Comic, Interviews & Porträts

Ein Ping-Pong-Helden-Epos

Abgesehen von den regelmäßigen Kurzgeschichten im Berliner Tagesspiegel war es sieben Jahre lang still um den Berliner Comiczeichner Markus Witzel alias Mawil. Nun ist sein neuer Comic »Kinderland« erschienen, eine Hommage an die Kindheit und an das Tischtennisspiel, in der sich der Berliner Zeichner auf dem Höhepunkt seines Schaffens zeigt. Ausgestattet mit zwei Kellen und einem Mikrofon traf ich mich mit ihm »an der Platte«. Ein spielerisches Gespräch über das Comiczeichnen, den perfekten Sport für alle Underdogs und die ihrem Ende entgegentaumelnde DDR.

Es ist Donnerstagvormittag mitten in den Berliner Osterferien. Die Schulhöfe im Prenzlauer Berg sind verweist, und mit ihnen die Tischtennisplatten. Ausgestattet mit Club Mate und Bionade erobern Mawil und ich eine Betonplatte in der Schwedter Straße. Wir dachten uns: wenn wir schon über einen Comic reden, in dem Tischtennis eine nicht unwesentliche Rolle spielt, warum dann nicht nebenher ein wenig zocken? Gesagt, getan. Nach Begutachtung der mitgebrachten »Kellen« (Tischtennisschläger im Jugendjargon) und Platzierung des Aufnahmegeräts wechseln wir die ersten unbeholfenen Bälle und starten mit den ersten Fragen.

Mawil, »Kinderland« spielt auf eine Schallplatte von Gerhard Schöne an. Im Comic taucht sie nur an zwei Stellen auf. Was hat es damit auf sich?

Tatsächlich taucht die Platte nur auf der letzten Seite komplett sowie verdeckt in einer Szene im Comic auf. Wenn man aber die Anspielung auf die Gerhard-Schöne-Platte erkennt, dann findet man im Comic die Szene leicht. Die rote Kinderland-LP schaut bei Mirco zuhause hinter einer Traumzauberbaum-Schallplatte hervor. Ich selbst war Fan dieser Platte. Und da ich meine Kindheit in der DDR verbracht habe und im Comic im gewissen Sinn von meiner Kindheit erzähle, ist die DDR im wahrsten Sinne des Wortes mein »Kinderland«.

Was bedeutet Kindheit für Dich?

Diese Frage ist mir fast zu philosophisch. Grundsätzlich denke ich, dass jeder nostalgische Gefühle entwickelt, wenn er an seine Kindheit denkt, egal in welchem Luxus oder Unrechtssystem er aufgewachsen ist. Kindheit hat man in einer altmodischen und behüteten Welt. Da passen die Eltern auf einen auf und bestimmen, was man von der Welt zu sehen bekommt. Für meine Generation gilt das quasi im doppelten Sinn, behütet von den Eltern und behütet von der Enge der DDR. Und als uns diese kleine Welt zu eng geworden wäre, ging die Mauer auf – das war natürlich ein unglaubliches timing.

In »Kinderland« erzählst Du Deine Geschichte der Wendezeit voll kindlicher Naivität und jugendlichem Aufbegehren. Am Ende der Erzählung ist die DDR tot und die Kindheit vorbei. War die DDR in Deinen Augen auch in dem Sinne ein Kinderland, dass Kinder im Alltagsbild präsenter und sichtbarer waren?

Heute sind Kinder und Jugendliche, vielleicht auch durch die neuen Medien, eher an den Innenraum gebunden und ruhig gestellt. Aber wenn ich in Berlin-Neukölln unterwegs bin und mir eine Gruppe Jugendlicher entgegenkommt, dann erschrecke ich mich und bekomme Schiss wie früher in der Schule. Das liegt natürlich daran, dass man Jugendbanden auf der Straße in Mitte oder im Prenzlauer Berg nicht mehr gewohnt ist.

Mawil: Kinderland. Reprodukt Verlag 2014. 280 Seiten. 29,- Euro / Limitierte Vorzugsausgabe: 45,- Euro. Hier bestellen

Das Anfangsgeplänkel ist vorbei, inzwischen wagen wir beide erste kleine Ausflüge in die Welt des »Schnippelns« und »Anschneidens«, des »Ziehens« und »Schmetterns«, zunächst noch, um zu testen, was man selbst so auf dem Kasten hat. Schließlich riskieren wir nichts, wir zählen noch nicht.

