Corinna Harfouch spielt in dem Nachwende-Drama »Das Mädchen mit den goldenen Händen« eine verschlossene Frau, die sich gegen den Ausverkauf der Geschichte und ihrer Biografie zur Wehr setzt.
Schön sieht er aus, der Tanzsaal im alten Kinderheim, in dem Gudrun ihren sechzigsten Geburtstag feiern will. Zwar blättert da die Farbe von den Wänden und die zur Tafel arrangierten Tische und Stühle haben ihre besten Zeiten längst hinter sich, aber der resoluten Jubilarin liegen sie am Herzen. Denn Gudrun ist in diesen Räumen und an diesen Tischen groß geworden. Ihre Kindheit ist mit diesem seit Jahren leerstehenden Gebäude, einem einst prächtigen, inzwischen langsam verfallenden Herrenhaus irgendwo in Brandenburg eng verwachsen. Nur konsequent, dass sie hier kurz vor der Jahrtausendwende ihren Geburtstag feiern will.
Obwohl, wenn es nach Gudrun geht, sollte gar nicht gefeiert werden. Lieber wäre ihr, die Welt würde sich einfach unbeachtet weiterdrehen. Oder bestenfalls sogar ein wenig zurück, um das wirtschaftliche Elend, das mit der Wende über die Region gekommen ist, rückabzuwickeln. Denn mit dem Niedergang der Region gehen Depression, Abwertung und Minderwertigkeitskomplex einher. Deshalb nimmt sie es ihrer Tochter Lara (Birte Schnöink) auch übel, dass die nach Berlin gegangen und nicht in der Region geblieben ist. Ihren Groll zeigt sie ihr, indem sie das Geschenk der extra angereisten Tochter achtlos zur Seite legt. Wichtiger als das Geschenk sei, die letzten Fragen rund um das Fest zu klären, damit am Abend alle unbeschwert zusammensitzen können.
Aber wie ist man unbeschwert, wenn das Selbstbewusstsein auf dem Boden liegt, der einem gerade unter den Füßen weggezogen wird? Indem man den ehemaligen Dorfpolizisten als ABV (Abschnittsbevollmächtigter) auftreten und Wessi-Witze zum Besten geben lässt. Sarkasmus hilft. Doch die Stimmung ist schnell getrübt, als bekannt wird, dass Bürgermeister Jens (Jörg Schüttauf) mit einem Investor über den Verkauf des ehemaligen Kinderheims verhandelt. Für die symbolische Mark soll das Haus an einen westdeutschen Finanzier gehen. Der Ort brauche schließlich eine wirtschaftliche Perspektive, ein Luxushotel in dem Herrenhaus könne diese bieten.
Gudruns Geburtstag ist damit gelaufen, aber mehr noch, fortan wird sie im Dorf gegen den Plan des Bürgermeisters mobilmachen. Was sich allerdings als nicht ganz einfach herausstellt, denn selbst ihre beste Freundin Jutta (Gabriela Maria Schmeide), die eine Konditorei betreibt, hofft, vom Luxushotel profitieren zu können. Doch die störrische Gudrun wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht unbeirrt ihren Weg beschreitet. Also setzt sie sich bei Minustemperaturen in das Foyer des gesperrten Kinderheims und will die Gespräche mit den Investoren torpedieren. Bis ihr Körper streikt und sie erschöpft zusammenbricht.
Regisseurin Katharina Marie Schubert, die bisher vor allem für das Fernsehen gearbeitet und zuletzt an der Ferdinand von Schirach-Miniserie »Glauben« beteiligt war, hat ein ebenso nachdenkliches, wie unterhaltsames Drama über eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte gedreht. Die individuellen und kollektiven Folgen des Ausverkaufs der DDR durch Treuhand und Co, die für symbolische Beträge das Tafelsilber der ehemaligen DDR-Immobilien an windige Investoren abgegeben haben, steht im Mittelpunkt ihres Filmes.
Schubert erzählt dies allerdings nicht im moralisch belehrenden Ton, sondern aus der Perspektive einer Frau heraus, für die dieser Ausverkauf nicht nur eine wirtschaftliche, sondern vor allem eine seelische Demütigung der Menschen ist, über die er kommt. »Als Lenin vom Sockel gestoßen wurde, haben wir gefeiert. Aber wenn du den Leuten alles wegnimmst, was ihnen etwas bedeutet, was bleibt uns denn dann noch«, fragt die protestierende Gudrun rhetorisch.
Corinna Harfouch verkörpert ihre Figur grandios als ebenso verbitterte wie störrische, gegen Windmühlen anrennende Kämpferin. Sie umgibt ein Panzer aus Rationalität und Pragmatismus, den man schon mal als grundsätzliche Empathielosigkeit missverstehen kann. Denn wenn Gudrun ihrer Tochter mit auf den Weg gibt, Heulen mache hässlich, ist das kein rigides Verbot, sondern Ausdruck ihrer Unfähigkeit, an die eigenen Gefühle heranzukommen. Oder andere an sich heranzulassen. Im System der DDR-Kinderheime hat sie es nicht anders gelernt.
Dazu kommen die Traumata verschiedener Verluste. Erst den der Eltern, dann das Verschwinden von Laras Vater und nun steht gleich ihre ganze Biografie auf dem Spiel. Und als sich Lara dann auch noch für ihren leiblichen Vater zu interessieren beginnt, wittert sie ein weiteres Mal Verrat. Das ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Mutter und Tochter wird auf eine Zerreißprobe gestellt.
»Das Mädchen mit den goldenen Händen« zeigt eindrucksvoll, wie die Frage der Zukunft einer Immobilie zu einer der eigenen (und kollektiven) Vergangenheit und Identität wird. So erschließt dieser Film besser als manche soziologische Studie, warum in den neuen Bundesländern immer noch so viel Wut und Entwurzelung ist. Er zeigt aber vor allem, dass unbearbeitete Verletzungen und Traumata dazu führen können, dass man verloren durch die Welt taumelt, wenn einem das, was Halt gibt, genommen wird. Ganz egal, ob das von außen betrachtet etwas Gutes oder Schlechtes ist.
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