Film

Magischer Realismus aus Georgien

In »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« erzählt der georgische Regisseur Alexandre Koberidze mit großer Lust und eindrucksvollen Bildern von einer fast unmöglichen Liebe.

Lisa und Giorgi laufen sich fast über den Haufen. Man könnte das natürlich als Zeichen einer intensiven Beziehung werten, in Alexandre Koberidzes filmischem Märchen »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« ist es ein Wink des Schicksals. Denn Lisa und Giorgi verlieben sich auf den ersten Blick ineinander. Diese Liebe stellt alles auf den Kopf, so dass plötzlich Überwachungskameras Zeichen geben und Regenabflüsse sprechen können. So verabreden sich die beiden jungen Menschen für den nächsten Abend in einem Café. Doch bevor es dazu kommt, passiert etwas seltsames. Als sie aufwachen, erkennen sie sich nicht wieder, beide haben eine wundersame Verwandlung durchgemacht. Über ihrer Liebe liegt ein Fluch, was diesen löst, wissen die Sterne.

Zeitgleich wollen Nino und Irakli, ein georgisches Filmemacher-Paar, einen 16mm-Film über die Liebe drehen. Sechs Paare wollen sie porträtieren, um zu zeigen, was die Liebe ausmacht. Um eine möglichst große Auswahl zu haben, beauftragen sie Ana 50 Paare zu suchen, aus denen sie dann die zwölf Verliebten, mit denen sie drehen wollen, aussuchen. Also begibt sich Ana mit der Kamera auf die Straßen von Kutaisi, der drittgrößten Stadt Georgiens, um dort nach Liebespaaren Ausschau zu halten.

Ani Karseladze in »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« von Alexandre Koberidze | © Faraz Fesharaki/DFFB

Parallel zu diesen Ereignissen findet die Fussballweltmeisterschaft statt und hält die Stadt in Atem. Selbst die Hunde der Stadt sind in heller Aufregung. Überall laufen Vorbereitungen, die Spiele öffentlich sehen zu können. Auch in dem neuen Café an der weißen Brücke, wo sich Lisa und Giorgi verabredet hatten, sich aber nicht erkennen konnten. Weil der Fluch, der auf ihnen lastet, mit sich bringt, dass sie ihre größten Talente verlieren, müssen beide ihre Zukunftspläne in den (der in diesem Film eine besondere Bedeutung hat) hängen. Statt Medizin zu studieren oder Fussballer zu werden landen beide zufällig im Café an der weißen Brücke und treffen aufeinander, ohne sich zu begegnen.

Inzwischen läuft die Fussball-Weltmeisterschaft und Fussball schaut man (und Hund) in Kutaisi traditionell an zwei Orten. Das Café an der weißen Brücke gehört nicht dazu. So bleibt es während der Spiele leer, nicht einmal der Wirt will sich von der Tradition abkehren. So werden Lisa und Giorgi eines Abends von Ana im Café entdeckt. Sie wären ihr 50. Paar und sie überredet sie, sich casten zu lassen. Und weil diese Erzählung ohnehin schon so märchenhaft ist, wundert es nicht, dass Lisa und Giorgi zu den ausgewählten Liebespaaren gehören. Auf dem entwickelten 16mm-Material vollzieht sich dann ein kleines Wunder.

Giorgi Bochorishvili in »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« von Alexandre Koberidze | © Faraz Fesharaki/DFFB

Alexandre Koberidzes Film hat, wie schon sein Debüt »Lass den Sommer nie wieder kommen« kein Ziel und keine Botschaft, außer die, erzählen zu wollen. Und das tut er auf eine wunderbare Art und Weise, getragen von einer Stimme aus dem Off, die durch dieses moderne Märchen führt. Unterlegt wird es von einem wunderbaren musikalischen Setting, das die Brücken zwischen den einzelnen Szenen schlägt.

Dieser Wettbewerbsbeitrag ist eine Liebeserklärung an Kutaisi und seine Bewohner. Vor allem den Kindern der Stadt gibt der georgische Regisseur eine Bühne, besonders eindrucksvoll in einer Szene, in der Mädchen und Jungen gemeinsam in einem Hinterhof Fussball spielen. Wie die Kamera von Faraz Fesharaki die Begeisterung und Freude der Kinder einfängt, ist herzerwärmend. Überhaupt tauchen seine Aufnahmen den gesamten Film in das warme kaukasische Licht, jedes Bild ist ein Gemälde. Er fängt unzählige Details ein, auch vermeintlich Nebensächliches, und schafft so eine ganz eigene magisch-realistische Ebene.
Koberidzes zweieinhalbstündiger Film lässt sich Zeit und erzählt in ruhigen Bildern und Kamerafahrten eine Geschichte, die seltsam anmuten mag, aber deshalb nicht unmöglich ist. Zugetragen haben soll sie sich laut Erzähler in einer gewaltvollen Zeit, der Fussball-Weltmeister Argentinien im Film verortet sie klarer ins Jahr 1978.

»We« von Alice Diop

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Alice Diops Film »We« ist ein Puzzle, in dem sie die einzelnen Teile einer immer mehr auseinander fallenden Gesellschaft einfängt. Wir lernen einen irregulären Migranten kennen, der in einem ausrangierten Auto wohnt. Folgen Diops Schwester, die alteingesessene Franzosen pflegt und tauchen ein in die Parallelwelt von Royalisten und Jagdgesellschaften, die abgeschottet ihre Traditionen pflegen. Das Porträt einer Gesellschaft, die ihre Mitte verloren hat. | © Sarah Blum

»Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« ist Koberidzes Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie und eine Hommage an das georgische Kino. Der Film in Film bietet hier zahlreiche Verweise, zudem kehrt mit Vakhtang Panchulidze eine Ikone des georgischen Kinos nach über 30 Jahren Abstinenz vor die Kamera zurück.

Dass dieses Kino nicht nur eine prächtige Geschichte, sondern auch eine vielversprechende Zukunft hat, repräsentiert die junge Newcomerin Ani Karseladze und ihr Gegenpart Giorgi Bochorishvili, die in ihren Rollen eine unglaubliche Präsenz haben. Und natürlich ist dieser in jeder Hinsicht poetische Film des jungen Georgiers (Jahrgang 1984) selbst ein Beleg für die Zukunft des georgischen Kinos, der mit der Geschichte um Lisa und Giorgi den Beweis antritt, dass das Kino Dinge sichtbar machen kann, die wir selbst nicht sehen.

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