Wir war es für Dich, nach 25 Jahren dem heranwachsenden Mawil zu begegnen?

Die Figur ist nur der Markus Witzel, wie ich ihn heute in Erinnerung habe. Ich hoffe, ich war dabei ehrlich genug mir selbst gegenüber. Der Charakter ist schon an meine Kindheit angelehnt, aber ich musste ihn natürlich in spannende Situationen setzen, denen ich früher eher aus dem Weg gegangen wäre. Mirco Watzke erlebt mehr, als ich erlebt habe.

Das heißt, Du hast in der Schule nicht erzählt, dass Deine Eltern auswandern wollten?

Nein, natürlich nicht. Aber meinem besten Kumpel hab ich es schon erzählt – der übrigens auch nicht so draufgängerisch war wie Torsten Maslowski im Comic.

In Deinem Comic tauchen viele Details aus der DDR auf. Wie schwer ist es Dir gefallen, Dich in die Zeit zurückzuversetzen?

Das war mir alles noch recht klar vor den Augen. Für manche Sachen musste ich noch einmal recherchieren, aber die meisten Sachen haben sich in mein Gehirn eingebrannt. Ich kann Dir aus dem Gedächtnis heraus noch genau beschreiben, wie irgendetwas aussah. Aber die Emotionen und Gefühle – die waren alle noch da. Problematisch war eher, dass ich wahrscheinlich noch stärker hätte aussieben müssen. Ich hatte von Anfang an viele Szenen oder Situationen gesammelt, die für mich damals ein Drama waren und dann irgendwann versucht, aus diesen Einzelszenen dramaturgisch eine zusammenhängende Geschichte zu stricken. Dabei hätte ich – im Nachhinein betrachtet – in der einen oder anderen Situation noch eher mal etwas wegnehmen oder Sachen komprimieren müssen. Andererseits ist dieser Platz natürlich auch das Tolle an so einem Comicbuch. Ich arbeite ja oft für Zeitungen, da habe ich dann eine Seite, um eine Geschichte zu erzählen. Und hier hatte plötzlich die Gelegenheit, eine Tischtennisszene auf 30 Seiten auszubreiten. Das macht natürlich irre Spaß.

Überaus komisch sind die dynamisch gezeichneten Tischtennisszenen, etwa das Spielen mit Büchern, wenn gerade kein Schläger zur Hand ist.

Ja, das war immer noch besser, als mit der Hand zu spielen. Das Buchwesen in der DDR war ja zum Glück hochentwickelt. Innen war zwar manchmal das schlechteste Papier, das man sich denken konnte, aber außen war doch fast immer ein Hardcover-Einband. Die haben sich gut geeignet. Im Osten wurde zwar ziemlich viel Schrott produziert, aber wenn sie etwas gemacht haben, dann ging es zumindest darum, den Bedarf der Bevölkerung zu decken und nicht wie heute darum, Bedarf zu produzieren.

Einblicke in Mawils Skizzenbuch

Die folgende Frage muss pro forma natürlich gestellt sein, wenngleich allein unsere Gesprächssituation sowie die Tatsache, dass wir zwischen das Frage-Antwort-Spiel ständig Tischtennis-Fachvokabular aus Kindheitstagen austauschen, dafür spricht, dass dieser Comic unbedingt als Hommage an das Tischtennisspiel zu lesen ist.

Muss man »Kinderland« auch als Tischtennisgeschichte lesen?

Ursprünglich wollte ich einen richtigen Tischtennis-Manga machen, ein Ping-Pong-Helden-Epos sozusagen. Als ich mich mit Dirk Rehm (Verleger des Reprodukt-Verlags) nach »Die Band« und »Action Sorgenkind« darüber unterhalten habe, was für eine Geschichte ich als nächstes erzählen könnte, sagte er, ich solle doch mal etwas Osttypisches machen. Da kam dann die Idee, eine Verbindung aus einer Tischtennis-Heldensaga und der Geschichte einer Ostkindheit zu machen.

