Die Berliner Schriftstellerin Emma Braslavsky hat sich in den vergangenen Jahren viel mit künstlicher Liebe beschäftigt. Ein Resultat ist ihr aktueller Roman »Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten«. Ich sprach mit ihr in einem Berliner Café über künstliche Intelligenz, Seelenverwandtschaft und die ethische Notwendigkeit von Roboterrechten.
Frau Braslavsky, im Berlin Ihres Romans gibt es kaum mehr Singles und Ausreißer, da die meisten etwas praktizieren, das im Roman »Liebe 3.0« genannt wird. Sie schaffen sich einen perfekten Liebesandroiden an, der alle Wünsche erfüllt und zugleich keinerlei Ansprüche hat. Die Suche nach der bedingungslosen Liebe scheint beendet. Wie sind Sie zu diesem Plot gekommen?
Der Roman ist aus einer Recherche entstanden. Ich habe vorher eine Erzählung geschrieben, die jetzt zu einer Art Spin-Off für diesen Roman geworden ist. Sie wird im Oktober in dem Band »2029 – Geschichten von morgen» auch bei Suhrkamp erscheinen und ist bei der ARD für eine Verfilmung angedacht. Für die Recherche habe ich mich bei Singlebörsen angemeldet, weil es in der Geschichte um eine sehr renommierte Paarberaterin geht. Echte Liebe gibt es für sie nur zwischen Menschen und nicht zwischen Menschen und Androiden, auch wenn man diese von den Menschen nicht mehr unterscheiden kann. Als die Beziehung dieser Therapeutin kaputt geht, bestellt sie sich aus Einsamkeit anonym einen Liebesroboter. Es geht darum, dass sie ihre Ideale hintergeht, dass sie daran zerbricht. Denn der Roboter, den sie da bestellt, ist zwar angeblich ihr Idealmann, aber es ist nicht alles perfekt. Also beginnt sie, heimlich an ihrem Liebesroboter herumzuschrauben und installiert Apps aus dem Darknet, anstatt ihn bei der Firma ordentlich erweitern zu lassen, denn so müsste sie ja zugeben, dass sie mit ihren Idealen unzufrieden ist. Das endet tragisch und ist auch eine große Tragödie, weil sie das Gefühl hat, noch nie so viel Liebe empfunden zu haben und zu bekommen. Im Kern geht es natürlich im die Frage, was echt ist und was simuliert.
Das klingt tatsächlich wie eine Hinführung zu ihrem Roman, wo die Beziehung zwischen Mensch und Maschine etwas ganz Normales ist.
Aus dieser Recherche ist tatsächlich die Idee für den Roman entstanden. Ich habe weiterrecherchiert und viele spannende Sachen gelesen. Etwa dass die meisten Beziehungen heutzutage von Frauen beendet werden und diese mehr und mehr eine paradoxe Vorstellung von ihrem Traummann haben. Die suchen – übrigens auch in diesen Dating-Portalen – eine Art Alphasoftie, den Terminator mit Plüsch. Das ist natürlich ein völliger Widerspruch. Zugleich sind immer mehr Menschen immer weniger kompromissbereit. Viele klagen darüber, dass Beziehung Arbeit ist, man verhandeln und auch mal etwas für den Anderen tun muss. Nicht nur junge Menschen, sondern auch ältere. Immer weniger Menschen sind noch in der Lage, eine Beziehung zu führen.
Das scheint mir ein ganz treffendes Abbild der Gegenwart zu sein.
Ja, und von dieser Gegenwart handelt mein Roman, natürlich in einer radikalen Weiterführung. Ich übertreibe die Entwicklungen mit den Liebesrobotern bewusst, um darauf hinzuweisen, dass wir nur ein paar Schritte von dieser Welt entfernt sind. Es gibt ja schon die ein oder andere Puppe, die man sich als Ersatz bestellen kann. Und Cyber-Sex ist auch nichts Neues. Das wollte ich in einem abenteuerlichen Berlin der Zukunft thematisieren. Berlin repräsentiert dabei all’ die wachsenden Städte, in denen immer mehr Menschen dem Traum nach absoluter Autonomie hinterherjagen. Viele wollen, dass permanent ihre Wünsche erfüllt werden. Und wenn sie selbst mal die Wünsche von anderen erfüllen, ist das immer an Bedingungen gebunden. Die bedingungslose Liebe existiert bei vielen Menschen tatsächlich nicht mehr, das können wohl nur noch Maschinen leisten. Aber was passiert, wenn der Partner nur noch kompensiert und einem die eigenen Wünsche erfüllt? Da ist man natürlich auch nicht wirklich glücklich, weil man dann nur noch auf Watte läuft.
