Comic

Von Hundejahren und Schildkrötenlegionen

Sebastian Rether ist in der Comicszene noch ein relativ unbeschriebenes Blatt. Mit seinem Debüt »Foc / Feuer« – einer universellen Parabel über den Krieg in reduziertem Stil wird sich das ändern.

Den bislang einzigen Pulitzerpreis verdankt die Neunte Kunst Art Spiegelman, dessen Holocaust- und Selbstkonfrontationsparabel Maus bis heute das Maß aller Dinge in der kunstvollen Verarbeitung der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs darstellt. Keine Kritik eines den Krieg verarbeitenden Comics, in dem nicht sein Name fällt. Dabei haben die Arbeiten von Jacques Tardi, dessen Arbeiten in die matschigen Todesgräben des Ersten Weltkriegs geführt haben, oder von Joe Sacco, der wie kein anderer nicht die Abgründe der gegenwärtigen Konflikte zeigt, längst eigene Maßstäbe gesetzt.

Nun kommt mit Sebastian Rether ein bis dato recht unbekannter Künstler daher, dem mit Foc / Feuer ein erzählerischer Coup gelungen ist. Auf der Basis der Kriegsnotizen seines Großvaters hat der 31-jährige Künstler ein Werk geschaffen, dass als Paradebeispiel der Minimal Art innerhalb der Neunten Kunst vom Zweiten Weltkrieg erzählt. Der Comic erzählt mit wenigen Strichen von den Erlebnissen und Wendepunkten eines anonymen rumänischen Soldaten, der am 1. März 1939 für die rumänische Armee in den Krieg zieht, dabei ganz Europa durchquert und – wie durch ein Wunder – unversehrt 1945 wieder in Hermannstadt, seiner Heimatstadt, ankommt.

Sebastian Retter: Foc/Feuer | © Martin Mascheski/Edition Büchergilde
Sebastian Retter: Foc/Feuer | © Martin Mascheski/Edition Büchergilde

Die historischen Fakten, denen man hier begegnet, sind schon unzählige Male erzählt. Es braucht keine intensive oder eindrückliche Illustration, um diese zu erzählen. Es braucht nicht einmal mehr eine konkrete Reinszenierung, um an dieses historische Wissen im Kopf des Lesers anzuschließen. In Andeutungen und Konturen erzählt Rether die Geschichte seines Großvaters, die von der bereitwilligen Mobilmachung über die Brutalitäten und Gräuel des Krieges auf allen Seiten bis hin zur panischen Fahnenflucht des Antihelden führt. Die Gedächtnislücken seines Vorfahren belässt er als Auslassungen zwischen den und in den Bildern. In diese Lücken drängt die einzige Schwäche des Comics, denn die Ursachen der Auslassungen und Gedächtnislücken bleiben im Dunkeln. Hellen die weißen Stellen in den Erinnerungen des Großvaters vielleicht auch das Dunkel der eigenen Schuld auf? Diese Frage wird leider nicht aufgeworfen.

Besonders macht diesen Comic seine stilistische Herangehensweise, die die Erzählung auf eine universelle Ebene hebt. Auf die etwa 350 weißen Seiten, auf denen der Krieg als absurde Irrfahrt zwischen Rumänien, Russland, Frankreich, Italien, Russland und Rumänien erzählt wird, sind in dünnen Linien Personen und Landschaften gezeichnet. Sie bilden die leeren Hüllen dieser Geschichte (so wie ihre realen Vertreter die Hüllen für den Wahnsinn einer Ideologie darstellten), in die die Lesenden ihr historisches Wissen gießen können. Vorder- und Hintergründe, Kulissen und Details, all das hat Rether aus seinem Comic, der als Bachelorabschlussarbeit an der Hochschule Konstanz entstand, verbannt. Es würde nur ablenken von den großen Linien der Geschichte, die er hier anhand der Erlebnisse eines modernen Don Quijote zu Pferd mit wenigen zarten Federstrichen nachzeichnet. Wie ein Cervantes streut er in diese abgründige Menschheitserzählung auch die absurde Komik des kriegerischen Alltags ein, sei es, wenn er zitternde Pferde in Decken hüllt oder die Stehlhelmspitze mit einem winzigen Singvogel ersetzt.