In »Action Sorgenkind« hast Du mit dem Schriftsteller Jochen Schmidt zusammengearbeitet, ihr seid seit Jahren freundschaftlich verbunden. In seinem Roman »Schneckenmühle« sagt der Erzähler an einer Stelle, wie komisch es ist, dass man selbst beim Tischtennis in der DDR in der Schlange anstehen musste.

Beim Rundlauf, ja – Chinesisch, wie wir das nannten.

Eignet sich Tischtennis gut als Metapher für die Verhältnisse in der DDR?

Ich glaube, für die Leute im Osten war es einfach am billigsten, entweder mit zwei Eisenstangen im Boden einen Fußballplatz zur Verfügung zu stellen oder irgendwo eine Betonplatte aufzustellen. Von denen gab es ja genug. Ob die nun senkrecht in ein Haus reinkamen oder waagerecht auf einen Platz, um als Sportgerät zu dienen, war dann auch egal. Das größte Problem für uns Kinder bestand darin, dass es keine Netze gab. Wir haben dann entweder zu Holzbrettern gegriffen oder haben unsere Schulbücher oder Federtaschen aufgeklappt in die Mitte gestellt.

Und Du warst der geborene Tischtennisspieler?

Bei uns war es so, dass die Jungs ohne Brillen Fußball gespielt haben und die Jungs mit Brillen wie ich standen an der Tischtennisplatte. Grundsätzlich war ich zwar eher der Stubenhocker, aber wenn Sport, dann Tischtennis. Als Zeichner bin ich ja eher Schreibtischtäter, und dann war es irgendwie logisch, dass die einzige Sportart, in der ich annähernd mithalten konnte, am Tisch stattfinden musste. Tischtennis ist der einzige Sport, wo unabhängig vom Alter, der Größe oder der Sportlichkeit »Waffengleichheit« herrscht und man als Kind mit den Großen nicht nur mithalten, sondern sie sogar schlagen kann. Außerdem bietet Tischtennis eine gute Mischung: Man bewegt sich ein bisschen, aber man muss sich nicht gleich Sportklamotten anziehen. Und es kommt noch ein entscheidender Aspekt dazu: Man kommt einfach ins Gespräch – einfacher als beim Tanzen. Mädchen, die plötzlich neben einem an der Platte stehen, spricht man eher an als in der Disko.

Wenn man sich Deine autobiografischen Comics anschaut, könnte man meinen, Du hast die gemacht, um irgendwann »Kinderland« zu zeichnen, denn im Grunde wanderst Du aus einer nahen Vergangenheit immer weiter zurück bis in Deine Kindheit.

Als ich »Wir können ja Freunde bleiben« gemacht habe, hätte ich nicht gedacht, dass das so gut funktioniert. Dort sind ja viele Erlebnisse auch nur angerissen. Ich dachte immer, der Hase ist mein Durchbruch und die autobiografischen Sachen nur als Vergnügen gemacht. Dann habe ich gesehen, wie gern die Leute das gelesen haben und habe dann »Die Band« und »Action Sorgenkind« hinterhergeschoben. Das nächste Buch wird aber nicht in der Vergangenheit wühlen, sondern etwas in der Gegenwart sein.

Worum wird es denn darin gehen? Wieder um Dich und Deine Erlebnisse.

Ich glaube, ich werde wie in »Kinderland« wieder eine Mischung aus eigenen Erlebnissen und Fiktion machen, das funktioniert ganz gut.

Hast Du Bedenken, dass »Kinderland«, dem man eine melancholische Grundstimmung nicht absprechen kann, als ostalgisch aufgefasst wird?

Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich habe mir am Anfang einige Notizen gemacht, welcher Eindruck am Ende des Buches nicht entstehen soll, nämlich dass der Osten voll schlimm oder total toll war. Für uns Kinder war es einfach nur eine Kindheit in einem kleinen Land, aber für alle, die zehn Jahre älter und ihre ganze Jugendzeit eingesperrt waren, die haben das natürlich ganz anders erlebt. Angesichts des globalisierten Kapitalismus fände ich es manchmal ganz interessant, durchzuspielen, was wäre wenn… so Gedankenspiele halt. Aber so funktioniert das eben nicht. Der Mensch ist ein Raubtier und im Egoismus geboren, sonst wäre er wohl immer noch auf dem Baum. Deshalb funktioniert Sozialismus auch nicht.

