Literatur, Roman

»So lässig und so komisch«

Für seinen Debütroman »Und draußen feiern die Leute« erhält der 1991 in Celle geborene Autor Sven Pfizenmaier den 44. ZDF-»aspekte«-Literaturpreis. Damit gehen alle wichtigen Debütpreise in diesem Jahr in die Hauptstadt. Die Auszeichnung der ZDF-Kultursendung gilt der literarischen Qualität eines Erstlingsromans, kann in diesem Jahr aber auch als Bestätigung einer verantwortungsethischen Haltung verstanden werden. 

»Sven Pfizenmaiers Debüt »Draußen feiern die Leute« ist eine Feier der Fantasie« und rage »so lässig und so komisch aus den Debüts dieses Jahres heraus«, begründet die Jury bestehend aus den Literaturkritiker:innen Mara Delius, David Hugendick und Nicola Steiner, dem Buchhändler Christian Dunker und dem Leiter der Kulturredaktion im ZDF Daniel Fiedler ihre Entscheidung. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und gilt als bedeutendste Auszeichnung für deutschsprachige Erstlingsprosa. Der in Berlin lebende Autor setzte sich mit seinem Erstlingsroman gegen die Romane »Wir waren wie Brüder« von Daniel Schulz, »Hund Wolf Schakal« von Behzad Karim Khani, »Liebe ist gewaltig« von Claudia Schumacher und »wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« von Yade Yasemin Önder durch.

Sven Pfizenmaier: Draußen feiern die Leute. Kein & Aber 2022. 339 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

Sven Pfizenmaier erzählt in seinem Roman eine Geschichte aus dem bundesdeutschen Niemandsland. »Irgendwo in Niedersachsen, zwischen Feldern, Kreisverkehr und Doppelgaragen, zwischen Braunschweig, Wolfsburg und Hannover hat Pfizenmaier einen von der Realität entrückten Ort geschaffen: In der Gegend verschwinden immer mehr Jugendliche spurlos. Ihre zurückgelassenen Freunde machen sich auf die Suche. Sie sind entweder ein Pflanzenmensch, ein Mädchen, das tagelang schlafen kann, oder ein Junge, der jeden in tiefste Langeweile stürzt«, so fasst die Jury diese magisch-realistische Erzählung in Worte.

Der Roman stecke »voller Einfälle, erzählerischem Spielwitz, sanfter Melancholie und verblüffend stilsicherem Pointen Reichtum. Mit großer Einbildungskraft übersetzt Sven Pfizenmaier die jugendlichen Lebensverlorenheiten, Zukunftsängste und pubertären Fremdheitsgefühle in eine originelle, einzigartige Welt, in der man selbst lustvoll verloren gehen kann«, schließt die Jurybegründung.

Die für den aspekte-Literaturpreis 2022 nominierten Titel auf einen Blick

Pfizenmeier schafft in seinem Roman eine Atmosphäre, die die Generation Z und Y in ihrem unsicheren Lebensgefühl abholt. Die sie einfängt in ihrer Sorge um eine Welt, die sie eigentlich nicht mehr aushält. »Wenn man von den zwei Welten, in denen man lebt, die eine Welt abzieht, die man kennt, dann bleibt keine Welt übrig, in der man zu Hause ist«, sagt etwa Valerie, Tochter russischstämmiger Einwanderer, in seinem Roman.

Kurios: Nachdem Yade Yasemin Önder im Frühjahr für »wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« den Debütpreis der lit.COLOGNE 2022 und Behzad Karim Khani für »Hund Wolf Schakal« den Debütpreis beim Harbour Front Literaturfestival gewonnen hat, sind mit der Auszeichnung des Wahlberliners Pfizenmaier die drei wichtigsten Debütpreise 2022 nach Berlin gegangen.

Pfizenmaier war dabei immer mit im Spiel. Im Frühjahr war sein Roman für den Debütpreis der lit.COLOGNE 2022 nominiert, der schließlich an die Berliner Autorin Yade Yasemin Önder für »wir wissen, wir könnten, und fallen synchron« ging. Neben Önder und Pfizenmaier war Volker Widmann mit seinem Roman »Die Molche« nominiert«.

Yade Yasemin Önder: wir wissen, wir könnten, und fallen synchron. Verlag Kiepenheuer & Witsch 20222. 256 Seiten. 20,- Euro. Hier bestellen.

Auch beim Hamburger Harbour Front-Literaturfestival sollte Pfizenmaier lesen, um den Klaus-Michael-Kühne-Preis für den besten Debütroman des Jahres gewinnen zu können. Pfizenmaier distanzierte sich aber von der Teilnahme mit Bezug auf die fehlende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des internationalen Logistikkonzerns »Kühne+Nagel«, dessen Mehrheitseigner Klaus-Michael Kühne den Preis stiftet. Der Konzern hat im Dritten Reich enorm vom Transport von Möbeln enteigneter jüdischer Familien profitiert.

»Da sich Klaus-Michael Kühne aktiv dagegen wehrt, die NS-Historie seines Unternehmens aufzuarbeiten, möchte ich meinen Text nicht in einen Wettbewerb um sein Geld und eine Auszeichnung mit seinem Namen stellen. Ich habe mich daher dazu entschieden, meine Nominierung zurückzuziehen. Es ist eine Entscheidung, die mir mit Hinblick auf meine Mitnominierten und die Mitarbeitenden des Festivals nicht leicht gefallen ist, daher möchte sie explizit nicht als Vorwurf gegen diese Menschen verstanden wissen. Das Verhältnis zwischen Geldgeber:innen und Kulturschaffenden in Deutschland ist ein dermaßen komplexes Feld, dass es unzählige Wege gibt, einen angemessenen Umgang damit zu finden. Dieser hier ist meiner«, begründete Pfizenmaier seine Absage.

Nach Pfizenmaier sagte auch die Autorin Franziska Gänsler ihre Teilnahme ab, sie war mit ihrem Debütroman »Ewig Sommer« nominiert worden. Dem folgte eine Debatte mit dem Ergebnis, dass das Festival den Preis in »Debütpreis des Harbour Front Literaturfestivals« umbenannt hat. Der ging – nebst kleinmütiger Erklärung zur Causa – letztlich an den Berliner Gastronom und Autor Behzad Karim Khani und dessen Roman »Hund Wolf Schakal«.

Behzad Karim Khani: Hund Wolf Schakal. Hanser Verlag 2022. 288 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

Die Auszeichnung Pfizenmaiers ist vor diesem Hintergrund nicht nur als Auszeichnung der hohen literarischen Qualität seines Textes zu verstehen, sondern kann durchaus auch als Bestätigung seiner verantwortungsethischen Haltung in der Debatte um die historische Vergangenheit eines deutschen Unternehmers, der mit Literaturförderung und anderen Engagements – Kühne war zweitweise wichtiger Finanzier des Hamburger Sportvereins (HSV) – den Namen seines in den Nazi-Apparat verwickelten Familienunternehmens reinwaschen, aber keinen Bedarf für historische Aufarbeitung oder Wiedergutmachung sehen will.

1 Kommentare

  1. […] und. Khani hatte ein halbes Jahr zuvor seinen Debütroman »Hund Wolf Schakal« veröffentlicht, der zu den besten Debüts des Jahres zählte. Ein großer Teil der Handlung spielt in Neukölln. Er handelt von zwei iranischen Brüdern, die in […]

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