In Ilija Trojanows Polit-Thriller »Doppelte Spur« gehen zwei investigative Journalisten den kriminellen Machenschaften der Mächtigen dieser Welt auf den Grund.
»In einer Welt, in der die Wahrheit nicht mehr zugänglich ist, muss sich ein jeder seinen eigenen Reim auf die Rätselhaftigkeit der Entwicklungen machen«, räumt Ilija Trojanows journalistisches Alter Ego ein, nachdem er ein Buch mit exklusiven Enthüllungen über die Verbindungen zwischen dem organisierten Verbrechen und der Politik veröffentlicht hat. Es handelt von betrügerischen Immobilien- und Finanzgeschäften, von wilden Sexparties mit viel zu jungen Mädchen, von Bestechung, Korruption und Wahlkampfmanipulation.
Das Buch basiert auf den Leaks eines amerikanischen und eines russischen Whistleblowers. Der Roman erzählt, wie Trojanows Investigativ-Journalist dieser doppelten Spur folgt. Unterstützt wird er dabei von einem Kollegen, den er Boris nennt, und einer Dokumentarfilmerin namens Emi. Je länger sie recherchieren, desto mehr verdichten sich die Hinweise auf die Existenz eines internationalen Netzwerks aus Macht, Korruption und Verbrechen, das bis in höchste Staatsämter reicht.
»Alles an diesem Roman ist wahr oder wahrscheinlich« stellt der echte Trojanow seinem Buch voran, was auch stimmt, betrachtet man die wesentlichen Informationen, die Trojanows fiktives Alter Ego zu Tage befördert. Da ist beispielsweise die illustre Liste mit ehemaligen KGB-Offizieren, Fifa-Funktionären, Staatschefs und CEOs, die alle völlig überteuerte Appartements in einer New Yorker Luxusimmobilie erworben haben, die Donald Trump gehört. Oder die intensiven Bewegungen zwischen den Servern der russischen Alfa Bank und Trumps Wahlkampfteam während des Wahlkampfs 2016, die der Bankdirektor den Medien später als »schreckliche Tortur« wie in einem Kafka-Roman verkauft hat. Oder der Aufstieg eines gewissen Jeffrey Epstein (zweifelsohne eine der stärksten Passagen im Roman), der erst »in den dunkelsten Grotten des Geldwesens unterwegs war«, um dann einen exklusiven Sexklub zu gründen, in dem er einflussreiche Päderasten mit minderjährigen Sexsklaven versorgte. Auch die Entstehung der russischen Oligarchie und der Missbrauch staatlicher Instrumente für persönliche Interessen entspricht allseits bekannten Fakten. Allein die Montage und ihre Anreicherung zu einer Whistleblower-Geschichte, in der nur drei Charaktere nicht mit dem Klarnamen genannt, aber erkennbar beschrieben sind, machen »Doppelte Spur« zu einem fiktionalen Text.
Mit diesem erzählerischen Ansatz nähert sich der Wiener Autor der Realität aus zwei Richtungen, nämlich denen von Fakten und Fiktion. Er tauscht ihre Rollen und folgt damit der Logik der Gegenwart, in der jeder seine eigene Wirklichkeit schafft. Indem Weltensammler Trojanow die extremsten Beispiele des Machtmissbrauchs der Trumps, Putins und Epsteins zu einem fiktionalisierten Faktenturm anhäuft und verbindet, führt er vor Augen, wie wenig uns diese bekannten Skandale kümmern.
Trojanow, der schon vor gut einem Jahrzehnt mit Juli Zeh über den »Angriff auf die Freiheit« durch den Abbau bürgerlicher Rechte und staatlicher Überwachung geschrieben hat, zeigt hier einmal mehr, dass ihm die Nachvollziehbarkeit politischen Handelns ein wichtiges Anliegen ist. Er greift im Roman die Phänomene auf, die heute dazu beitragen, dass die Demokratie unterwandert wird. Da ist davon die Rede, dass der Skandal zur Norm wird, dass die Überinformation eine Strategie sei, um die Information als solche zu unterlaufen und dass im Geräuschnebel von Click-Ställen »die Freiheit einen anonymen Tod stirbt«.
Und wie steht es um die Demokratie? Einer der Whistleblower erweist sich als Machtpolitiker mit zweifelhaften Motiven, der einräumt, dass er, wenn er die Instrumente von High Tech, Datenanalyse und Profiling beherrscht, jedes gewünschte Ergebnis herbeiführen kann. »Das ist Politik heutzutage: Eine hundert Millionen investieren, um einige Milliarden zu verteidigen. Und mit Schiefer Turm an der Macht ist unsere Klasse ein gehöriges Stück weitergekommen. Das will ich bekämpfen, das muss ich bekämpfen, und sie sind mir ein verlässlicher Fußsoldat. Kein Grund, sich zu grämen.«
Doch was ist hier nun wahr und was Verschwörung? Das lässt dieser clevere Roman bis zum Schluss offen. Ist das wichtig? De facto nicht, denn »in jeder Verschwörungstheorie ist ein Körnchen Fakt, sonst würde sie nicht funktionieren.« Literarisch aber ist das genial, denn entweder hat man es hier mit einer dreisten Kopie der Wahrheit im Kleid der Literatur zu tun oder mit einem Enthüllungsbuch ersten Ranges.
»In einer Welt, in der die Wahrheit nicht mehr zugänglich ist, muss sich ein jeder seinen eigenen Reim auf die Rätselhaftigkeit der Entwicklungen machen.« Das gilt auch für Trojanows neuen Roman.
In kürzerer Form erschein dieser Beitrag in der Galore 42/2020
[…] von geheimen Missbrauchszirkeln – was an Jeffrey Epsteins exklusiven Sexclub erinnert, den Ilija Trojanow in seinem gerade erschienenen Roman »Doppelte Spur« in den Blick nimmt –, von einem Krieg mit Cyber- und Biowaffen, vom digitalen Wettrüsten, einem […]