Sebastian Retter: Foc/Feuer | © Martin Mascheski/Edition Büchergilde
Sebastian Retter: Foc/Feuer | © Martin Mascheski/Edition Büchergilde

Kommentiert werden die großenteils dialogfreien Zeichnungen mit wenigen Worten, die in Schreibmaschinentype unter und in die Szenen getippt sind. Selten kommentieren diese im Tagebuchduktus verfassten Kommentare einfach nur das Bild, und wenn, dann um der Illustration einen zusätzlichen Aspekt zu verleihen. Etwa wenn unter den Konturen der Figuren steht, dass man die große Angst der Soldaten in den Gesichtern sehen konnte, die Zeichnung aber nur die immer gleichen leeren (und tristen) Visagen der Figuren zeigt. Meist erweitern sie die Bildbedeutung, indem sie die Atmosphäre der Szene aufnehmen und in ihrem Satz spiegeln. Auf einer Doppelseite, die einige Reitersoldaten inmitten eines Dorfes zeigt, finden sich oben rechts zwei wild gesetzte, unterbrochene Zeilen mit den Worten »Plötzlich fielen Schüsse«. Sie greifen sowohl das abgehakte Stakkato der Maschinenpistolen als auch das ausbrechende Chaos in der Truppe auf. An anderer Stelle entnimmt man der schwankende Zeile »Der Tag verging mit Erzählungen von daheim« das emotionale Auf und Ab, dass die Erinnerungen an die Heimat hervorrufen. Ein drittes Beispiel spiegelt die Beschreibung der Szenerie als solche, das geordnete Chaos, das entsteht, als die Truppen des anonymen Erzählers ihre Panzer in Stellung zu bringen, aber angegriffen wurden, bevor sie das überhaupt abschließen konnten. Diese außergewöhnliche Kohärenz von Illustration, Erzählung und Textsatz macht die Lektüre von Foc / Feuer zu einem eindrucksvollen Erlebnis.

Dazu kommt eine figurative Verschiebung, die an Art Spiegelmans Fabel-hafte Maus-Erzählung erinnert. Auch bei Rether gibt es keine Personen in dem Sinne, sondern alle aktiven Figuren erhalten Tieridentitäten. Der Don Quijoteske Anti-Held kommt als hündische Gestalt daher – später erfahren wir auch, warum –, die rumänischen Panzerverbände als Schildkrötenlegionen und die russischen Flieger als Adler mit weiten Schwingen. Sprache, Gestalt und Funktion scheinen hier Ideengeber des figurativen Shiftings gewesen zu sein. Eine ähnlich starke erzählerische Bedeutung wie in Spiegelmans animalischem Holocaustepos kommt ihnen jedoch nicht zu.

Sebastian Retter: For/Feuer | © Martin Mascheski/Edition Büchergilde
Sebastian Retter: For/Feuer | © Martin Mascheski/Edition Büchergilde
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Sebastian Rether: Foc / Feuer. Edition Büchergilde. 368 Seiten. 24,95 Euro. Hier bestellen

Sebastian Rethers Comicdebüt ist ein außergewöhnliches Comic-Kunstwerk des Reduktionismus. Es wurde sowohl mit dem Designpreis seiner Alma Mater als auch mit dem Förderpreis für junge Buchgestaltung der Stiftung Buchkunst ausgezeichnet. Dem ist es wohl auch zu verdanken, dass das ursprünglich auf sechs Exemplare beschränkte Werk nun bei der Edition Büchergilde erscheint. Zwischen den mit Krepppapier beklebten Buchdeckeln (deren Unebenheiten ebenso vom Chaos erzählen wie die gezeichnete Geschichte) befindet sich die Parabel von einem armen Hund, der durch das Feuer ging.

Sebastian Rethers Foc / Feuer zeigt den Krieg mal als gleißendes und brüllendes Inferno, dann wieder stilles Tänzeln der Flammen. Egal, in welcher Gestalt er hier daherkommt, deutlich wird, dass ihn niemand ohne Verbrennungen und Brandnarben verlässt.