Die dystopische Flüchtlingsgeschichte »Saga« gehört zu den besten Comicserien, die man derzeit auf dem Markt finden kann. Brian K. Vaughan und Fiona Staples haben mit ihrer epischen Erzählung in den letzten zwei Jahren sechs Eisner- und sechs Harvey-Awards gewonnen. In diesem Sommer könnten drei weitere Eisners hinzukommen.
Kaum ist Hazel geboren, ist sie schon auf der Flucht, denn Kreaturen wie sie sind in der umkämpften Galaxis, in der Prinz Robot IV. das Gewaltregime des Robot-Königreichs etabliert hat, die größte Gefahr. Denn in dem niemals endenden Konflikt zwischen dem größten Planeten in dieser Galaxie Landfall und dem kleinen Mond Ranke darf es keine Versöhnung geben. Hier muss sich jeder für eine Seite entscheiden. Die Existenz eines Wesens, das wie Hazel die Gene der Völker beider Planeten in sich trägt, kann nur eine Bedrohung für die ewige Kriegsordnung bedeuten. Und doch gibt es Hazel, die uns die Geschichte ihrer Eltern erzählt.
Der ewige Kampf zwischen Ranke und Landfall, den der einäugige Schriftsteller D. Oswald Heist in seinem Roman »A Nighttime Smoke« vorausgesagt hatte und dem sich jede Kreatur dieses Universums hat unterordnen müssen, sieht nur Gewalt, Hass und Abscheu vor. Doch zwischen der Gefangenenwärterin Alana – einer Geflügelten vom Planeten Landfall – und dem Inhaftierten Krieger Marko – einem Gehörnten aus Rankes militärischer Elite – entwickelten sich ganz andere Gefühle; Zuneigung, Zärtlichkeit, Liebe. Als Alana erfährt, dass sie von Marko ein Kind erwartet, verhilft sie ihm zur Flucht. Auf dieser bringen beide ihr Kind zur Welt; hier setzt die mit den wichtigsten Comicpreisen gekrönte Serie von Brian K. Vaughan und Fiona Staples ein.
Während Staples mit dieser Serie erst zu Weltruhm gelangte, hat Vaughan bereits vor Saga mehrere hochgelobte Comicdrehbücher geschrieben. Eines davon, Absolute Y. The Last Man, wird nun im Zuge des Saga-Welterfolgs noch einmal als voluminöse Sammleredition in drei Bänden herausgegeben. Die mit drei Eisners ausgezeichnete Geschichte handelt von Yorick Brown, der als einziges männliches Wesen eine globale Seuche überlebt hat. Schon hier wird Vaughans Faszination an sozialen Experimenten und Sextopien deutlich; Themen, die sich auch in Saga wiederfinden.
Von dem Weltbestseller liegen aktuell vier Sammelbände mit den ersten 24 Einzelheften vor, der fünfte englischsprachige Band erscheint Ende September bei Image Comics. Der deutsche Verlag Cross Cult will schnellstmöglich nachziehen und Band Fünf bis zum 7. Dezember in deutscher Übersetzung auf den Markt bringen. Denn die Story hat in ihrer Mischung aus knallharter Action, futuristischer Weltuntergangsstimmung, bizarrer Fantasie, mittelalterlicher Romanze und moderner Familienstory – in der es, das sei am Rande bemerkt, von fliegenden Haien, knöchernen Beinwanzen, gutmütigen Hirtennagern, obrigkeitshörigen Speckratten, sprechenden Monitorköpfen und anderen Androiden nur so wimmelt – auch bei der deutschen Leserschaft eingeschlagen wie ein gleißender Blitz.
Aus der gemeinsamen Flucht von Marko und Alana entwickelt sich in rasantem Tempo eine intergalaktische Jagd auf die letzten Hoffnungsträger des Universums. Zum Auftakt gelingt den beiden Helden mit ihrer gerade geborenen Tochter die Flucht vor den skrupellosen Technotruppen von Prinz Robot IV. Dieser setzt daraufhin verschiedene Kopfgeldjäger auf die beiden Flüchtigen an. Etwa das spinnenartige Frauenwesen Die Pirsch, der der Ruf als obrigkeitshörige Schlächterin vorauseilt. Sie heftet sich an die Hacken des gehörnt-geflügelten Pärchens und stellt es auf seiner Flucht auf dem Planeten Kluft. Dabei verletzt sie Marko schwer, kann ihre Mission aber nicht beenden, weil sie panisch vor einer Horde Untoter flieht.
