Brady Corbet bringt mit »Der Brutalist« die fiktive Biografie eines jüdischen Architekten auf die Leinwand, der dem Holocaust entkommen ist und in Amerika seine (Alb)Träume in Beton meißelt.
Unerbittlich wühlt sich der jüdisch-ungarische Architekt László Toth (Adrien Brody) durch das Gewühl auf dem Schiff, mit dem er 1947 in Ellis Island ankommt. Er kämpft sich aus den dunklen Tiefen des Schiffsbauchs ans Tageslicht an Deck, um seine Augen gen Himmel zu richten, bis die Freiheitsstatue in sein Blickfeld fährt. Die Anfangsszene von Brady Corbets fiktivem Biopic führt symbolisch aus dem Dunkel der Gaskammern in die Helligkeit der Freiheit oder aus der deutschen Finsternis ins gleißende Licht des amerikanischen Versprechens.

Das könnte man kitschig überzogen finden, zumal in diesen Zeiten, aber Corbet gelingt es aus einem Mix aus Bildeinstellung, Action und musikalischer Untermalung, den Existenzialismus des Moments in den Vordergrund zu stellen. Denn mit dieser Szene beginnt für den Bauhaus-Absolventen László Toth ein neues Leben, wenngleich seine Frau Erzsébet davon noch lange nicht profitiert. Während sie in der europäischen Bürokratie feststeckt, findet László Aufnahme bei seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola). Mit ihm wird er die Bibliothek eines reichen Geschäftsmanns umgestalten und damit eine Kette an Ereignissen auslösen, die Corbets Drama über mehr als drei Stunden tragen.

Zunächst erbost über die radikale Veränderung wird Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) den inzwischen obdachlosen Architekten – der eifersüchtige Attila unterstellt seinem Cousin eine Affäre mit seiner Frau und setzt ihn daraufhin vor die Tür – aufsuchen, nachdem renommierte Einrichtungsmagazine von seiner neuen Bibliothek schwärmen. Er beauftragt Toth, auf seinem Anwesen ein gigantisches kommunales Begegnungszentrum zu errichten, das als Bibliothek, Turnhalle und Kapelle dienen soll. »Hier hat mich vielleicht das Glück gefunden«, schreibt Toth hoffnungsvoll an seine Frau Erzsébet (Felicity Jones), die er nach Jahren und mit Unterstützung Van Burens mit seiner Nichte Zsófia in die USA holt.
Das Glück wird nicht von Dauer sein, nicht nur, weil die Beziehung mit der versehrten Erzsébet unter all den erlittenen Traumata brüchig wird, sondern auch, weil die modernistischen Konzepte des Architekten permanent auf Widerstand stoßen. Egal ob Zulieferer, Prokuristen oder die Arbeiter auf dem Bau – ständig hat irgendjemand etwas gegen das Großprojekt einzuwenden. Und Toth, der seine physischen und psychischen Schmerzen erst mit Zigaretten und schließlich mit immer stärkeren Opiaten bekämpft, verliert mit seiner Umwelt zunehmend die Geduld, was schließlich aus die enge Beziehung zu seinem Mäzen nachhaltig belastet.

Der körnige Film, in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die Beste Regie ausgezeichnet, führt mit grandiosem Sounddesign durch die nervenaufreibenden Querelen rund um die Verwirklichung des größenwahnsinnigen Betonprojekts. Dabei zeichnet »Der Brutalist« über mehr als drei Stunden das authentische Porträt eines ebenso kompromisslosen wie traumatisierten Visionärs, dessen Biografie von Architekten wie Marcel Breuer oder Ludwig Mies van der Rohe inspiriert ist. Entsprechend wird das Vorhaben auch in Szene gesetzt. Riesige Quader aus Beton, viel Schatten, wenig Licht – eine Architektur, die die erlittene Brutalität in eine überwältigende Monstranz verwandelt. So bleibt bis zum Schluss unklar, ob in diesem Stil die Traumata der Lager erstickt oder wiederholt werden. Was auch immer es sein mag, heilsam ist es nicht.

Brady Corbet (»Vox Lux«, »The Childhood of a Leader«) verarbeitet in seinem mitreißenden und hochaktuellen Epos Themen wie Flucht und Identität, Sucht und Liebe sowie das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Geld. Sie spiegeln sich in der gebrochenen Figur von László Toth, den Adrien Brody grandios verkörpert. Er schüttelt hier seine Paraderolle des Pianisten Władysław Szpilman ab und brilliert gut zwanzig Jahre nach seiner ersten Oscar-Auszeichnung als manisch-depressiver Visionär. Nur konsequent, dass er dafür erneut den wichtigsten Filmpreis der Welt erhielt. Außerdem wurden Laurie Crawley für seine Kameraführung und Daniel Blumberg für die beste Filmmusik mit einem Oscar ausgezeichnet. Der britische Kameramann Crawley hat die bewegte Geschichte mit analoger Kamera auf 35 mm in eindrucksvollen, nein, überwältigenden Bildern festgehalten, Blumberg hat dazu einen mal klassisch, mal jazzigen Score komponiert, der in die zerrüttete Seele von László Toth führt.
Der ewige Pianist Adrien Brody wird in diesem Mammutfilm zu einem unwiderstehlichen Brutalisten, der die Klaustrophobie der Lager in eine Architektur überführt, die den Erschütterungen der Geschichte standhält. Ein Meisterwerk.