Während in den vergangenen Jahrzehnten der japanische Animationsfilm einen festen Platz in der westlichen Filmwelt hat, war davon auf der Berlinale wenig zu spüren. Nun ist mit dem mitreißenden Epos »Suzume« erstmals seit 21 Jahren ein animierter Film aus Japan wieder im Wettbewerb vertreten.
Der Japaner Makoto Shinkai ist mit seinen Arbeiten auch abseits der renommierten Ghibli-Studios erfolgreich. Sein Film »Your Name« wurde vielfach ausgezeichnet und war weltweit ein großer Publikumserfolg. In Berlin feiert sein neuer Film »Suzume« im Wettbewerb seine internationale Premiere. Vor 21 Jahren hatte das animierte Kino seinen letzten großen Berlinale-Moment. Damals erhielt Hayao Miyazaki den Goldenen Bären für sein anspielungsreiches japanisches Märchen »Chihiros Reise ins Zauberland«.
Shinkai erzählt in »Suzume« eine fantastische Geschichte, die wie ein Road-Movie durch das Japan der Neuzeit und zugleich tief hinein in die japanische Mythologie führt. Im Mittelpunkt steht die titelgebende Figur, die 17-jährige Suzume, die bei ihrer Tante auf der Hauptinsel Kyushu lebt. Ihre Mutter hat sie früh verloren, ihren Vater kennt sie nicht.
Dieses Mädchen begegnet auf dem Schulweg einem geheimnisvollen Mann namens Souta, der sie nach dem Weg zu einer Ruine fragt. Sie folgt ihm in den verfallenen Badebezirk und steht plötzlich vor einer Tür, hinter der sich ein ihr vertrautes Bild bietet. Was auch immer sie aber versucht, sie kann die Landschaft im Reich der Ewigkeit hinter der Tür nicht betreten. Stattdessen löst sie versehentlich eine Kette von Ereignissen aus, die eine dunkle Kraft freisetzen und die Erde erbeben lassen.
Wie ihr Souta später erklärt, gibt es in Japan zahlreiche solcher magischer Türen. Seine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie zu bleiben. Allerdings hat Suzume versehentlich einen Wächterstein entfernt, der nun sprechende Katze durch Japan reist und weitere Türen öffnet, um die dunkle Kraft aus dem Reich der Ewigkeit freizulassen.
Infolge geht es darum, diesen niedlichen Unruhegeist wieder einzufangen, um weitere Erdbeben in Japan zu verhindern. Das wird deshalb ein besonderes Abenteuer, weil dieses ebenso niedliche wie freche Kätzchen Souta kurzerhand in einen dreibeinigen Kinderstuhl verwandelt und mit einem Fluch belegt. Der steht zwar im Wortsinn auf eigenen Beinen, sorgt aber in der Öffentlichkeit für viel mehr Aufsehen als ein reisender Mann.
»Suzume« ist eine großartig umgesetzte sowie umwerfend be- und vertonte Allegorie auf das Japan der Gegenwart, in dem Tradition und Moderne kunstvoll miteinander in einen Dialog gesetzt werden. Im Grunde zieht Shinkai einen Spiegel hoch. Auf der einen Seite dieses Spiegels befindet sich die erdbebengefährdete und katastrophengeprägte Wirklichkeit an verschiedenen Lost Places in Japan. Auf der anderen die mythologische Welt, in der eine permanente Gefahr über der Insel liegt, die es einzuhegen gilt. Seine fantasievollen Figuren, die sich kein Ghibli-Studio besser hätte ausdenken können, wandeln zwischen diesen beiden Welten und erleben dabei zahlreiche Abenteuer.
Für die Titelheldin ist diese Odyssee über die japanischen Inseln auch eine Suche nach sich selbst, bei der sie Dinge loslassen und erobern, nach ihren Wurzeln suchen und sich mit ihren Erinnerungen auseinandersetzen muss. Es ist eine Reise voller Überraschungen und Wendungen (auch für die Zuschauer:innen), während der sie wächst und reift. Schöner, leichter und mitreißender kann man vom Erwachsenwerden inmitten einer von Katastrophen geprägten Welt kaum erzählen.
[…] Wesen des Japaners stehen meist für die Traumata, die seine Figuren ereilt haben. Im Gegensatz zu Makoto Shinkai, der in seinen Filmen gesellschaftliche Themen verhandelt, sind es bei Miyazaki eher persönliche Auseinandersetzungen, die im Mittelpunkt […]