Mit diesen wandelnden Leichen taucht auch Izabel auf, die sich Alana als Babysitterin der anderen Art anbietet. Sie ist der selbstironische Geist eines im intergalaktischen Krieg gefallenen Mädchens, der sich nur zu gern auf die Seite zweier Regimegegner schlägt. Und weil Alana dringend auf die Hilfe dieses Mädchens ohne Unterleib angewiesen ist, willigt sie dem Seelenbund zwischen Hazel und Izabel ein, der Marko das Leben rettet und es dem guten Geist des Mädchens erlaubt, mit ihnen den Satellitenstaat mit einer Baumrakete zu verlassen.
An dieser Stelle tritt der sexsüchtige Freilanzer Der Wille auf die Bühne. Er genießt unter den Söldnern und Kopfgeldjägern den Ruf als knallharter Einzelgänger. Seine Beziehung zu Die Pirsch ist vor Jahren zerbrochen, seine Liebe zu ihr jedoch nicht. Dennoch weilt er, als ihn Prinz Robot IV. anheuert, auf dem Vergnügungsplaneten des Universums mit dem Namen Sextillion, auf dem sich Typen wie der blaublütige Prinz auch noch die perversesten Träume erfüllen lassen können. Bevor sich Der Wille gemeinsam mit seiner Lügenkatze auf die Jagd nach der Kleinfamilie macht, will er aber noch eine sechsjährige Sexsklavin aus den Händen ihrer Zuhälterin Mama Sun befreien, die sie ihm gerade zu Diensten führen will. Gemeinsam mit Markos Ex-Freundin Gwendolyn, die sich seiner Hatz auf ihren Ex-Geliebten nur liebend gern anschließt, wird er das Mädchen, das sie Sophie nennen werden, von Sextillion entführen.
Mit dem Fortlauf der Geschichte entwickelt sich die Verfolgungsjagd zu zwei herausfordernden Familiengeschichten im Exil, denn neben Marko, Alana und Hazel hat sich mit Der Wille, Gwendolyn und Sophie eine zweite familienähnliche Verbindung aufgetan. Die Verfolgung der gehörnt-geflügelten Kleinfamilie haben inzwischen der skrupellose Prinz Robot IV. und seine Agenten übernommen, die sich Löcher in Zeit und Raum schneiden, um von einem an den anderen Ort der Handlung zu wechseln. Der Androidenprinz hinterlässt dabei eine blutrote Spur des Todes. Auch Die Pirsch wird die Begegnung mit ihm nicht überleben und fortan nur noch als Tagtraum in die Handlung eingreifen. Ihr Tod lässt in Der Wille die Wut auf das Regime wachsen und die Seiten wechseln. Zumal er sich mehr und mehr Gwendolyn und Sophie zuwendet, die für ihn zur Ersatzfamilie werden. Doch in einem Anfall von Wahn verletzt Sophie ihren Retter schwer, so dass Der Wille plötzlich auf die Hilfe desjenigen angewiesen ist, den er zu töten den Auftrag hatte. Denn nur Marko kennt das Heilmittel, das ihn retten kann. Gwendolyn macht sich nun allein auf die Suche nach ihrem Ex, um Der Wille zu retten und eine offene Rechnung zu begleichen.
Am Ende des dritten Bandes kommt es zum Showdown auf D. Oswald Heists Leuchtturm. Auf wenigen Seiten werden hier alle Charaktere auftreten, die bislang für die Handlung entscheidend waren. Einige werden dieses Aufeinandertreffen überleben, andere nicht. Zumindest werden danach die bekannten Konstellationen und Kräfteverhältnisse derart erschüttert sein, dass in Band vier die ganz normalen Sorgen der modernen Kleinfamilie im Vordergrund stehen können. Diese hat sich auf dem grünen Planeten Gardenia niedergelassen, wo Alana bei einer Art Piratensender, dem »offenen Schaltkreis« in einer Theatergruppe arbeitet, während sich Marko um die heranwachsende Hazel kümmert. Diese Konstellation birgt in dieser gleichermaßen futuristischen wie mittelalterlichen Welt Sprengstoff. Es gibt Eifersüchteleien und Versöhnungsversuche, Missverständnisse und den ganz normalen Nerv des Alltags. Dass eine Science-Fiction-Saga einen derart authentischen Ton entwickeln kann, wie er hier angeschlagen wird, ist wohl das überraschendste an dieser Geschichte. Dazu passt es, dass auch in dieser Erzählung die typischen zwischenmenschlichen Katastrophen eintreten; schon zu Beginn des Bandes erklärt die Erzählerin, »diese Geschichte handelt von der Trennung meiner Eltern«.
