Film, InSzeniert

Berlinale Bites: Familientreffen mit Starautor

Im Herbst 2011 verschwand der französische Autor Michel Houellebecq während einer Lesereise spurlos. Gemeinsam mit Guillaume Nicloux hat er nun ein fantastisch-amüsantes Märchen um sein Verschwinden gedreht, in dem die clownesken Seiten des Misanthropen zum Vorschein kommen.

Anfangs ist man beim Anblick von Michel Houellebecq etwas erschrocken, obwohl man mit allem gerechnet hat, was man zu sehen bekommt: den schmutzigen Parker, die dünnen Haare und die im herunterhängenden Mundwinkel klemmende Zigarette. Und dennoch hat diese Figur, die da an einer Pariser Ampel auf grünes Licht wartet, etwas Verwahrlostes, Wackeliges, Clochardesques.

Fast erleichtert fällt dem Kinobesucher dann die Misanthropie ein, in die sich der französische Starautor hüllt. Vielleicht ist das nur eine Maskerade, die ihn zwanzig Jahre älter aussehen lässt als er ist. Houellebecq ist das in die Jahre gekommene enfant terrible der französischen Literatur. Das Feuilleton liebt den Mittfünfziger für seine Tapsigkeit, pflegt Verständnis für seine Menschenscheu und fürchtet seine Schweigeinterviews. Houellebecq umgibt eine seltsame Aura, die gleichermaßen Fürsorge, Anbetung und Furcht auslöst.

Mit Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen hat Houellebecq die Gattung des nouveaux roman erfunden, mit Plattform und Die Möglichkeit einer Insel die Möglichkeiten des Genres in alle Richtungen gedehnt und mit seinem letzten Roman Karte und Gebiet den Kunst- und Kulturbetrieb Frankreichs seziert. In diesem Roman fällt sein Alter Ego einem Verbrechen zum Opfer, man findet den Romanautor im Herbst 2011 in seinem Haus auf erschlagen auf.

Das hatte insofern eine gewisse Delikatesse, als dass der Franzose auf einer Lesereise im Herbst 2011 urplötzlich tatsächlich verschwand und sein Roman eine bedrückende realistische Seite bekam. Wildeste Gerüchte brannten auf, Entführung durch Al-Quaida, Mord und und und. Erst Wochen später tauchte er wieder auf. Wo er tatsächlich war und was sich in der Zeit seines Verschwindens zugetragen hat, darüber hat Houellebecq nie gesprochen.

Der Film L’enlèvement de Michel Houellebecq von Guillaume Nicloux, der im vergangenen Jahr mit seinem Film La Religieuse im Wettbewerb vertreten war, entwickelt ein vergnügliches Märchen um dieses seltsame Verschwinden; mit dem Autor selbst als Hauptfigur. Zu Beginn des Films sieht man diesen durch die Straßen von Paris laufen. Er besucht Beerdigungen, parliert mit Bekannten über die Lage der Nation, schimpft über die »faschistische Architektur« von Le Corbusier, moniert sich über die Schwächen der französischen Demokratie und beklagt sich zurückhaltend über die vielen Pressetermine zu seinem neuen Roman. Bis er von drei robusten Kerlen – einem ehemaligen Lagerfeld-Leibwächter (Luc Schwarz), einem Boxer (Mathieu Nicourt) und einem Bodybuilder (Maxime Lefrançois) – überfallen und in einer grünen Kiste auf einen Schrottplatz entführt wird. Dort wird er einige Tage im Haus der Eltern des Boxers verbringen, einem amüsanten Pärchen im vorgerückten Alter, die sich nicht sonderlich für die Unrechtmäßigkeit des Vorgangs interessieren, der sich vor ihren Augen abspielt.

Der Schriftsteller fügt sich stoisch der Situation, mehr noch, er hat geradezu Freude daran, aus der von ihm so verabscheuten überdrehten Moderne gerissen worden zu sein. Schnell stellt er fest, dass seine Entführer eigentlich keinen wirklichen Plan haben, was sie mit ihm anstellen sollen, um zu Geld zu kommen. Also entspannt er sich und richtet sich ein, als wäre er im Urlaub. Er lässt sich von der Dame des Hauses bekochen, bestellt sich spanischen Rotwein aus dem Supermarkt und ordert eine Prostituierte, die ihm die Nächte versüßen soll. Einzig die Handschellen, die ihm immer wieder angelegt werden (damit die Entführung nicht vollends zum Slapstick wird), sowie der Entzug seines Feuerzeugs provozieren bei dem keineswegs anspruchslosen Kettenraucher immer wieder kindliche Wutanfälle.

Seine Langeweile versucht Houellebecq mit der wiederholten Lektüre von Denis Diderots La Religieuse (ein augenzwinkernder Hinweis auf Nicloux’ letzten Film) sowie mit kleinen Spaziergängen auf dem Hof des Schrottplatzes zu bekämpfen. Mit seinen Kidnappern parliert er – deren Naivität bestaunend – darüber, wie er beim Schreiben vorgeht (»Du machst nichts, langweilst Dich und dann passiert etwas in Deinem Kopf.«), wie die französische Literaturszene von innen aussieht (»Wenig Homosexualität und Koks, dafür eher Pädophilie und viel Alkohol.«) und was er von den politischen Verhältnissen in Europa hält (»Brüssel ist der Bürgerkrieg, Schweden eine Diktatur.«).

Nebenher lässt er sich in die Geheimnisse des Boxens, des Bodybuildings und der israelischen Selbstverteidigungssportart Krav Maga einweihen. Allein für die grandiose Szene, wie er auf Anweisungen des Boxers die Techniken an dem Lagerfeld-Leibwächter ausprobiert und diesen immer ein bisschen länger als gewünscht im Schwitzkasten hält, lohnt sich der Kinobesuch. An den Abenden diskutiert man am gedeckten Tisch angeregt und emotional über Gott und die Welt – und Houellebecq provoziert schelmisch amüsiert mal hier und mal da. Ganz nebenbei trinkt und raucht er, was das Zeug hält.

Man meint, einer unfreiwilligen Familienzusammenführung auf dem Land beizuwohnen, bei der Houellebecq die Rolle des Alten hat, der sich alles erlauben kann. Die Entführung ist – man kann es nicht anders sagen – eine Farce. Für den an der auf Speed gesetzten Gegenwart leidenden Starautor ist sie Wohltat und Kur. Nicloux hat dies so vergnüglich inszeniert, wie man es sich auch mit größter Fantasie nicht denken kann. Selbst in den Situationen, in denen Houellebecq den Menschenfeind nach außen kehrt, behält dieser Film seine amüsante Seite.

L’enlèvement de Michel Houellebecq ist für Akteure wie Zuschauer ein großer Spaß. Man bedauert es geradezu, dass diese nach gut 90 Minuten ein Ende findet und der Schriftsteller mit 220 km/h der Freiheit entgegenrast. Dabei schmunzelt er in sich hinein, wissend, dass er sich auf diesem Schrottplatz einen Caravan zur Miete gesichert hat. Wenn Michel Houellebeq das nächste Mal verschwinden sollte, gibt es nun zumindest einen Anhaltspunkt, wo man suchen könnte.

3 Kommentare

  1. […] absurd, dass es fast als Satire taugte, aber Houellebecq enthält seinen Lesern, anders als in der selbstironischen Verfilmung seiner angeblichen Entführung, die Pointen schlicht und einfach vor. So muss man diese nur wenig in die Zukunft versetzte Fiktion […]

Kommentare sind geschlossen.