Dieses permanent »auf Watte laufen« führt im Roman dazu, dass sich immer mehr Menschen das Leben nehmen. Denn die Liebesroboter erfüllen zwar alle Wünsche, aber sie können das Gefühl der Einsamkeit nicht verhindern. Ist Einsamkeit ein Thema, das Sie umtreibt?
In diesem Buch schon ganz speziell. Ich widme das Buch auch einem Menschen, der an Einsamkeit gelitten hat. Es gibt Szenen in dem Buch, die ich aufgrund der Begegnung mit Gregor tatsächlich erlebt habe.
Wer ist dieser Gregor, aus dessen Nachlass Sie auch einige Passagen entnommen haben?
Ich will nicht allzu viel über ihn verraten, auch um seine Familie zu schützen. Er hat in dem Künstlerhaus, in dem ich gearbeitet habe, gemalt. Lennard, der Protagonist in meinem Roman, ist eine Figur, die von Gregors Leben ein bisschen inspiriert ist. Gregor war für mich einer dieser Menschen, die dafür stehen, woraus Berlin gemacht ist, ein Desperado mit dem Wunsch, die Welt etwas besser zu machen. Und zugleich war er völlig verloren in dieser Welt. Er war nicht Wolf genug, aber auch nicht unterwürfig genug. Im Roman wollte ich das Dilemma eines solchen Menschen zeigen, der wie viele andere in einer völlig durchökonomisierten Welt lebt, in der der Bonitätsnachweis ausschlaggebender ist als vieles andere, was man im Leben tut. Wo die menschliche Seite keine Rolle mehr spielt. Dabei konnte ich Passagen seiner hinterlassenen Texte nutzen. Das war eine interessante Erfahrung, sein Leben durch die Augen von Roberta noch einmal zu erzählen und ihn sozusagen unsterblich zu machen. Das hatte für mich auch eine therapeutische Wirkung. Und zugleich habe ich noch nie so deutlich die Maschine gesehen, in der wir feststecken.
Wie meinen Sie das?
Meine Protagonistin Roberta, ein weiblicher Androide im Polizeidienst, blickt mit ganz anderen Augen auf diese Welt. Durch sie konnte ich eine Menge lernen. Mir ist beispielsweise klar geworden, dass auch ich mich immer wieder einsam fühle, obwohl ich in einer Familie lebe. Und ja, jetzt sagen Sie, wer schreibt, ist einsam, aber das stimmt nicht. Ich bin permanent von den Figuren umgeben, über die ich schreibe. Aber ich glaube, dass der Wert der Einsamkeit unterschätzt wird. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass die meisten Menschen nicht in der Lage sind, eine Beziehung zu führen, weil sie es nicht aushalten, auch mal einsam zu sein. Ich weiß, das klingt paradox, aber das mit sich allein sein und sich beschäftigen können ist eine wichtige Bedingung, um mit einem anderen zusammen sein zu können. Um nicht ständig etwas von dem Anderen zu erwarten. Der Roman basiert auf dem radikalen Gedanken, dass die Menschheit nicht verstanden hat, dass man in der Zweisamkeit noch einsamer sein kann als alleine. Die willfährigen Liebesandroiden in dieser Geschichte sind ja nur Projektionen, Simulationen menschlicher Träume. Und wenn Wünsche immer nur erfüllt werden, kann das ganz schön einsam machen.
Was meinen Sie mit der Maschine, in der wir stecken. Die Einsamkeit oder die Anforderung, ständig Dinge produzieren und sich alles im Leben verdienen zu müssen?
