Comic

Mit Monstern kämpfen

Das Berliner Duo Sheree Domingo und Patrick Spät verbindet in seinem preisgekrönten Comic »Madame Choi und die Monster« die Geschichte einer Entführung mit koreanischer Mythologie.

Godzilla, King Kong, Bulgasari – nicht nur Cineasten sind diese Monster ein Begriff. Sie alle entstammen dem japanischen und südkoreanischen Kino und haben zu ihrer Zeit so manchem den Schlaf geraubt. In dem Comic »Madame Choi und die Monster« von Sheree Domingo und Patrick Spät treibt zunächst ein ganz anderes Monster sein Unwesen. Es ist Nordkoreas Diktatorensohn Kim Jong-Il, der in seinen jungen Jahren eine gewisse Begeisterung für das Kino, insbesondere für die weiblichen Akteurinnen, entwickelt haben soll.

Weil sein Vater nichts von der hohen Kunst hielt, schickte Kim Geheimagenten ins befeindete Nachbarland, die dort heimlich Filme aus den Lagern der Produktionsfirmen klauten. So sieht man zu Beginn des Comics einen bornierten Geheimdienstler in einem Seouler Keller, der neben amerikanischen Unterhaltungsfilmen und Pornos auch den südkoreanischen Horrorfilm »Bulgasari« von Myeong-je Kim in einen Sack steckt und sich damit in die Wälder an der Grenze zu Nordkorea schlägt.

Der südkoreanische Kultfilm aus dem Jahr 1962 gilt tatsächlich als verschollen. Als 1985 in Nordkorea ein Remake mit dem Titel »Pulgasari« auftaucht, kocht die Gerüchteküche. Gedreht wurde er von dem südkoreanischen Regisseur Shin Sang-ok, den Kim 1978 in Hongkong entführen ließ, wo Shin nach seiner Ex-Frau, der südkoreanischen Schauspielerin Choi Eun-hee, suchte. Beide begegneten sich 1983 auf einer Dinnerparty ihres Entführers, wo sie nicht nur von ihrem gegenseitigen Schicksal erfuhren, sondern auch, dass sie ab sofort für die nordkoreanische Filmindustrie arbeiten sollten. Wie viel Einfallsreichtum und dickes Fell man braucht, um Filme in einer Mangelwirtschaft zu machen, und welche sozialen Fragen das aufwirft, erzählt dieser Comic.

Die Berliner:innen Sheree Domingo und Patrick Spät erzählen aber noch eine andere Geschichte, indem sie diese Geschichte wie eine Abenteuergeschichte erzählen. In der Retrospektive können sie das auch, denn dem Regisseur und der Schauspielerin gelang während dem Besuch eines Filmfestivals in Wien 1986 die Flucht aus dem Land. Dabei verweben sie die Geschichte dieses Ehepaars und ihrer Entführung mit dem Mythos von Bulgasari, dem Monster, das immer größer wird, je mehr Eisen es frisst.

Da das südkoreanische Original verschollen ist, ähnelt ihr Monster einer Mischung aus dem griechischen Minotaurus und dem japanischen Godzilla. In knalligem rot stapft es über die Seiten, nimmt immer mehr Platz ein, bis es schließlich an seiner eigenen Gefräßigkeit zugrunde geht. Die Parallelen zur Hybris der nordkoreanischen Diktatoren-Dynastie (und all den anderen Autokrat:innen dieser Welt) sind nicht zufällig gewählt.

»Madame Choi und die Monster« wurde bereits vor seinem Erscheinen mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung 2022 ausgezeichnet. Denn Comickünstlerin Sheree Domingo sowie Journalist und Szenarist Patrick Spät holen mit dieser Arbeit nicht nur einen von der Welt vergessenen True-Crime-Fall aus der Mottenkiste, sondern weiten diesen zu einer ebenso packenden wie grotesken Parabel auf die gefährliche Nähe von Kunst und Kultur.

Dabei geben sie dieser Geschichte einen feministischen Grundton. Und das nicht nur, weil sie Choi Eun-hee und Marilyn Monroe zwei weibliche Ikonen ihrer Kulturräume aufeinandertreffen lassen. Sondern weil es die Frauen in dieser Geschichte sind, die der Verführung der Macht widerstehen und dem Patriarchat den Kampf ansagen.

Sheree Domingo, Patrick Spät: Madame Choi und die Monster. Edition Moderne 2022. 176 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.