»Sozialismus ist der Mensch im Mittelpunkt und alle anderen stehen drum herum“, heißt es bei Jochen Schmidt augenzwinkernd. Und dennoch gibt es Situationen, in denen dieser Satz »Im Osten war nicht alles schlecht.« fällt und gern missverstanden wird. Hast Du Dir eine Antwort auf mögliche Kritiken zurechtgelegt?

Ich werde wohl einfach abwechselnd sagen, »Wir hatten ja nüscht.« und »Es war nicht alles schlecht«. Zwischen diesen beiden Extremen werde ich mich einpendeln. Ich glaube aber, ich bin der Falsche, der über Geschichte oder Politik diskutieren kann, dazu habe ich zu wenig Ahnung. Aber mein Comic bietet dazu, wie ich finde, auch keinen wirklichen Anlass. Er erzählt eine Geschichte durch die Augen eines Kindes.

In »Kinderland« wollen Mirco und Torsten ein großes Tischtennisturnier zum Pioniergeburtstag organisieren. Gab es das »Freundschaftsturnier« tatsächlich oder gehört das zum fiktionalen Teil Deiner Erzählung?

Nein, das Turnier gab es nicht. Aber wir haben immer viel gespielt, auf dem Schulhof und auf Klassenfahrten sowieso. Wir haben dann Chinesisch gespielt oder Deutsch. Bei Deutsch hatte man eine bestimmte Anzahl an Leben und bei jedem Fehler wurde eins abgezogen. Wenn man alle Leben aufgebraucht waren, musste man die Tischtenniskelle auf die Platte legen. Und im Idealfall hatte der Fiesling der Runde, der die meisten rausgehauen hatte, am Ende die meisten Kellen auf seiner Seite, auf die dann der Gegenüber zu zielen versuchte. Da springt der Ball dann ja anders weg.

Nochmal zu meiner Frage: Die beiden Jungs organisieren das Freundschaftsturnier ja gegen den mutmaßlichen Willen der Pionierleiterin Frau Kranz. War das bewusst als Zeichen der am Horizont heraufziehenden Wende gesetzt oder als Metapher einer ganz normalen jugendlichen Rebellion? Die Wende habe ich als Kind nur am Rand mitbekommen. Deshalb geht es in dem Comic auch nur um die Welt der Kinder. Das Tischtennisturnier ist ein Symbol des Umbruchs im Kleinen.

Geordnetes Chaos – Atelierbesuch bei Mawil

Das Gespräch entgleitet. Wir tauschen uns über die verschiedenen Arten des Rundlauf-Spiels aus. Chinesisch, Deutsch, Englisch – heute alles pure Theorie, denn zu zweit ist nicht mehr drin als ein Match. Unser hin und her ähnelt zunehmend einem solchen, denn halbherzig vor sich hin spielen funktioniert nicht. Wie merken beide, dass das Spiel immer mehr Raum einnimmt. Zwischen die Fragen treten immer längere Spielpausen, denn inzwischen sind wir im Rhythmus. Wir tragen auch längst keine Jacken oder Langarmshirts mehr, sondern stehen uns im Schatten der Schulsträucher im T-Shirt gegenüber und brettern uns die Bälle vor die Schläger. Doch noch sind ein paar Fragen offen, also heißt es, Fehlschläge nutzen und meine Fragen in die Pausen hinein stellen.

Wie sieht Deine persönliche Comicbiografie aus?

Mit den Digedags von Hannes Hegen habe ich den Comic entdeckt und dann habe ich alles gelesen, was es so gab. Die Oma von meinem besten Freund hat immer mal Asterix-Hefte mitgebracht, das war natürlich super. Das Lustige Taschenbuch hab ich auch gelesen, aber das hab ich relativ schnell als lieblose Fließband-Produktion entlarvt. Es gab damals auch gar nicht so viele Comics. Das ist ja auch einer der Gründe, warum es mit der deutschen Comicszene nicht so richtig vorangeht. Man hatte als Jugendlicher einfach wenig Kontakt zu Comics, weil wenig die Lücke zwischen Mickey Maus und Erwachsenencomics füllen konnte. In Frankreich hingegen gibt es für jede Altersstufe richtig tolle Sachen. Ich habe mich beim Lesen der vorhandenen Comics irgendwann gelangweilt und angefangen, meine eigenen Sachen zu zeichnen. Mein allererstes Heft habe ich dann 1991 auf dem Kopierer in der Kirchgemeinde gemacht. Später habe ich dann Leute kennengelernt, die auch zeichneten und mit denen ich erste geklammerte Hefte rausgegeben habe.

