen respektvoll zugeneigten Counterpart, der mit einer ausreichenden Portion Egoismus und Selbstbewusstsein ein militärisches Ziel verfolgt, ohne moralische Fragen zu stellen. Während sich Oppenheimer Groves Unterstützung gewiss sein kann, wird der Gründungsbeauftragte der amerikanischen Atomenergiekommission Lewis Strauss zu seinem politischen Gegenspieler, der erst Tests mit Wasserstoffbomben gegen Oppenheimers Willen und dann als dogmatischer Antikommunist dessen öffentliche Denunzierung vorantrieb. Robert Downey Jr. spielt diesen komplexen Charakter mit eindrucksvoller Hingabe, sympathisch wird er einem aber nicht.

Robert Downey Jr is Lewis Strauss in OPPENHEIMER, written, produced, and directed by Christopher Nolan. | © Universal Pictures. All Rights Reserved.

»Oppenheimer« ist packend bis zur letzten Szene, auch weil die Figur trotz aller Angriffe von außen komplex bleibt. Der Physiker hätte sein Tun einfach bereuen können. Stattdessen war er bis zum Schluss der Überzeugung, dass er aus wissenschaftlicher Sicht richtig gehandelt habe. Hier wird Christopher Nolan dann aktiv, er will das seiner Hauptfigur so nicht durchgehen lassen. Als könnte er selbst nicht ertragen, dass seine Figur als Wissenschaftler jede Skrupel über Bord warf. In den frenetischen Jubelstürmen nach den erfolgreichen Tests und dem Einsatz der Bomben in Hiroshima und Nagasaki verschiebt er dann doch für ein paar Sekunden die Wirklichkeitsebene. Da werden die feiernden Massen plötzlich zu elendig verreckenden Kreaturen, denen die Haut in Streifen vom Körper hängt oder die verkohlt auf dem Boden liegen. Hier implodieren Zeit und Raum und Nolan schreibt dem Menschen hinter dem Physiker so etwas wie Schuldgefühl auf den Leib.

Christopher Nolan: Oppenheimer. Mit Cillian Murphy, Emily Blunt, Florence Pugh, Matt Damon, Robert Downey Jr., Rami Malek, Keneth Branagh, Garry Oldman und Matthias Schweighöfer. Universal Pictures 2023. 181 Minuten. FSK 12.

»Ob es einem gefällt oder nicht: J. Robert Oppenheimer ist der wichtigste Mensch, der je gelebt hat. Er hat die Welt, in der wir leben, geprägt – im Guten wie im Schlechten«, wird Nolan im Presseheft zitiert. Man müsse seine Geschichte gesehen haben, um sie zu glauben, weil sie voller Widersprüche ist. J. Robert Oppenheimer war ein Genie der Wissenschaft und zugleich der Wegbereiter der tödlichsten Waffe der Menschheit. Er dachte offensichtlich, das Ende der Welt riskieren zu müssen, um es zu verhindern. Er hinterließ eine permanente Bedrohung. Welche Motive ihn angetrieben haben, die Wissenschaft zu revolutionieren und zugleich die Zivilisation zu riskieren, davon handelt dieses dreistündige Epos, das einem noch lange nach dem Kinobesuch durch den Kopf geht.

2 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.