Der neue Film von Oscarpreisträger Bong Joon Ho ist eine dystopische Space Opera, in der gescheiterte Politiker und vermögende Tech-Millionäre ein besseres Leben im All versprechen. Zugleich ist seine Weltraumodyssee »Mickey 17«, die bei der Berlinale erstmals dem deutschen Publikum gezeigt wird, eine Ode an die Menschlichkeit.
Vermutlich war es einfach ein dämliche Idee gewesen, in einer untergehenden Welt auf Macarons zu setzen. Mit dem französischen Edelgebäck wollten Mickey Barnes und sein Freund Timo noch einmal durchstarten, aber am Ende bleiben sie auf ihren Schulden sitzen. Ihr Gläubiger ist ein skrupelloser Hund, vor dem kein Schuldner sicher ist. Bekommt er sein Geld nicht zurück, nimmt er ihnen das Leben.
Mickey und Timo müssen also weg und zwar schleunigst. Also melden sie sich freiwillig für ein Raumfahrtprogramm des gescheiterten Populisten Kenneth Marshall, der in fernen Galaxien eine neue Zivilisation gründen will. Während Timo, gespielt von Steven Yeun, als einfacher Techniker und Pilot an der Mission teilnimmt, lässt sich der von Robert Pattinson verkörperte Mickey darauf ein, der erste »Expendable« der Menschheit zu werden.
Er wird zu einem menschlichen Versuchskaninchen, das für verschiedene Experimente während der jahrelangen Reise durchs All herhalten muss. Mal soll er bei einem Freiluftgang im All den Handschuh ausziehen, dann wieder wird er tödlichen Viren ausgesetzt, um anschließend als Testperson für mögliche Gegenmittel herzuhalten. Kurzum: Mickey verdient sich sein Dasein damit, dass er stirbt, aber in dieser nicht allzu fernen Zukunft gibt es keinen ewigen Tod.

Eine Art 3D-Drucker reproduziert aus organischen Abfällen nach jedem Tod einen neuen Mickey, der so immer wieder zum nützlichen Idioten aus der Fleischmatrix wird. Zu Beginn des Films begegnet uns sein 17. Ausdruck, der dank Gedächtnistransplantation dem Original zu verwechseln ähnlich ist. Nicht einmal Nasha (Naomi Ackie), die sich mit den verschiedenen Varianten Mickeys heimlich vergnügt, merkt großartige Unterschiede zwischen den Versionen ihres Geliebten.
Der Zynismus, der die Klassengesellschaft an Bord prägt, nimmt einem immer wieder den Atem, so sehr erinnert Marshalls herablassende Verachtung gegenüber allen, die nicht zur Elite gehören, an Donald Trumps Amerika. Die Gewalt und die Brutalität des Regimes ist allgegenwärtig, die Entmenschlichung des Einzelnen ist Signal für die allgegenwärtige Dehumanisierung des gesellschaftlichen Miteinanders. In der Welt von »Mickey 17« gilt das Recht des Stärkeren, jede:r ist sich selbst die:der Nächste.

Als die Mission den ersehnten Planeten erreicht, soll Mickey den Stern erkunden. Dabei kommt es zu einem Zwischenfall, der die Crew an Bord vermuten lässt, er sei einmal mehr ums Leben gekommen. Also wird Mickey 18 (re)produziert, nicht ahnend, dass die 17. Version noch unter den Lebenden weilt. Diese Doppelexistenz sorgt für zusätzlichen Zündstoff, denn Mickey Nummer 18 macht seinem eher verhaltenen Vorgänger die Existenz streitig.
Bong Joon Ho, der mit seiner bissigen Gesellschaftssatire »Parasite« vier Oscars gewann, lässt auch in seinem neuen Film nicht locker. Seine unterhaltsame Space Opera ist voller Andeutungen auf die aktuelle politische Situation. Der von Marc Ruffalo gespielte Populist Kenneth Marshall ist unverhohlen als Trump-Karikatur angelegt. Er liebt den großen Auftritt, kann mit Kritik nicht umgehen und träumt größenwahnsinnig von einer Zivilisation der Überlegenen. Der steht aber ein intelligentes Wesen gegenüber, das einer gigantischen Kellerassel gleicht. Während Marshall in seinem Hass auf alles Fremde die Creepies auslöschen will, bildet sich rund um die beiden Mickeys und Nasha eine Widerstandsbewegung, die eine friedliche Koexistenz sucht. Es ist sicherlich kein Zufall, dass eine Schwarze Figur zur umjubelten Anführerin der inneren Opposition wird.

»Mickey 17« ist eine rasante Dystopie und erzählt von einer nicht allzu fernen Zukunft, in der reiche Tech-Millionäre und machthungrige Populisten das Leben der einfachen Leute mit den Füßen treten und aus dem Elend der anderen Profit ziehen. Zugleich ist es aber auch ein überaus menschlicher Film, der leichtfüßig und ironisch von einem tragischen Helden und seinen vielen Existenzen erzählt. Das Ende lässt vermuten, dass Bong Joon Ho die Hoffnung an die Menschheit noch nicht ganz aufgegeben hat.
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