…auf der Kunsthochschule Weißensee meinst Du?

Nein, das war alles noch weit vor der Kunsthochschule Weißensee. Auf die kam ich erst später, Ende der 1990er Jahre. Dort musste ich auch erst begreifen, dass man da keinen Beruf lernt, sondern viel Freiheit hat und sein eigenes Ding suchen muss. Da hab ich mir dann nach einigem Hin und Her den jüngsten Professor gesucht, ihm gesagt, dass ich Comic machen will und dann musste ich jede Woche fünf Seiten abgeben. Wenn man das ein halbes Jahr lang macht, hat man seine erste Graphic Novel fertig.

Und wie es der Zufall so wollte, bist Du an der Kunsthochschule Weißensee auf Jens Harder, Ulli Lust, Tim Dinter und die anderen Monogataris gestoßen…

Ohne diese Menschen wäre ich vielleicht viel zu schüchtern gewesen, um auf die Idee zu kommen, Comics zu machen. Die hatten zum einen vor mir schon Comics als Diplomthema eingeführt, zum anderen kannten die schon einige Leute über die Fanzines und Festivals, die das veröffentlichen würden. Und irgendwann Anfang der 2000er war ich für eine Nachwuchsausstellung nach Angoulême eingeladen. Dort fand ich dann meinen ersten amerikanischen Verleger.

Hast Du zeichnerische Vorbilder? In »Action Sorgenkind« sieht man Dich auf der letzten Seite einen Band von Christophe Blain lesen.

Als Kind habe ich ganz viel André Franquin und seine Geschichten um »Spirou und Fantasio« oder »Marsupilami« gelesen. Dann natürlich »Calvin & Hobbes« von Bill Watterson und später waren Lewis Trondheim und Christoph Blain nochmal echte Augenöffner. Bei Blain begeistert mich vor allem die Dynamik in seinen Zeichnungen, die ich mir abgeguckt habe.

Kannst Du mit den zeitgenössischen Amerikanern etwas anfangen?

Den Kanadier Chester Brown finde ich noch richtig gut, »I never liked you« (dt. »Fuck«) ist eines meiner liebsten Jugend-Coming-of-Age-Comics. Ansonsten mag ich die Superhelden-Hollywood-Geschichten der amerikanischen Comicszene nicht besonders, das ist nicht meine Welt. In den letzten Jahren habe ich auch in den Mangas noch einmal viel Faszinierendes gefunden, ohne dass ich jetzt einen Bestimmten nennen könnte. Aber die gaben mir viel Input, was Stimmungen, Atmosphären und Dynamiken oder das spielerische Gestalten einer Doppelseite betrifft. Ich habe mir da auch einiges für die Tischtennis-Szenen abgeschaut. Die Mangas haben auch der deutschen Szene noch einmal einen ordentlichen Schub gegeben. Es gab noch nie so viele junge Comiczeichnerinnen beispielsweise.

DSC_0041

Wir kommen zu meinen letzten Fragen. Als würde Mawil es ahnen, legen wir eine Pause ein. Eine gute Gelegenheit, mal kurz in meinen Fragenkatalog zu schauen und zu prüfen, ob ich bis hierher etwas Wichtiges ausgelassen habe. Nein, alles gut, alles entspannt. Wie zwei Zwölfjährige setzen wir uns auf die Tischtennisplatte, jeder auf seine Seite, lassen die Beine baumeln und uns den Wind um die Ohren wehen. Das bisschen Tischtennis hatten wir irgendwie weniger anstrengend in Erinnerung, dabei haben wir gar nicht richtig gespielt. Aber manchmal sind die Dinge eben anstrengender, als man denkt. Das Comiczeichnen vielleicht manchmal auch?