Parallel dazu entspinnt sich eine großangelegte Suchaktion nach Prinz Robot IV., der in den Lustkellern auf Sextillion im Sex- und Drogenrausch nicht nur die Geburt seines Sohnes, sondern auch die Vernichtung seiner Familie verpasst. Sein Erwachen wird schrecklich sein, und im Robot-Königreich stellt sich die Machtfrage. Zeitgleich überschlagen sich auch auf Gardenia die Ereignisse. Der Android Dengo, der schon für das Massaker im Königspalast verantwortlich war, taucht auf und wird Markos Familie entführen. Es kommt zur Vereinigung der einstigen Erzfeinde, um Dengo dingfest zu machen und die Liebsten zu retten.
Brian K. Vaughan und Fiona Staples Saga wird seinem vielversprechenden Titel mehr als gerecht. Die Macher dieses intergalaktischen Zukunftsmärchens in Comicform – vergleichbar nur mit Bastian Vivès‘, Michaël Sanlaville und Yves Balaks LastMan-Epos – verbinden darin die fantastischen Erzählungen des Mittelalters mit den verschiedenen Zukunftsentwürfen des Lebens im All. »Starwars meets Game of Thrones«, titelten nicht wenige der renommiertesten Comickritiker in den USA, und treffen damit doch nur die spektakulären Ausreißer dieser auf allen Ebenen sensationellen Story.
Vier Gründe für dieses »sensationell« sollen hier genannt sein: Da sind zum Einen die faszinierenden Mischwesen, in deren Körpern Mensch, Tier und Technik zu einem bunten Zoo der Neuzeit verschmelzen, und die darüber hinaus auch eine Charakterentwicklung durchmachen, die sie erst glaubhaft werden lässt. Zum Zweiten sei auf die Dialoge hingewiesen, die nicht in tumber Schlachtrhetorik ersticken, sondern die bei aller Kürze stets von einem fein ziselierten Humor durchzogen sind, der entweder dem Leser oder den Figuren den Atem verschlägt. Zum Dritten ist die spektakuläre Grafik von Fiona Staples zu erwähnen, die Handelnden und Geschehen mit ihrem Strich nicht nur auf magische Weise Leben einhaucht, sondern faszinierende Lösungen für Zwischen- und Traumwelten, Bewegungen und Weltraumlandschaften gefunden hat. Diese Erzählung ist zwar explizit nur für den Comic gemacht, liest sich dank Staples Artwork aber dennoch wie ein Film. Und last but not (at all) least hat diese Erzählung aller futuristischer Verankerung zum Trotz eine soziale Relevanz in unserer Gegenwart. Armut, Krankheit und Unterdrückung, politische Machtkämpfe und soziale Dramen, die große und die pragmatische Liebe – all das findet sich in den unendlichen Weiten dieser dramatischen Geschichte realitätsnah und authentisch wieder.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass das Dreamteam Vaughan-Staples in diesem Jahr das Eisner-Triple für die Doppelauszeichnung als Bester Autor und Beste Zeichnerin komplett machen kann. Und es würde niemanden wundern, wenn genau das passiert, denn mit dieser Serie haben sie in den letzten zwei Jahren alles an Preisen gewonnen, was man in Nordamerika gewinnen kann. Das Wundern hebe man sich besser für die Lektüre dieser spektakulären Erzählung auf; man wird es oft brauchen. Saga ist Magischer Futurismus 2.0, und schon jetzt ein Klassiker der Neunten Kunst. Wer sich hier nicht verzaubern lässt, hat weder Herz noch Verstand!
Brian K. Vaughan & Fiona Staples: Saga Volume 1-4. Aus dem Amerikanischen von Marc-Oliver Frisch. Cross Cult Comics 2013-2015. Jeweils ca. 160 Seiten. 22,- Euro. Hier bestellen
[…] fortlaufende Serie davon. Einmal mehr bestätigt sich damit der Eindruck, dass es sich bei Saga um die aktuell kreativste und eindrucksvollste Comicserie handelt. Im Dezember erscheint im Cross Cult-Verlag der fünfte Sammelband der Serie in der […]
[…] erschienen. Von Frisch wird auch Brian Vaughans und Fiona Staples’ im gleichen Verlag publizierte Erfolgsserie Saga übersetzt, von der der vierte Sammelband nominiert […]
[…] Hauptfiguren im aktuellen Comic von Florent Ruppert und Jérôme Mulot (die zuletzt gemeinsam mit Bastian Vivès die beiden Kunstraub-Bände »Die große Odaliske« und »Olympia«). Sie lernen sich über eine […]
[…] Opera geschrieben, die thematisch eher in den Kosmos von Jillian und Mariko Tamaki als in den von Brian K. Vaughan und Fiona Staples passt. Denn sie verpackt in diesem epischen Coming-of-Age-Comic queer-feministische Positionen […]