Comic

Wood, Vibes und Wahnsinn

Umweltschutz und Internet – diese Themen haben mit den »Fridays For Future«-Protesten eine Heimat gefunden. Der Schweizer Comiczeichner Zep sowie die beiden deutschen Künstler Lukas Jüliger und Kathrin Klingner nähern sich diesen Themen auf sehr unterschiedliche Weise. Allzuviel Hoffnung schöpfen kann man aus ihren Geschichten allerdings nicht.

»Wood Wide Web« nennen die Anhänger des etwas verrückten Professor Frawley das unterirdische Wurzelnetzwerk der Bäume, in dem sie Informationen über die Erdgeschichte vermuten. Der junge Umweltschützer Theodor Fiato stößt als Praktikant zu dem eingeschworenen Haufen Naturforscher, die daran arbeiten, die These, die den Professor aus dem Kreis der seriösen Wissenschaft katapultiert hat, doch noch zu belegen. Endzeit-Hippie Frawley ist nämlich der festen Überzeugung, dass das Gedächtnis unseres Planeten in der DNA der Bäume eingeschrieben ist. Um diesen Codex Arboris zu entschlüsseln, braucht es jedoch besondere Methoden, denn die Baumexperten vermuten, dass die Bäume diese verschlüsselte Version der Erdgeschichte bewusst geheimhalten, indem sie ein den Codex vernichtendes Enzym ausstoßen, sobald sich ihnen Menschen nähern.

Das Bäume ein reges Eigenleben haben, wissen Belesene spätestens seit Peter Wohllebens internationalem Bestseller »Das geheime Leben der Bäume«. Von dessen Büchern hat sich der Erfinder der »Titeuf«-Comics, der Schweizer Zeichner Zep alias Philippe Chappuis, zweifellos inspirieren lassen. Sein Comic »The End« ist eine dystopische Erzählung, in der das Flüstern der Bäume eine folgenschwere Wirkung entfaltet. Denn die Natur erhebt sich hier gegen den menschlichen Raubbau an der Natur. Daran kann auch Baumflüsterer Frawley nichts ändern. Denn rund um die Fabriken eines Pharmakonzerns kommt es weltweit zu unerklärlichen Todesfällen.

Zep: The End. Aus dem Französischen von Claudia Sandberg. Schreiber & Leser 2020. 93 Seiten. 19,80Euro. Hier bestellen.

Auch in Schweden steht eines der Labore und Praktikant Fiato, der eine Karriere als radikaler Umweltschützer im Gepäck hat, stößt auf seltsame Pilze, die im Naturpark plötzlich aus dem Boden schießen. Er ist sich sicher, dass der Konzern Gifte in den Boden pumt, die die seltsamen Ereignisse erklären. Doch es ist etwas viel Größeres, dass sich in den Bäumen, die über hunderte Kilometer miteinander kommunizieren, anbahnt. Und dieses Größere ist geschieht nicht zum ersten Mal, wie ein Team in Argentinien herausfindet, aber da ist es längst zu spät. Denn die Weltgeschichte wiederholt sich und die Reinigung beginnt.

Ob der Earthboi in Lukas Jüligers Comic »Unfollow« die Katastrophe verhindert hätte, zu der es in Zeps Comic kommt? Wahrscheinlich hätte er es zumindest geahnt, denn er hat einen ziemlich engen Draht zur Natur. Man könnte auch sagen, dass die Natur und er ein symbiotisches Dasein fristen. Earthboi ist eine Art Messias in einer Zeit, »in der die meisten Leute die Welt retten wollten, aber niemand wusste, wo man anfangen sollte«, verkündet die Erzählerstimme im ersten Kapitel, die klingt, als gehörte sie einem seiner Jünger. Jüligers hoch gehandelter Comic, der es 2019 unter die Finalisten für den Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung geschafft hatte, ist das Porträt eines außergewöhnlichen Waldläufers, der mit Videopodcasts und Insta-Stories zu »Nature’s Own Youtuber« aufgestiegen ist und der Menschheit einen Weg aufzeigt, die Welt doch noch zu retten.

Es ist eine verrückt hoffungsvolle Geschichte, die Jüliger in der ersten Hälfte seines stark gezeichneten Comics zeichnet. Denn der androgyne Naturfreund und Influencer zeigt nicht nur die Schönheit der Natur, sondern entwickelt auch eine App, die die Menschen zufriedener macht. Von seinen Kanälen gehen die good vibes aus, die eine zukünftige Gesellschaft bräuchte. Denn Earthboi ist sich sicher, dass es »zuallererst einen nachhaltig zufriedenen und ausgeglichenen Menschen braucht, der begriff, dass er schon alles hatte«, um einen Systemwandel herbeizuführen. So verrückt das klingt, bietet dieser Gedanke sogar einen Ansatz, die Gegenwart besser zu verstehen. Denn es hat zwar ein Großteil der Gesellschaft verstanden, dass es einen Systemwandel braucht, aber nur wenige sind bereit, für diesen auch das eigene Leben zu verändern. Ganz offenbar sind die wenigsten in dieser Welt nachhaltig zufrieden und ausgeglichen.

Lukas Jüliger: Unfollow. Reprodukt Verlag 2020. 168 Seiten. 18,00 Euro. Hier bestellen.

