Der Carlsen Verlag bringt derzeit einige der bekanntesten Werke der weltberühmten Krimi-Autorin Agatha Christie als Comic-Adaptionen heraus. Das ist eine gute Idee, wenn auch nicht alle Bände der Reihe gelungen sind. Es gilt eben nach wie vor: Sich bietende Chancen muss man auch nutzen.
Die Tote, erwürgt, im Abendkleid, liegt morgens in der Bibliothek des Landhauses. Der Hausherr und seine Gattin, Oberst Arthur Bantry und seine Frau Dorothy, haben zuerst der Dienerin, die ihnen die Nachricht noch am Bett überbrachte, nicht geglaubt und haben ihr mit Kündigung gedroht. Dann aber haben sie doch mal nachgesehen. Jetzt sind sie schockiert und holen die Polizei.
Während die ihre Ermittlungen beginnt, schaltet Dorothy Bantry ihre Freundin Miss Marple ein, unter anderem, weil sie befürchtet, dass die unbekannte Tote den Ruf ihres Gatten beschädigen könnte, wenn der Fall nicht aufgeklärt wird. Die alte Dame wird ihrem Ruf gerecht und liefert der Polizei immer wieder entscheidende Hinweise, auch wenn die Polizei ihre Einmischung in die Ermittlung nicht billigt.
»Die Tote in der Bibliothek« ist ein klassischer Whodunit im Stile der Krimis um die leicht ältliche Dame Miss Marple der weltberühmten Agatha Christie. Die Frage »Wer war’s« dominiert die Erzählung, und ganz am Ende gibt es eine Auflösung der Indizien, die die Hobby-Detektivin auf die richtige Spur brachten. Das alleine schon würde reichen für eine gute Lektüre, auch wenn die Geschichte eine gewisse Erwartbarkeit hat (Am Ende waren es eben doch die, die das beste Alibi haben…). Die Autoren Dominique Ziegler und Olivier Dauger haben für ihre Adaption allerdings ein paar Ebenen eingezogen, die den Spaß erheblich vergrößern.
So haben sie die Handlung von den 1940er Jahren in die späten 1960er Jahre verlegt. Die Kulisse der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs gibt Gelegenheit, die Unterschiede zwischen dem Großbürgertum der Bantrys und Miss Marple und »solchen Leuten« wie Eintänzern, Bediensteten und hippiesken Filmschaffenden besser herauszuarbeiten. Hierarchien sind überall noch genau so spürbar wie das Entsetzen der Vertreter der Oberschicht, wenn diese in Frage gestellt werden. Die Beatles sind noch »Krach«, und den älteren Polizisten und die Bantrys scheint ein im Angesicht der zugerichteten Leiche vom jüngeren Polizisten herausgestoßenes »Jesus« mehr als die Leiche selbst zu erzürnen. Und ganz am Ende wird in zwei Bildern gezeigt, dass der Ruf des Oberst tatsächlich gefährdet war und dass die Rechtschaffenheit der Bantrys lediglich Fassade ist.
Agatha Christie-Schmuckausgaben
Mal von den Comics abgesehen, gibt Hoffmann und Campe einige Werke von Agatha Christie in neuer Aufmachung heraus. Bereits erschienen sind zum Beispiel »Die Tote in der Bibliothek«, »Der Tod auf dem Nil« und »Mord im Orient Express«, für das Frühjahr sind Klassiker wie »Mord im Pfarrhaus« oder »Das Haus an der Düne« geplant. Die Bände sind liebevoll gestaltet – das gilt vor allem für die Cover und den individuell gestalteten Vorsatz – und wertig ausgeführt. Wer also die berühmten Kriminalromane wiederentdecken und vielleicht sogar sammeln will, hat hier eine gute Gelegenheit.
Der Hingucker ist allerdings die kompromisslos durchgezogene Hommage an die »Ligne Claire« im Stile von E. P. Jacobs, Schöpfer der Reihe »Blake und Mortimer«. Die Bilder und vor allem die Hintergründe sind so akribisch gestaltet wie in den Bänden um die zwei Freunde aus London.
Die Autoren lassen dabei keinen Zweifel, dass diese Anspielung gewollt ist. In der oben beschriebenen Szene zum Beispiel sagt Oberst Bantry beim Anblick der Leiche »By Jove«, also das, womit Blake und Mortimer immer wieder ihre Überraschung kundtun. Und sie verstecken Blake und Mortimer als kleine »Ostereier« im Band: In dem Hotel, in dem Teile der Handlung stattfinden, sind die beiden Freunde immer wieder im Hintergrund zu entdecken, beim Essen, am Kamin, gerade so, als würden sie zusammen ein paar schöne Tage verbringen. Das alles macht die Lektüre des Bandes zum echten Vergnügen und bietet über den Plot aus der Feder von Agatha Christie hinaus all das, was ein Comic liefern kann.
