Ein Kartäusermönch muss nach Jahrzehnten des Rückzugs seine selbst gewählte Isolation verlassen. Zurück in der Welt keimen Zweifel an seinem klösterlichen Dasein auf.
»Wenn ich keine Zweifel hätte, bräuchte ich nicht glauben. Dann hätte ich keinen Glauben, sondern Gewissheit«, sagt Don Marcus alias William zu Mery, einer jungen Frau, die ihn fragt, wie er das aushalte, jahrelanges Schweigen im Kloster. Es ist der Moment, in dem er sein Schweigegelübde ablegt und nach langer Zeit erstmals wieder Kontakt zur Welt aufnimmt. Freiwillig tut er das nicht, sondern gewissermaßen aus Pflichtgefühl. Denn William muss nach Paris, weil dort seine Anwesenheit erforderlich ist, um das Testament seiner Tante Elise zu eröffnen.
Er selbst hat gar kein Interesse an seinem Erbe, aber das Kartäuserkloster in den Schweizer Bergen bräuchte dringend eine Spende, um das Dach zu reparieren. So verlässt Don Marcus seine klösterliche Stille und konfrontiert sich mit einer Welt, in der es permanent rauscht.
Unter seiner Mönchskutte scheint sich Don Marcus die Welt weitgehend vom Leib halten zu können. Menschenmengen, Verkehr, Handylärm – all das dringt auf ihn ein, kann ihn aber doch nicht erschüttern. Erst die Frage der jungen Frau bricht das Eis und konfrontiert ihn mit weltlichen Fragen. Etwa der, warum jemand jahrzehntelang schweigt und ein mönchisches Schicksal wählt.
In Paris angekommen wird William von seiner Familie aufgenommen und die Erinnerungen an gemeinsame Kindheitserlebnisse kehren zurück. Auch die an seine vermögende Tante Elise, die seinen Entschluss, ins Kloster zu gehen, nie verstanden hat. »Warum hast du solche Angst vor dem Leben?«, hatte sie ihn damals gefragt, als er ihr eröffnete, dass er ins Kloster gehen würde. Dass sie ihm Modiglianis Akt »Angelica« vererbt, ist ihr letzter Versuch, den Neffen zurück ins Leben zu holen.
Statt Angst vor dem Leben trieb ihn die Angst vor dem Tod ins Kloster und hält ihn offenbar auch dort. Denn schon auf den ersten Seiten wird deutlich, dass er sich lieber nicht in die Seele blicken lassen möchte. Ein Kindheitserlebnis ließ ihn als jungen Mann ein Dasein wählen, »das dem Tod ähnlich ist«, aber einer mächtigeren Instanz unterworfen.
In der Stadt der Liebe aber wird William vom Leben angezogen, auch den Kontakt zu Mery nimmt er wieder auf. Ihre weibliche Präsenz zieht ihn ebenso magisch an wie ihn sein karitatives Verantwortungsbewusstsein angesichts ihrer existenziellen Herausforderung einer schweren Krankheit in die Pflicht nimmt. Doch je mehr Zeit er mit ihr verbringt, desto stärker umtreibt ihn die Frage, was er für das Leben zu opfern bereit ist.
Philippe Chappuis alias Zep hat mit »Der ferne schöne Klang« eine stille Meditation über die Existenz des Menschen und die Kraft des Schweigens geschaffen. Denn dass in dem kartäusischen Schweigen nicht unbedingt religiöse Verbohrtheit, sondern auch eine quasi-therapeutische Auseinandersetzung mit dem Selbst stattfinden kann, macht dieser Comic deutlich. Natürlich ist diese hier mit einer Abkehr von der Welt verbunden. Wenn William aber erklärt, dass Schweigen wie Saubermachen sei – »Man muss alles wegfegen, das Lärm in unserem Leben macht« – dann klingt darin die sehr weltliche Auseinandersetzung mit Fragen von Work-Life-Balance und innerer Harmonie an.
Zep, der mit Titeuf ein Lebenswerk geschaffen und zuletzt eine düstere Umweltdystopie aufgelegt hat, gelingt es, diese Auseinandersetzung mit den existenziellen Fragen des Lebens mit großer Leichtigkeit. Wer weltanschaulich moralisierende oder belehrende Töne befürchtet, kann beruhigt sein. Nicht kartäusische Unterwerfung oder atheistischer Widerstand, sondern das stilsichere Spiel mit den Ebenen machen diesen ansprechenden Comic aus, in dem Religiosität und Weltlichkeit klug verhandelt werden.