Lew Hohmanns Film über den Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel lebt von den offenen Gesprächen mit dem Sänger, der Kraft seiner Texte, dem Zauber seiner Konzerte und einer bewegten Biografie. Wer Wenzel noch nicht kennt, kann ihm hier endlich begegnen.
Jedes Jahr strömt eine treue Fangemeinde nach Kamp, einem Dorf gegenüber der Insel Usedom. Dort findet im Hafen des »kleine Woodstock des Nordens« statt, bei dem der Liedermacher Hans-Eckart Wenzel unter Lichterketten seine gleichermaßen politischen wie melancholischen Texte zum Besten gibt und alle mitsingen.
In den Corona-Jahren stand das Festival auf der Kippe, nicht nur wegen der Hygieneauflagen, sondern weil eine Erbengemeinschaft den Veranstaltungsort zu Geld machen wollte. Das Ringen um das Festival bildet die Rahmenhandlung von Lew Hohmanns Porträt, das das wechselvolle Leben des politischen Poeten und Vollblut-Musikers Hans-Eckardt Wenzel nachzeichnet. Seine gesellschaftskritischen Texte und seine rotzige Stimme erinnern an Lausitzer Liedermacher Gerhard Gundermann, der wie Wenzel 1955 in der DDR geboren wurde.
»Ich brauche das Gefühl, gebraucht zu werden«, erklärt der Sänger in Hohmanns Dokumentation »Wenzel – Glaubt nie, was ich singe«. Die Corona-Pandemie sei auch in dieser Hinsicht existenziell gewesen. Als nichts mehr ging und der Kultur die Lichter abgedreht wurden, stellte Wenzel jede Woche einen seiner Songs ins Netz, um irgendwie für seine Fans da zu sein. Im Verlauf der Pandemie sollte er so ziemlich alles versuchen, um Auftritte und Konzerte möglich zu machen.
Schon zu Ostzeiten wollte Wenzel gebraucht werden, wobei er als blutjunger Künstler so manches Mal vor den politischen Karren gespannt wurde. 1979 tritt er im Liederzirkus auf, wohlgemerkt ohne FDJ-Hemd, worauf ihm gehörig der Kopf gewaschen wurde. Mit Paraden- und Militärliedern wird er später als Vorzeigepionier beim militärischen Singeklub der NVA auf sich aufmerksam machen, es wird nicht sein letzter Auftritt in der angepassten Singebewegung sein.
Wenzel ist aber wie Biermann ein Schüler von Wolfgang Heise, das Rebellische wohnt ihm bis heute inne. Ab Mitte der achtziger Jahre macht er den politischen Affentanz nicht mehr stillschweigend mit. Als er als Stasi-Spitzel angeworben wird, macht er das gegenüber seinen Mitstreiter:innen umgehend transparent. Bei seinen Auftritten mit der freien Theatergruppe »Karl’s Enkel« oder als Dada-Clown an der Seite des heutigen Intendanten des Rudolstädter Theaters Steffen Mensching gab er auf den Bühnen der Kulturhäuser und Jugendklubs dem DDR-Staatsapparat Kontra. Die Systemfrage hat er damals allerdings noch nicht gestellt. Das kam erst im Herbst 1989, als er eine Resolution, die Veränderungen in der DDR forderte, initiierte.
Nach der Wende tourte Wenzel durch ganz Deutschland und die Welt. Kuba, Nicaragua und die Türkei waren seine Ziele. In Südamerika blieb er länger als gedacht, in den kurdischen Gebieten der Türkei musste er unter den vorgehaltenen Waffen des Regimes spielen. Die Kinder der Folk-Legende Woodie Guthrie holten ihn 2003 für ein legendäres Erinnerungskonzert nach Amerika, die Freundschaft zu Guthries Kindern besteht bis heute. In Deutschland trat er mit Konstantin Wecker auf, mit seinem besten Freund, dem Schriftsteller Christoph Hein, engagierte er sich für Geflüchtete. Der bescheiden gebliebene Star-Regisseur Andreas Dresen spricht ehrfürchtig von einem »Typ mit Eiern«, wenn die Sprache auf Wenzel kommt.
Vor allem ist Wenzel ein großer Liedermacher, der trotz seiner vielen Auszeichnungen bescheiden und ohne jegliche Starallüren blieb. »Für mich ist das Schreiben können und das Denken können meine größte Freude«, sagt er einmal im Film. Am wohlsten fühlt er sich immer noch dann, wenn er in Kamp auf der kleinen Bühne steht, während vor ihm seine treuesten Fans mit glänzenden Augen seine Songs mitsingen. Für keinen Ruhm der Welt würde er das eintauschen wollen.
Lew Hohmann blickt mit Wenzel und Weggefährt:innen auf dieses volle Leben zurück. Dabei springt er immer wieder zwischen Geschichte und Gegenwart hin und her, zeichnet anhand von Archivmaterial den künstlerischen Werdegang nach, um in Gesprächen den persönlichen Lebens- und Liebesgeschichten auf den Grund zu gehen. Dabei lässt er Widersprüchliches und Ambivalentes stehen, verzichtet auf kosmetische Eingriffe. Das passt zu Wenzel, der sich nie verbogen hat, aber weit davon entfernt ist, zu behaupten, alles richtig gemacht zu haben. Wenzel mag nicht mit allem richtig liegen, aber er ist zweifellos einer, der sein Herz am richtigen Fleck trägt.
Hohmanns Film bringt einem diesen aufrechten Barden der kleinen Leute nahe, ohne ihm seine Ecken und Kanten zu nehmen. Das ist, wie Wenzel selbst, schlicht und einfach bewundernswert.
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