Literatur, Roman

Schreiben gegen die Quatschlichkeit

Der Schweizer Markus Gasser lebt in einer labyrinthischen Bibliothek. Dort stehen ganz offensichtlich auch einige Werke von Daniel Defoe. Mit »Die Verschwörung der Krähen« hat er einen mitreißenden Roman über das Leben des englischen Schriftstellers geschrieben.

»Eine Krähe pickt der anderen kein Auge aus«, erfahren wir nach etwas mehr als zweihundert Seiten, die von den Intrigen berichten, in die Daniel Defoe im Laufe seines Lebens verwickelt war. Und das waren nicht wenige, denn der britische Schriftsteller wurde nicht nur Zeuge der Machtspiele am britischen Königshof, sondern wuchs auch unter dem Eindruck tatsächlicher Katastrophen auf. Dass er weder eines der unzähligen Opfer der großen Pest von London wurde, noch beim großen Brand ums Leben kam, dessen Flammen etwa vier Fünftel der historischen City of London verschlungen haben, grenzt allein an ein Wunder.

Diese Erlebnisse haben ihn von Kindesbeinen an geprägt, das Herz des Aufklärers schlug immer für die einfachen Leute, für die Armen, die Geknechteten und die Missbrauchten. Er legte sich mit Königin Anne Stuart und ihren Beratern an, scheute sich nicht, den verschiedenen Vertretern des Parlaments öffentlich gegen das Schienbein zu treten (zuweilen um hinter vorgehaltener Hand in ihrem Auftrag zu agieren) und nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, die religiösen Obrigkeiten, insbesondere das Terrorregime der anglikanischen Kirche, zu kritisieren.

Markus Gasser: Die Verschwörung der Krähen. Verlag CH Beck. 238 Seiten. 23,00 Euro. Hier bestellen

Ein solcher Mann muss im königlichen England anecken, vollkommen klar. Gasser zeichnet in seinem Roman lebhaft die Konflikte nach, in die Defoe als investigativer Journalist und Autor verwickelt war. Er zeigt, wie der Mann, dessen »Robinson Crusoe« heute Weltliteratur ist, zum Spielball der Mächte wurde und dennoch immer versuchte, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Sein revolutionärer Geist haben immer wieder dazu geführt, dass er vor Gericht gezerrt, an den Pranger gestellt und in Newgate Prison, einem der elendigsten Gefängnisse seiner Zeit, eingesperrt wurde.

»Die Verschwörung der Krähen« ist wie ein Abenteuerroman geschrieben, dessen Erzählung bis in die Gegenwart reicht. Der Titel des Romans verweist schon auf eines der Themen, das uns in den letzten Jahren umgetrieben hat, wie wenige andere: Verschwörungstheorien. Dazu gesellen sich True Crime und Fake News, Wahrheit und Wissenschaft, Aufklärung und Toleranz. Einige davon stehen als Überschriften über einem der acht Kapitel, in denen Gasser uns diesen radikalen Denker, der wenig Rücksicht auf seine Gesundheit und seine Familie genommen hat, nahebringt.

»Können Sie besser Lügen als die Wahrheit? Das ist die Frage, De Foe. Wo die Wahrheit endet, die Lüge anfängt: Wer weiß das schon?«

Markus Gasser: Die Verschwörung der Krähen

Die City of London lernen wir dabei als zweigeteilte Stadt kennen: Protz und Prunk auf der einen Seite, Armut und Elend auf der anderen. Sorglosigkeit hier und Existenzkampf dort. In der Unterwelt regiert die Gewalt, am Hof die Intrige. Und dazwischen immer Defoe, dessen sozial- und religionskritische Schriften die Obrigkeiten schockieren, während er dem gemeinen Volk aus der Seele spricht. Etwa wenn er mehr Toleranz einfordert und sarkastisch die Intoleranz der anglikanischen Kirche vor Augen führt, indem er ihr vorschlägt, doch mit allen andersgläubigen kurzen Prozess zu machen. An anderer Stelle setzt er sich für die Situation der Prostituierten (»Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders«) ein, bei denen er zwischenzeitlich unterkommt, als er wieder einmal von den Geheimagenten ihrer Majestät gesucht wird.

Aktuelle Übersetzungen von Daniel Defoe

Und immer wieder ist er als Journalist in die Machtspiele am Hof verwickelt. »Verwandeln sie Ansichtssachen in Tatsachen«, fordert ihn der Sprecher des Unterhauses, Robert Harley, im Roman auf. »Können Sie besser Lügen als die Wahrheit? Das ist die Frage, De Foe. Wo die Wahrheit endet, die Lüge anfängt: Wer weiß das schon?« Bei Gasser stürzt diese Situation den Schriftsteller in eine Krise. Wie Judas fühlt er sich. »Ich arbeite im Auftrag Ihrer Quatschlichkeit, die ich früher bekämpft habe, und bekämpfe jetzt Leute, die doch irgendwie auf unserer Seite stehen…«, räumt er wenige Seiten später zerknirscht ein. Und doch hat er einen Umgang damit gefunden. In der Review, der Zeitung, die er herausgegeben hat, hat er den beauftragten regimefreundlichen Beiträgen einfach bitterböse Leserbriefe und Kommentare beigestellt, die er selbst verfasst hat. Wie weit sein Einfallsreichtum ging, beweist der Roman »Der Consolidator oder Erinnerungen an allerlei Vorgänge aus der Welt des Mondes«, den man wie ein frühes Dokument der Science-Fiction-Literatur lesen kann.

Markus Gasser präsentiert den englischen Journalisten, Schriftsteller und Aufklärer Daniel Defoe in seinem mitreißenden und packenden Roman als flirrende Persönlichkeit, der keinen Konflikt gescheut hat. Dabei lässt Gasser die Zeit lebendig werden. Er beschreibt authentisch die beklagenswerten (hygienischen) Lebensverhältnisse, bei denen auch all das Puder im Gesicht und auf den Perücken der politischen und religiösen Obrigkeiten Krankheit und Tod nicht verhindern konnten. »Die Verschwörung der Krähen« zu lesen heißt, einzutauchen in diese Zeit mit all ihrem Grauen und Schrecken. Es heißt aber auch, mit diesem schillernden Revolutionär mitzufiebern, dessen Herz nie für die Politik, aber immer für die Freiheit des Geistes und des Wortes schlug.