Über 40 Jahre lang hat Francis Ford Coppola an seinem SciFi-Epos gearbeitet, seit Ende September ist »Megalopolis« in den deutschen Kinos zu sehen. Das trashige Opus Magnum bietet sich als filmischer Kommentar auf die politischen Verhältnisse unter Donald Trump an.
Cesar Catilina ist ein genialer Architekt, Nobelpreisträger und Visionär. In den ersten Szenen in Francis Ford Coppolas »Megalopolis« steht er auf dem Dach des Chrysler Buildings in New York. Noch ein Schritt und er stürzt in die Tiefe, aber bevor das passiert, setzt er in Superheldenmanier die Naturgesetze außer Kraft. Dass er aus diesen Zeit und Raum verschiebenden Fähigkeiten nichts macht, ist eines der vielen Rätsel in Coppolas über Jahrzehnte gereiftem Film, den der 85-jährige Regisseur als Opus Magnum verstanden wissen möchte.
Catilina will mit einer magischen Materie namens Megalon eine gerechte Zukunft für alle schaffen – zum Leidwesen von Bürgermeister Franklyn Cicero. Der hat sich nämlich im Zentrum von New Rome eine Oase errichtet, in der er und seine Günstlinge in Luxus baden, während die Randbezirke in Armut und Gewalt versinken. Cesars visionäres Projekt würde sein auf Vetternwirtschaft und Manipulation gebautes Regime ins Wanken bringen. Zwischen dem von Adam Driver nerdig verkörperten Messias, der nicht nur Lichtgestalt ist, und dem unterkühlten »Slumlord«, gespielt von »Breaking-Bad«-Star Giancarlo Esposito, steht Julia Cicero (Nathalie Emmanuel), die schöne Tochter des Bürgermeisters, die sich für eine Seite entscheiden muss.
Das antike Rom bildet die Schablone, mit der Coppola in seiner politischen Trash-Oper ein Sittenbild des heutigen Amerika zeichnet. Es ist vielsagend, dass in der heruntergewirtschafteten Stadt die antiken Statuen, die die alten Ideale verkörpern, in sich zusammenfallen. Während sich die High Society im Zentrum dieses Shithole bei Brot und Spielen vergnügt, proben die Geknechteten den Aufstand. An seinen Rändern steht New Rome bereits in Flammen, ein skrupelloser Kapitalist, eine machthungrige Medienexpertin und ein selbstverliebter Populist zündeln derweil im Zentrum der Macht. Vom Himmel brennt gnadenlos die Sonne, aus den Industrieruinen der Stadt steigt giftiger Rauch auf.
Coppolas wahnwitzig-trashiger Leinwand-Trip erzählt von einer Gesellschaft, in der ein paar (einfluss)reiche Figuren das politische System gekapert haben und sich nun weidlich selbst bedienen. Da ist etwa Catalinas vermögender Onkel Hamilton Crassus (Jon Voight), der als Bankier im Hintergrund die Strippen zieht. Er hält die Günstlingswirtschaft, auf der New Rome gebaut ist, am Laufen, stolpert dabei allerdings über seine Eitelkeit in Person der intriganten Journalistin Wow Platinum (Aubrey Plaza). Die wickelt den Alten um ihren Finger und verschafft sich Zugang zu seinem Geld, um mit Fake News das politische Game aufzumischen. Dafür verbündet sie sich mit ihrem Stiefsohn Clodio Pulcher (Shia LaBeouf), der als populistischer Faun die Massen aufwiegelt. Während Catilina und Cicero um die Zukunft streiten, greift dieses infernale Duo zur Macht.
Es braucht nicht viel Fantasie, um dieses gleichermaßen kleptokratische wie nepotistische System auf ein Amerika nach der Umsetzung von Donald Trumps »Project 25« zu übertragen. Den Werteverfall, ach was, die Umkehrung der Werte, die Trump und seine Anhänger seit Jahren lautstark vorantreiben, repräsentieren hier eine Handvoll Figuren, die man mit wenig Fantasie zuordnen kann. Hinter Franklyn Cicero könnte der ehemalige Bürgermeister von New York und glühender Trump-Supporter Rudy Guliani stecken, hinter Hamilton Crassus III. wohl Trump selbst. Claudio Pulcher repräsentiert mutmaßlich einen der milchgesichtigen Trump-Söhne, hinter der attraktiven Wow Platinum könnte eventuell die rechte Influencerin Laura Loomer stehen. Dass man diese Namen auch mit anderen Figuren aus Trumps Umfeld austauschen könnte, beweist, wie viele Überschneidungen es zwischen dem Trump-Lager und Coppolas Karikaturenkabinett gibt.
40 Jahre lang hat Coppola von seinem eigenen SciFi-Epos geträumt. Hier ist es nun und spaltet die Geister. Ist dieser sperrige Film noch schräg visionär oder schon Trash? Diese Frage hat auch der Autor dieses Textes noch vor Wochen aufgeworfen. Mit Blick auf die Wahlergebnisse und deren Konsequenzen muss man konstatieren, dass in diesem retro-futuristischen Film womöglich mehr Weitsicht und Klarheit steckt als in den zahlreichen politischen Prognosen vor dem Gang an die Urnen.