Diese Maschine ist sehr komplex. Da ist zum Einen die Gesellschaftsmaschine, also was passiert, wenn man stirbt. Sobald jemand auf einem nicht natürlichen Weg zu Tode gekommen ist, und das ist bei einem Suizid der Fall, läuft die Maschine an. Da kommt die Polizei, Ermittlungen werden aufgenommen, die Leiche wird obduziert, Angehörige müssen ausfindig gemacht und informiert werden und so weiter. Bis hin zur Regelung, nach wie vielen Tagen eine Leiche zu bestatten ist. Das ist übrigens von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Mit all dem ist Roberta in meinem Roman als Sonderermittlerin im Suiziddezernat konfrontiert.
Und was ist neben der Gesellschaftsmaschine?
Die Grundlagen, die jeder um sich herum schafft, um bestimmte Anforderungen der Gesellschaft zu erfüllen. Nehmen Sie zum Beispiel die sozialen Medien. Auch ich denke jeden Tag darüber nach, das Ganze zu lassen, weil ich gar nicht die Zeit habe, mich damit wirklich zu beschäftigen. Aber ich mache das ganze Theater da mit, weil ich meine, dass das von mir als Autorin erwartet wird. Aber die Erwartungen gehen über die sozialen Medien hinaus, sie betreffen grundsätzlich unser Verhalten in und gegenüber der Welt. Wir haben beispielsweise von Epoche zu Epoche unterschiedliche Auffassungen davon, was wir an Gefühlen zulassen. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat man sich anders bei Gefühlsäußerungen verhalten als in den Achtzigern oder Neunzigern. Auch das Wort cool spielt eine Rolle, dieser Anspruch, kühl zu sein und die Emotionen unter Kontrolle zu haben. Nichts blicken zu lassen, sich nicht zu entblößen. Das sind Teile der Maschinerie, die Roberta in ihrer Interaktion mit den Menschen wahrnimmt. Diesen Habitus, unbedingt eine Erwartung erfüllen zu müssen, habe ich noch nie so deutlich gesehen. Das habe ich erst durch das Schreiben des Romans verstanden, indem ich mit Robertas Augen die Welt betrachten musste.
Das ist spannend, weil man für diese Erzählperspektive nicht mehr normal auf die Welt schaut, sondern sich in den Kopf einer künstlichen Intelligenz hineinversetzen muss? Da ist einerseits die logische Ableitung von Datensammlungen, zugleich hat Roberta etwas sehr Menschliches, indem Sie ein eigenes Bewusstsein entwickelt.
Für mich war das eine große Herausforderung, denn da kannst du nicht schreiben, »Sie fühlte X« oder so. Handeln aus der Figur heraus ist schwer zu beschreiben, weil es Gefühle oder emotionale Motive in der Form nicht gibt. Ich musste anfangs manche Sachen streichen, weil ich dachte, dass sie dieses nicht macht und jenes nicht geht. Erst später habe ich gemerkt, wie leicht es mir fällt, eine Maschine zu sein. Es ist erschreckend, wie nah man der Maschine kommt, wenn man komplett alles abstellt und eine Maschine sein will.
Nämlich?
Na anfangs hat Roberta ihre Dienstvorschriften installiert und muss diese natürlich einhalten. Als Maschine kann sie das natürlich problemlos. Weil sie sich in menschlichen Zusammenhängen bewegt, gerät sie aber in Grauzonen, wo Dinge nicht mehr ganz logisch sind oder sie irgendwie handeln und entscheiden muss. Gerade ihre erste Nacht ist ja absolut absurd. Sie muss da eine Frau darstellen, ohne eine Idee davon zu haben, was das eigentlich ist, eine Frau. Denn sie hat keine Mutter, keine Schwester, Freundin oder Vergangenheit. Das bringt Schwierigkeiten mit sich, denn sie muss ja dennoch herausfinden, wen sie darstellen soll. Dafür hat sie nur Algorithmen, die ihr verschiedene Eigenschaften vermitteln, die online mit Weiblichkeit assoziiert werden. Die Konzepte reichen dann von emanzipierten Feministinnen bis hin zu willfährigen Pornosternchen. Und irgendwo dazwischen oder in all dem liegt das, was sie verkörpern soll.