Die deutsche Ausgabe der »Die Tote in der Bibliothek« gehört zu einer Reihe von Comic-Adaptionen der Romane von Agatha Christie aus dem Carlsen Verlag und ist dabei die bislang beste. Das liegt natürlich an der herausragenden Qualität des Bandes, aber auch, leider, an der Qualität der Anderen.
Da wäre zuerst »Mord im Orient Express« aus der Feder von Benjamin von Eckartsberg und Chaiko. Es ist zugegebenermaßen schwer, einen derart prominenten Stoff wie die Geschichte um einen Mord im Luxuszug von Istanbul nach London zu visualisieren, das Comic muss gegen eine lange Reihe von Adaptionen fürs Kino antreten. Die Verfilmung von und mit Kenneth Branagh von 2017 ist dabei nur die jüngste – setzt aber mit ihrer Bildstärke und Zeichnung der Charaktere eine Marke, an der alle anderen Adaptionen unwillkürlich gemessen werden.
Dagegen anzutreten ist also eigentlich an sich schon wegen des Wagemuts, den es dazu braucht, lobenswert. Szenarist von Eckartsberg findet dabei einen guten Weg durch den Stoff: Die Erzählung bleibt spannend, auch wenn man unweigerlich weiß, wie es ausgehen wird. Zeichner Chaikos Schneelandschaften, Landschaften überhaupt und Hintergründe sind teilweise bezaubernd, alleine der Anfang auf einer Fähre und im Bahnhof von Istanbul zeugt von seinem Können. Es bleibt aber sein Geheimnis, warum er dieses Können nicht in die Ausgestaltung des Zuginneren investiert und den Orient Express, einer der führenden Luxuszüge seiner Zeit, so nüchtern aussehen lässt wie einen Personenzug der Bundesbahn in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Wenig gelungen sind auch die Charaktere, die bisweilen völlig überzeichnete Mimik an den Tag legen. Daher kommt man ihnen nicht nahe genug, fühlt nicht mit, auch dann nicht, als bei der Auflösung des Rätsels am Ende klar ist, welche Tragödie die Figuren erlebt haben. Das macht »Mord im Orient Express« in Teilen zu einer vertanen Chance, auch wenn der Band immer noch sehr gut als Weihnachtsgeschenk zu empfehlen ist.
Der bislang dritte Band der Reihe ist »Hercule Poirots Weihnachten«. Hier stellt sich wirklich die Frage, warum Szenaristin Isabelle Bottier und Zeichner Callixte sich an die Geschichte um einen toten Patriarchen im Arbeitszimmer seines eigenen Herrenhauses heran gemacht haben. Die Geschichte bietet genug Angriffspunkte, um sie wie »Die Tote in der Bibliothek« über den einfachen Whodunit hinaus zu entwickeln. Man denke da nur an den Kinofilm »Knives Out« (Rian Johnson) von 2019, der ein sehr ähnliches Setting nutzt, um die Mitglieder einer Familie der Upper Class mal so richtig aufeinander loszulassen.
Statt dessen wird die Geschichte mit nur geringfügigen Änderungen zu Papier gebracht. Auch der Schauwert des Bandes ist begrenzt. Die eigentlich auf dem Silbertablett dargereichte Gelegenheit, mit dem Setting des Herrenhauses im Schnee und opulenten Dekors zu beeindrucken, wird nicht genutzt. Am allerschlimmsten sind aber die Figuren, deren überzeichnete Mimik und schmierenkomödienhafte Körperhaltungen beim Lesen einen starken, wenn auch vermutlich unbeabsichtigten, V-Effekt hervorrufen, so dass man sich die ganze Zeit über fragt, was das alles soll.
Der vierte Band der Reihe, »Tod auf dem Nil« soll Anfang April des kommenden Jahres erscheinen. Dass auch er von Bottier und Callixte gestaltet wird, lässt nichts Gutes ahnen. Aber die ursprünglich in der Editions Paquet aufgebaute Reihe hält auch noch ein paar Alternativen vor. So sind von den Machern des Bandes »Die Tote in der Bibliothek«, dem Szenaristen Dominique Ziegler und dem Illustrator Olivier Dauger noch zwei weitere Bücher von Agatha Christie adaptiert: »Bertrams Hotel« (Miss Marple) und eine Adaption des Poirot-Krimis »Halloween Party«, auf deutsch als »Schneewittchen-Party« erschienen. Insgesamt liegen 17 Bände auf Französisch vor, möglicherweise versucht man es demnächst mal mit einem anderen Team aus der Reihe. Nur mal so als Anregung…