»Megalopolis« ist angelegt als soziale Utopie, die sich gegen die Demagogen der Moderne und die Gier der Superreichen richtet. Dabei hat Coppola das untergegangene Rom mit dem amerikanischen Traum in New York miteinander verschmolzen. Um die Produktionskosten von 120 Millionen US-Dollar aufzubringen, soll Coppola Teile seines Weinimperiums verkauft haben. Die Dreharbeiten waren, wie schon bei seinem Antikriegsfilm »Apokalypse Now«, skandalumwittert. Der Guardian schrieb davon, dass Produktionsmitglieder den Dreh als chaotisch und wenig zielorientiert empfanden, zudem sei Coppola am Set übergriffig gewesen.
Im Interview mit dem Zeit-Magazin versuchte der 85-Jährige diesen Vorwurf zu entkräftigen:
»Ich sage nur, ich bin seit 50 Jahren dabei. Es wäre unmöglich, dass, wenn so etwas in den letzten 20, 30 oder 40 Jahren vorgekommen wäre, niemand davon gehört hätte. Auch hier gilt: Wo es Rauch gibt, gibt es auch Feuer. Aber wo es keinen Rauch gibt, gab es auch kein Feuer.«
Es sind am Ende zutiefst klassische Themen, die der Macher der »Godfather«-Trilogie in seinem opulenten Film verhandelt: Macht, Geld, Sex und Gewalt treffen auf den Traum von einer besseren Welt. Und der ist dringend nötig, denn hier liegt alles in Trümmern. Es ist ein absolutes Chaos, das sich auf der Leinwand entfaltet. Und auch die Erzählung springt wild hin und her. Die verschiedenen Stränge der Erzählung entwickeln ein Eigenleben, das weder von der Kamera noch irgendwie logisch zu bändigen ist. Um nicht völlig den Faden zu verlieren, ordnet Morpheus-Darsteller Laurence Fishburn (»Matrix«) als sonorer Erzähler das Geschehen aus dem Off ein.
Coppolas stark überzeichneter Film läuft über vor Referenzen, der Amerikaner zitiert und evoziert die halbe Kunst- und die ganze Filmgeschichte. Der Titel ist eine Anspielung auf Fritz Langs »Metropolis«, dessen Dreh an den Uhren hier zu einem Spiel mit der »Matrix« wird. Über 150 Minuten brennt Coppola ein Feuerwerk an künstlerischen Ideen ab. Seine Figuren sprechen mit Shakespeare’schen Zungen, aalen sich in Selbstmitleid und tanzen auf dem Vulkan. In der Inszenierung treffen theatrales Mimikry auf die große Geste, Fake News und Fox News auf Beat Poetry und Messianismus. In den antiken und mit Gold überzogenen Kulissen spiegelt sich das Golden Age wieder, das Trump in seiner Rede nach dem Wahlsieg in Aussicht gestellt hat.
Das befindet sich hier allerdings schon im Niedergang und Cesar Catalina bietet sich als Retter einer Welt am Abgrund an. Ein Grund, Hoffnung zu schöpfen, ist das jedoch nicht, denn auch dieser Messias ist keiner, der eine Gesellschaft für alle will. Die libertären Ideen dieses Selfmademan aus der Finanzelite scheinen eher von Ayn Rand als von Alexandria Ocasio-Cortez geklaut. Zudem geht das Gerücht um, er habe seine erste Frau umgebracht und verschwinden lassen. Nur sein engstes Umfeld weiß, dass er immer wieder heimlich ein magisches Hotel aufsucht, in dem seine große Liebe – vielleicht die amerikanische Demokratie? – einen Dornröschenschlaf schläft.
In »Megalopolis« passt Nichts zusammen, alles bleibt im Chaos versunken. Derart spitzt Coppola den Zustand der Welt zu, vielleicht ist es aber auch nur ein wagemutiger Blick nach vorn, in eine Zukunft, in der Trump das politische System der USA in Grund und Boden gestampft und die Gesellschaft an den Rand eines Bürgerkriegs getrieben hat. Mit Blick auf die realpolitische Gegenwart in den USA könnte sich dieser trashige Film als wichtigstes Werk in Coppolas Filmografie erweisen. Es ist ein kraftvoller Ausdruck der Freiheit der Kunst, die nicht nur in der allzu gegenwärtigen Parallelwelt von New Rome, sondern auch in der echten Welt in Gefahr ist.
Cesar Catalina besitzt die Fähigkeit, die Zeit anzuhalten. Man kann das als frommen Wunsch angesichts einer zweiten Amtszeit von Donald Trump interpretieren oder aber als Warnung, dass Trump einmal mehr an den Uhren drehen und seine ewiggestrigen Ideen umsetzen wird. Der Eindruck mag täuschen, aber womöglich hat Coppolas Mashup aus 130 Jahren Kinokunst und der politischen Gegenwart mehr über das Amerika nach Donald Trumps erneuter Amtsübernahme zu sagen als all die nüchternen Analysen. Und wenn man ganz ehrlich ist: Mehr Spaß macht es auch.