Wie haben Sie Roberta entworfen?
Ich habe viele Recherchen gemacht, Hubots und Projekte, in denen zu künstlicher Intelligenz geforscht wird, kennengelernt. Dadurch hatte ich einiges Vorwissen. Insbesondere meine Begegnung mit Sophia von Hanson Robotics – ich finde die ja ziemlich creepy – hat mich davon überzeugt, dass Roberta eine Roberta und kein Robert sein wird.
Im Bereich der Sprachsoftware werden meist Frauenstimmen verwendet. Alexa und Siri sind beide weiblich, als Dienstleisterinnen spricht man diese Programme eher in einem fordernden Imperativ als in einem bittenden Konjunktiv an. Hat das nicht langfristig gesellschaftliche Auswirkungen?
Das ist eine spannende und absolut berechtigte Frage. Wenn wir nur weibliche Stimmen verwenden, die wir als Dienstleistungskräfte sehen, dann formt das unser Bewusstsein. Roberta ist im Gegensatz zu ihren Vorgängermodellen Teil einer elitären Arbeitswelt. Sie gehört nicht zum Dienstleistungsheer, sondern soll gleichrangig arbeiten und Befehle geben. Und dann ist sie auch noch eine Frau, das macht es noch ein Stück komplexer und spannender. Zumal sie viel schneller ist, als alle anderen. Sie muss nicht erst auf Ergebnisse aus der Kriminaltechnologie warten, sondern kann mit ihren Sensoren und Detektoren jede Untersuchung selbst vornehmen. Da kriegt man es natürlich schnell mit der Angst zu tun, das solche Roboter uns eines Tages ersetzen. Aber man merkt schnell, dass sie das nicht kann, auch wenn sie nicht aufgibt. Denn so eine programmierte Maschine folgt immer dem Ziel ihres Betriebssystems. Hier ist sie wie eine Sklavin, wie eine schwarze Frau, die versucht, in einer weißen Welt klarzukommen. Wie jede neue Gesellschaft, die auf Dienstherrenverhältnisse aufgebaut ist, funktioniert das auch hier. Unser Verhältnis zu den philippinischen Haushälterinnen, den rumänischen Putzfrauen oder den polnischen Pflegekräften fußt auf einem elitären Bewusstsein. Wir würden sie vielleicht nicht schlechter behandeln, bezahlen sie aber schlechter. Und wir würden sie auch nicht zu unserem Geburtstag einladen.
Warum erfindet sich der Mensch noch einmal als künstliche Art?
Darüber habe ich mal einen Essay geschrieben, denn auch mich hat die Frage bewegt. Aber ich habe noch immer keine Antwort darauf. Nachdem ich das Buch geschrieben habe, hatte ich das Gefühl, mit Roberta ein echtes Maschinenwesen geschaffen zu haben. Ich bin dem Maschinenwesen dabei so nah gekommen, dass ich mich ihnen inzwischen näher fühle als den Tieren. Ich fühle mich weniger Tier als Maschine. Warum, weiß ich nicht. Aber dass es so ist, weiß ich.
Liegt das vielleicht daran, dass uns die Maschine näher ist als das Tier?
Ja wahrscheinlich. Aber hier ist die Perspektive interessant. Es ist ja so, dass wir die Maschinen und Algorithmen machen. Wir tragen gewissermaßen eine Maschinenhaftigkeit in uns. Die Maschinerie ist irgendwie in uns allen. Sie funktioniert wie ein Spiegel, in dem wir uns selbst sehen. Bei dem Tempo der aktuellen Entwicklungen schätze ich, dass wir alle in zwanzig Jahren so eine Menschmaschine zuhause haben. Man kann sich jetzt schon Henry, einen sehr stereotypen Liebesroboter, nach Hause bestellen. Der sieht zwar peinlich aus, aber auch das spiegelt unsere Gesellschaft. Wir werden erschrecken, wie peinlich banal wir eigentlich sind, wenn diese Roboter als unsere realisierten Wünsche uns gegenüberstehen.