Damit das in Jüligers Fantasiewelt anders läuft, gründet Earthboi mit seinen Anhängern eine Kommune, in der sie resistente Kulturen schaffen, mit denen dem Hunger dieser Welt ein Ende gemacht werden kann. Über die sozialen Medien blasen seine Jünger die heilige Botschaft, dass eine bessere Welt möglich ist, in die Lande, doch irgendwie will sie auch hier nicht verfangen. Das mag auch daran liegen, dass die Kommune eine zunehmend Sekten-ähnliche Gestalt annimmt. Abgesehen davon bleibt der Mensch außerhalb dieser Blase auch in dieser Erzählung so neidisch, gierig, missgünstig und vernichtend wie in der echten Welt. Die Dinge laufen aus dem Ruder, alles kippt ins Gegenteil und tragische Entscheidungen werden getroffen. Der Influencer wird von seinen eigenen Prinzipien eingeholt und sein Projekt der Internetdemokratie scheitert fatal.

»Unfollow« ist ein fantastisch gezeichneter Comic, der durch Farbgebung und Panelrahmenverzicht eine unheimliche, dystopisch-düstere Atmosphäre des Haltlosen schafft. Hochaktuelle Themen wie Nachhaltigkeit, Urban Gardening, alternative Lebensentwürfe, Sinnsuche und soziale Medien werden zu einer Saga der Moderne verarbeitet, in der es keine Sicherheiten mehr gibt.

Während die Chancen und Risiken der sozialen Medien bei Jüliger nur eine (nicht ganz unwesentliche) Nebenrolle spielen, konzentriert sich Kathrin Klingner in ihrer Fabel »Über Spanien lacht die Sonne« ganz auf die Abgründe der digitalen Kommunikation. In ihrem 2018 für den Comicbuchpreis der Leibinger Stiftung nominierten Werk schickt sie ihre Hauptfigur, die Romanautorin Kitty, in eine Onlineagentur, die für große Unternehmen das Social-Media-Management übernimmt. Dort arbeiten den ganzen Tag nur Leute daran, als »Förster des Online-Waldes« Kommentare zu bewerten, zu beantworten und zu löschen. Dabei sind sie mit all dem Bullshit konfrontiert, der in den Kommentarspalten des Internets niedergeht: Hasskommentare, Verschwörungstheorien, Sexismus, Faschismus, Rassismus, Pornografie, Gewaltverherrlichung usw. usf. Nebenbei erfährt man, was zwischenmenschlich in der Agentur geschieht, wohnt Arbeitspausen, After-Work-Zusammenkünften und Betriebsfeiern bei, in denen der Blick in die einsamen Seelen der Internetarbeiter geht.

Kathrin Klingner: Über Spanien lacht die Sonne. Reprodukt 2020. 128 Seiten. 20 Euro. Hier bestellen

Inhaltlich lernt man in diesem Comic nicht viel Neues, sofern man sich mit dem Phänomen der asozialen Medien schon einmal auseinandergesetzt hat. Einiges erinnert an Szenen aus der Dokumentation »The Cleaners« der deutschen Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck, die auf den Philippinen Menschen getroffen haben, die sich für Facebook und Co. stundenlang durch den Ekel des Internets klicken. Anderes wieder ist nah an den Erfahrungen dran, die Organisationen wie #ichbinhier oder No Hate Speech machen, seit die AfD und einige rechtskonservative Journalisten den Faschismus in die Kommentarspalten getragen haben. Wem all das aber nichts sagt, dem werden in diesem Comic die Augen aufgehen.

Stilistisch ist das toll gemacht. Klingner hat das in einem stark reduzierten Funny-Stil gezeichnet, so dass sie dem WWWahnsinn des Internets diesen Verfremdungseffekt entgegensetzt, um zu zeigen, dass all das nur mit Distanz und Ironie zu ertragen ist. Etwas ärgerlich ist einzig, dass die offensichtliche Blödheit, auf die man in meist rechten Kommentaren stößt, hier nicht zur Geltung kommt. Denn Klingner hat die Fehler, die einem insbesondere in den Kommentaren deutschtümelnder Wutbürger begegnen, zugunsten der besseren Lesbarkeit nicht repliziert, sondern setzt auf korrekte Sprache. So leidet die Authentizität ein wenig, denn diese Unfähigkeit, die Grammatik und Orthografie der eigenen Sprache fehlerfrei zu beherrschen, ist mindestens ebenso vielsagend wie die Kommentare selbst.

Dennoch: »Über Spanien lacht die Sonne« – zur die Herkunft des Titels gibt der Comic Auskunft – ist eine gelungene Parabel über unsere Gegenwart, in der die unheilige Allianz aus Aluhutträgern, Weltverschwörern und Faschisten die Kommentarspalten zu erobern sucht und es einen breiten gesellschaftlichen Konsens braucht, dies nicht schweigend hinzunehmen. Wie schwer es ist, diesen Konsens herzustellen, wenn sich jeder nur selbst der Nächste ist, und wie weitgreifend die Sprachlosigkeit ist, wenn die mediale Dauerberieselung zur Normalität wird, all das zeigt Klingner in ihrem eindrucksvollen Comic.

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