Der Klimawandel spielte bislang auf der Berlinale noch keine Rolle. In Christian Petzolds »Roter Himmel« bildet er den Hintergrund eines Dramas, in dem er sich den großen Fragen der menschlichen Existenz widmet.
Das hat sich Leon ganz anders vorgestellt. Statt in Ruhe am Manuskript seines nächsten Romans zu schreiben, liegt er nun schlaflos in dem kleinen Zimmer und muss mit anhören, wie zwei Menschen auf der anderen Seite der Wand lustvoll miteinander schlafen. Schon die Anreise lief nicht wie gedacht. Das Auto blieb mitten im Wald liegen und die letzten Kilometer mussten Leon (Thomas Schubert) und sein Freund Felix (Langston Uibel) zu Fuß zurücklegen. Das Haus, in dem sie ein paar Tage an der Ostsee verbringen wollen, ist auch nicht frei, sondern Felix Mutter hatte das Haus schon an eine junge Frau vermietet. Nun müssen sie sich das Haus mit der geheimnisvollen schönen Nadja (Paula Beer) teilen.
Während Felix und Nadja damit gar keine Probleme haben und mit dem Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs) eine weitere Person ins Haus holen, passt Leon diese Ausgelassenheit gar nicht. Ihm sitzt sein Manuskript im Nacken, über das sein Verleger (Matthias Brandt) in wenigen Tagen mit ihm sprechen will. Als der auftaucht, brennen die Wälder im Hinterland schon lichterloh.
»Roter Himmel« wirkt wie ein glühender Sommernachtstraum und ist der zweite Teil einer Trilogie über die Liebe. Deren Auftakt »Undine« lief 2020 auf der Berlinale, Paula Beer erhielt damals in der Hauptrolle den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung. Hier zeigt sie erneut, was für eine große Darstellerin sie ist. Als Saisonkraft arbeitet sie an einem Eisstand in dem nahe gelegenen Küstenbad, was bei Leon dazu führt, dass er sie völlig verkennt.
Christian Petzold, der auf der Berlinale bereits Filme wie »Barbara«, »Phoenix«, »Transit« und »Undine« präsentiert hat, erzählt in diesem selbst geschriebenen Film von Getrieben-Sein und Loslassen, vom Schreiben- und Leben-Wollen. Leons Schaffenskrise verkörpert symbolisch, wie das (Er)Leben zwingende Grundlage des Schreibens ist.
Das Ensemble, in dem Petzold erneut auf vertraute Schauspieler:innen setzt, trägt diesen Film, der im Kleinen das Große findet und in dessen Mittelpunkt ein junger Autor steht, der vor lauter Getriebenheit die Menschen und das Leben um sich herum nicht wahrnimmt. Thomas Schubert spielt diesen in sich Gefangenen Charakter mit bewundernswerter Getriebenheit und Präsenz, der neben einer brillanten Paula Beer besteht. Beide arbeiteten bereits 2014 in Andreas Prochaskas Alpenwestern »Das finstere Tal« zusammen. Auf der Pressekonferenz erklärte Beer, dass die erneute Zusammenarbeit nach Jahren wie ein neues Kennenlernen gewesen sei. Was die spürbare Spannung erklärt, die zwischen beiden Figuren besteht, die sich oft ohne Worte miteinander kommunizieren. Mit Blicken und Gesten, ohne dass sie sich je wirklich begegnen.
Die brennenden Wälder im Hintergrund verweisen nicht einfach nur plump auf den Klimawandel, sondern kündigen die existenziellen Dramen an, auf die der Film zuläuft. In diesem äußeren Lodern der Welt findet das innere Brennen der Liebe einen passenden Spiegel. Dass in der Wahrnehmung und dem Verständnis dieser Wirklichkeiten das Geheimnis des Schreibens liegt, begreift Leon erst, als es längst zu spät ist.
Bis zu diesem Moment aber haben wir längst mehr als nur einen Film gesehen. »Roter Himmel« ist Liebesdrama, Künstlerporträt, Komödie und Dystopie in einem, ohne jemals in Klischees zu fallen. Nach Emily Atefs »Irgendwann werden wir uns alles erzählen«, Margarethe von Trottas »Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste« und Angela Schanelecs »Music« lässt der vierte deutsche Wettbewerbsbeitrag endlich erahnen, was das deutschsprachige Kino tatsächlich vermag. Es braucht weder skandalöse Geschichten noch große Namen oder avancierte Formen, sondern ein Gefühl dafür, dass selbst in den unspektakulärsten Momenten und Begegnungen die großen Fragen des Lebens stecken.
[…] aus der Seele. Während er sich in einer veritablen Identitätskrise befindet, müssen in Christian Petzolds Drama »Roter Himmel« und in Rebecca Millers Eröffnungsfilm »She Came To Me« zwei Künstler ihre Schaffenskrise […]
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