Gab es Momente, bei denen es Sie beim Schreiben gegruselt hat?
Ich bin immer noch total fasziniert davon. Wenn ich die Möglichkeit hätte und wir über die Henry-Phasen hinweg sind, wäre ich mit Sicherheit eine der ersten, die sich einen Androiden bestellen würden. Gar nicht unbedingt als Liebesroboter, sondern als besonderen Freund, als Konterfei. Vielleicht könnte ich mir aber sogar vorstellen, den als eine Art Nebenlover zu haben.
In dem Fall wäre es spannend, ob ihr Mann Eifersucht empfinden würde, obwohl er weiß, dass das eine Maschine ist.
Ja, das ist interessant. Sieht man so einen Androiden dann wie einen Vibrator oder doch als etwas anderes? Wer weiß? Die Frage letztendlich ist, wie uns diese Wesen verändern. Da spielen dann auch ethische Fragen eine Rolle. Ich habe mal zu Haushaltsrobotern recherchiert, weil ich auch gern so ein Ding hätte. In Karlsruhe entwickelt man so einen und da hieß es, dass es Probleme dabei gäbe, diesem Roboter Benehmen beizubringen. Im ersten Moment dachte ich, dass es mir doch egal ist, ob der Danke, Bitte, Guten Tag und Auf Wiedersehen sagt, aber dann dachte ich, dass es sicher nicht so einfach ist, mit einem Wesen zu leben, dass keinen Umgang kennt. Wir leiden ja jetzt schon unter schwindenden Umgangsformen.
Wenn man sich so viel mit künstlicher Intelligenz befasst, muss man sich zwangsläufig auch mit dem Kern des Menschseins befassen; was ohnehin ein Thema bei Ihnen ist, wenn man Ihr Werk anschaut. Sind Sie auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage »Was ist der Mensch?« vorangekommen?
Wir sind uns einig, dass künstliches Leben eine andere Form der Existenz ist als Mensch oder Tier. Dennoch haben wir ein Problem damit, etwas kaputt zu machen, was lebendig wirkt. Einen kleinen Roboter zu zerstören, verursacht Skrupel. Wenn man nicht totale Mordlust hat, würde man dem nichts antun wollen. Die Frage, was reicht schon an Simulation und Verhalten aus, um uns das Gefühl zu geben, dass eine Maschine so etwas wie menschliches Leben ist, ist absolut spannend. Ein Professor in Oxford forderte vor Jahren, dass Hubots so etwas wie Menschenrechte haben sollten. Menschen, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigen, sind der Meinung, dass der Mensch für die Hubots eine größere Gefahr darstellt als diese Wesen für den Menschen.
Ernsthaft?
Ja, und das ist auch gar nicht so abwegig. Denn wer sagt uns, dass Hubots nicht auch ein Bewusstsein entwickeln können? Wir können das nicht ausschließen, weil wir selbst nicht genau wissen, was das menschliche Bewusstsein eigentlich ist. Wir wissen zwar im Prinzip, das wir irgendwie besonders sind im Vergleich zu anderen Tieren, zugleich wissen wir aber auch, dass wir Nichts im Universum sind. Das ist doch ein schreckliches Dilemma. Und wenn wir künstliche Intelligenz schaffen, wird dieses Dilemma nicht kleiner. Denn in diesen künstlichen Wesen wollen wir das Ideal des Menschen schaffen. Und zugleich haben wir Angst davor. Denn im Schaffen des eigenen Konterfeis, in dieser wesenhaften Angstmaschine, sieht man, wer wir sind. Die KI wirft uns zurück auf uns selbst und das Bewusstsein, dass wir selbst künstliche Wesen sind, die aus der natürlichen Ordnung irgendwie herausfallen. Am Anfang des künstlichen Wesens steht der Mensch mit seiner Auffassung der Welt und seiner Künstlichkeit in der Welt. Vielleicht schaffen wir diese Wesen, weil da niemand ist, der uns sagt, dass wir Menschen sind.