Sieben Jahre lang hat es gedauert, bis nach »Action Sorgenkind« nun »Kinderland« erscheinen konnte. Was hast Du die ganze Zeit gemacht? Bei einem solch großen Comic ist es irgendwie egal, ob man heute oder morgen anfängt. Da zieht sich das Anfangen schon mal hin. Ich hatte dennoch relativ schnell, schon nach etwa zwei Jahren, etwa 250 Seiten gezeichnet. Dann kam eine Phase, wo ich ein paar Entscheidungen hätte treffen müssen – also die eine Szene besser raus oder zwei Szenen zu einer verdichten –, aber aus Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, habe ich das immer wieder vor mir hergeschoben. Ich war zwischenzeitlich auch viel für das Goethe-Institut in aller Welt unterwegs, um meine Zeichnungen auszustellen oder Zeichenkurse zu geben. Das war auch eine tolle Zeit, man sieht einfach viel und trifft interessante Leute. Und irgendwann gab es dann den Punkt, an dem ich dachte, jetzt musst Du das einfach mal fertig machen. Im letzten halben Jahr habe ich dann 150 Seiten am Stück artig heruntergezeichnet. Entworfen war ja alles schon mehr oder weniger.

Musstest Du dabei viele Darlings um die Ecke bringen?

Letztendlich gar keine. Deshalb habe ich ja auch noch ein wenig die Befürchtung, dass es ein wenig konstruiert wirkt.

Ich habe das nicht konstruiert empfunden, vielleicht auch deshalb, weil »Kinderland« im Vergleich zu anderen Comics nicht durch lange Texte zusammengehalten wird, sondern eher über die Bildgeschichte erzählt wird. Du arbeitest hier auch nur mit Dialogen, einen Erzähltext gibt es gar nicht.

Ich wollte mal ausprobieren, ob das klappt. Obwohl ich grundsätzlich versuche, Textlastigkeit zu vermeiden. So wie ich Filme nicht mag, die einen Off-Erzähler brauchen, der einem die Handlung erklärt. Daher lautet auch eine der Grundregeln, die ich vermittle, wenn ich Zeichenkurse für herangehende Comiczeichner gebe, dass der Text eines Comics nicht einfach erklären soll, was man im Bild sieht, sondern möglichst eine neue Ebene eröffnen.

Hast Du Erwachsenwerden selbst so erlebt wie Mirco, der in immer mehr Situationen gerät, in denen er eigentlich nichts richtig machen kann?

Ja, das trifft es ganz gut. Aber auch wenn Mirco in dem Comic wenig reifer wird, hoffe ich, dass er am Ende doch an diesen Situationen wächst. Vielleicht geht es ihm ein wenig wie mir und er ist in Sachen Erwachsenwerden einfach ein Spätzünder. Ich fühle mich auch heute noch nicht richtig erwachsen.

»Kinderland« lebt besonders vom Jugendslang der ausgehenden DDR. War es schwer, den wieder aus dem Gedächtnis hervorzukramen?

Nein, eigentlich nicht. Außerdem hatte ich Jochen Schmidt, der ist in diesen Sachen richtig gut. Wir tauschen uns seit Jahren über Ost-West-Sachen aus. Ich war auch ein paar Mal bei ihm und habe mir Bücher ausgeliehen, Fotos von seinen Sachen gemacht. Und als ich in seinem Roman »Schneckenmühle« die Szene gelesen habe, wo die Kids zu People are people tanzen, war ich kurz richtig sauer, weil das bei mir schon seit Jahren im Storyboard stand, aber er einfach schneller und fleißiger war. Mit den ganzen Slang-Geschichten aber gab es am Ende vor allem Schwierigkeiten mit den Apostrophen. Ich musste mich mit meinem Lektor für eine eigene Rechtschreibung entscheiden und am Ende zwei Wochen lang Apostrophe abgleichen. Das war anstrengend.

Schön, ich denke, wir haben über eine ganze Menge gesprochen. Wollen wir noch eine Runde spielen?

Ja, dann aber nach Punkten.

Da war es, das Spieler-Gen. Drei Gewinnsätze haben wir ausgemacht und gespielt. Es war ein enges Match, soviel sei hier verraten. Wer es gewonnen hat, bleibt geheim.

5 Kommentare

Kommentare sind geschlossen.