Die schwedische Schriftstellerin Lina Wolff schreibt aus entschieden feministischer Perspektive und führt uns die virile Misogynie (der Literatur) unserer Zeit vor Augen. In ihrem neuen Roman rächt sich eine junge Frau an einem Mann und zugleich an der Literatur.
»Men are not so much giftet with penises as cursed with them«, schreibt Stephen King in seinem Roman Das Spiel, in dem sich ein an sich gelangweiltes Ehepaar in ihrem abgeschiedenen Ferienhäuschen SM-Spielereien hingibt, die überraschend und folgenschwer aus dem Ruder geraten. In dem zweiten Roman der schwedischen Autorin Lina Wolff erinnert sich der selbstverliebte Schriftsteller Max Lamas, wie ihm seine Ex-Frau diesen Satz aus Kings Roman vorlas und liefert seine Interpretation gleich mit dazu. »In der Regel geht man davon aus, die Männer hielten das Ruder in der Hand, aber das stimmt nicht. Sie versuchen zwar zu steuern, scheitern aber daran.«
Der Roman »Die polyglotten Liebhaber« erzählt von Männern, die meinen, sie würde dieses Scheitern nicht ereilen, und von Frauen, die, wenn schon nicht ihr Leben, dann doch zumindest die Männer, die sie hineinlassen, fest im Griff haben. Eine dieser Frauen ist Ellinor, die erste der drei Erzählstimmen in diesem Roman, die als Jugendliche lernt, sich wie ein Junge zu prügeln, und später online nach einem »zärtlichen, aber nicht allzu zärtlichen Mann« sucht. Sie trifft auf den übergewichtigen Literaturkritiker Calisto und nach einer Nacht, in der einiges aus dem Ruder läuft, macht sie sich in seinem Leben breit. Nicht immer ein Vergnügen, wie die weitere Handlung deutlich macht. »Es kam mir vor, als würde ich die Einsamkeit mit ihm teilen, aber diese Art von Einsamkeit verschwand nicht, wenn man sie mit jemandem teilte, im Gegenteil, sie verdoppelte sich, es war, als würde seine Einsamkeit größer, nur weil wir miteinander sprachen.«
Calisto überlässt ihr tagsüber sein mit Büchern gefülltes Haus. Sie bricht die lärmende Stille der Einsamkeit, indem sie sich durch das Bücherregal des Kritikers liest. Auch das ist nicht immer ein Vergnügen, denn die nihilistische Literatur der Moderne hat es Calisto angetan, allen voran das französische enfant terrible Michel Houellebecq. Umso verlockender ist das Manuskript eines Romans mit dem Titel »Die polyglotten Liebhaber«, dass sie auf dem Schreibtisch von Calisto findet und das diesem von einem ihm verehrten Autor anvertraut wurde.
Wolff hat selbst eine Affinität zum Polyglotten. Sie war mit einem Spanier verheiratet und hat mit ihm und dem gemeinsamen Sohn einige Jahre auf der iberischen Halbinsel gelebt, bevor Sie 2007 wieder nach Schweden zurückzog. Ihr Blick ist nie eindimensional, sondern geht über Grenzen – echte und gefühlte. Entsprechend welthaltig ist auch ihr neuer Roman, der als literarisches Spiel den Titel des Manuskripts trägt.
Das autobiografische Manuskript im Roman handelt von einem Schriftsteller namens Max Lamas – dem zweiten Erzähler – und seiner Suche nach der perfekten Frau. Diese soll nicht nur seine elf Sprachen beherrschen, sondern Schönheit, Erinnerung und Unnahbarkeit in sich vereinen. Diese Suche führt Lamas bis nach Italien und zur dritten Erzählerin Lucrezia, bei der die Geschichte des Romanmanuskripts, dass Ellinor in einem Racheakt zerstört, ihren Anfang nimmt.
»Männer schreiben über Männer und Sex«, heißt es in Lina Wolffs Roman, der die Misogynie in bestechender Weise entlarvt, indem er sie vorführt. Die Männer in diesem Roman gefallen sich in der dominant-selbstverliebten Rolle. In einem Spiegel-Interview beklagte Wolff im vergangenen Jahr »die Zurschaustellung des weiblichen Körpers« und »die Brutalität, der junge Frauen ausgesetzt werden«. Doch genau das feiern Wolffs männliche Protagonisten in ihrem neuen Roman. Das klingt dann so: »Zwischen Daumen und Zeigefinger hielt ich das gesamte Selbstwertgefühl einer Frau. Ich hatte die uneingeschränkte Macht. Ich konnte sie begnadigen. Ich konnte sie brechen.« Oder: »Setz Dich an die Bar und tu so, als wärst du käuflich, dann finde ich dich.«
Diese Haltung wird in dem mit dem renommierten schwedischen Augustpreis ausgezeichneten Roman natürlich vielfach ironisch gebrochen. Die 45-jährige Wolff gehört seit der Veröffentlichung ihres ebenfalls preisgekrönten Debütromans »Bret Easton Ellis und die anderen Hunde« neben Autorinnen wie Mirandy July und Maggie Nelson zu den neuen feministischen Stimmen, die man gelesen haben muss. Der Titel ihres Debüts spricht für sich. Er handelt von den Prostituierten in einem kleinen spanischen Kaff und ihren Hunden. Diese werden Opfer ihrer Frauchen, wenn diese von ihren Freiern schlecht behandelt werden. Dass die Hunde dabei die Namen von Autoren wie Geoffrey Chaucer, Dante Alighieri oder eben Bret Easton Ellis tragen, die für ihre gewalttätige und frauenverachtende Literatur bekannt sind, ist kein Zufall. Die Erzählerin dieser Geschichte, eine junge Schriftstellerin namens Alba Cambó, männliche Autoren wie Michel Houellebecq, Bret Easton Ellis oder Charles Bukowski, als »träge masturbierende Affen in überhitzten Käfigen«, »die die Buchseiten mit Sperma vollspritzen«.
Lina Wolffs Literatur ist erfrischend anders als die vielen Altmännerfantasien, die jährlich die Buchläden erobern. Sie schreibt darüber, wie Männer über Männer und Sex mit Frauen als Eigentum schreiben. Sie übersetzt #MeToo in eine in und für die Literatur und darüber hinausweisende verständliche Sprache. Zugleich erzählt sie einfallsreich und überraschend von der Wirklichkeit, in der wir leben. Ihre Prosa ist leicht im Ton, bedeutungsschwer in ihrer Ausrichtung und provokant in ihrer Wirkung. Eine Provokation, die dringend nötig ist, um die eingefahrenen Perspektiven zu wechseln. Lina Wolff ist eine der Autorinnen der Stunde. Hören respektive lesen muss sie jeder selbst.
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