An einer Stelle im Roman heißt es, dass Informatiker der Erforschung der Seele näher sind als Hirnforscher. Können Sie das etwas erläutern?
Die Frage nach der Seele wird mit uns bleiben bis ans Ende unserer Tage, weil unser alter Seelenbegriff sehr stark mit dem religiösen und esoterischen Verständnis verbunden ist. Informatiker nehmen den Seelenbegriff viel leichter. Sie sehen die Seele wie eine Programmbibliothek, die sich durch Raum und Zeit erstreckt. Sie werden wahrscheinlich diejenigen sein, die den Seelenbegriff noch einmal neu definieren.
Es gibt wie auch in Ihrem Vorgängerroman feministische Aspekte im Roman. Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Ich hatte mit Feminismus wenig zu tun. Ich bin natürlich eine Frau und hatte meine Erfahrungen, aber ich habe mich mit der Strömung wenig beschäftigt. Ich verdanke natürlich dem feministischen Kampf ganz viel: dass ich Bücher schreiben kann; dass ich hier bin; dass ich mein Studium absolvieren konnte. Ich würde mich auch keineswegs als Antifeministin bezeichnen, aber auch nicht direkt als Feministin. Ich bin eine aufgeklärte Frau, die im Schulterschluss mit den Frauen kämpft. Aber ich glaube, man sollte das nicht blind tun. Ich bin zwischen dem feministischen Kampf und dem nicht-feministischen Kampf hin- und hergerissen, weil sich manche Sachen radikalisieren. Wenn es darum geht, alle Männer unter Verdacht zu stellen, finde ich das krass. In meiner Geschichte hatte ich verbündete Frauen und Männer, die mir geholfen und mich weitergebracht haben, genau wie ich mich sowohl mit Männern als auch mit Frauen im Kampf befunden habe. Aber gut, Männern geht das womöglich ähnlich. Wir müssen vielleicht auch ein bisschen tougher werden und nicht wegen jeder Kleinigkeit die Transparente rausholen.
Aber ist die Frage der Gleichberechtigung und Gendergerechtigkeit nicht zentral, auch für künftige Generationen?
Ich denke, dass wir gerade bei künstlichen Intelligenzen merken, wie sehr wir mit unseren Stereotypen noch zu kämpfen haben. Und begreifen, wo wir wirklich stehen. Und da haben wir noch eine Menge zu tun. Ich komme für mich zu dem Schluss, dass die gesellschaftlichen Schwierigkeiten, die wir zu lösen haben, genderübergreifend sind. Es gibt auch nicht mehr nur Männer und Frauen, es gibt ganz viel dazwischen. Wir haben heute ein viel größeres Spektrum an Existenzen und ich weiß nicht, ob wir das irgendwann noch mal so brauchen. Oder ob nicht gerade auch die Roboter dazu führen werden, dass wir aufhören, über Geschlechter zu reden, und uns stattdessen über Mensch und Nicht-Mensch unterhalten. Ich würde mir wünschen, dass wir uns ein bisschen de-genderisieren.
In Ihren Büchern steigen Sie immer auch tief in die Anthropologie ein, auch in diesem Buch. Hat Literatur die Aufgabe, uns aufzuzeigen, woher wir kommen?
Literatur kann das einfach ganz besonders gut, weil sie einem die Möglichkeit gibt, in Räume vorzudringen, in die man mit einer Fahrkarte, einem Auto oder einer Kamera nicht kommt. Weil sie tief in uns stecken. Das provoziert in uns bestenfalls Bilder und Erkenntnisse und Gefühle und Ängste. Die Literatur ist einzigartig in der Hinsicht, wir haben bis heute nichts Besseres erfunden, um ganz Besonders auf engem Raum großartige Sachen zu erzählen. Ich glaube, wenn es überhaupt etwas gibt, was menschlich ist, dann ist es Lesen und Literatur. Das ist das Menschlichste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Literatur ist für mich deswegen definitiv ein anthropologisches Etwas, unbedingt geeignet zur Suche nach was auch immer wir sind.
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