Mit seinem Aussteiger-Roman »Kruso« hat Lutz Seiler gleich den wichtigsten deutschen Literaturpreis gewonnen. Seine Laudatio wurde dann »ein großer Bahnhof« für diejenigen, die hinter dem Roman stehen, und einen prominent ignorierten Teil der Literatur.
Bis vor wenigen Wochen war Lutz Seiler in der deutschen Literaturszene lediglich mit Gedichten und Erzählungen in Erscheinungen getreten. Dass er seit Jahren an einem großen Roman arbeite, war schon lange ein offenes Geheimnis. Entsprechend sehnsüchtig wurde sein Debütroman erwartet, noch vor dem Erscheinen von Kruso war klar, dass über den Roman in diesem Bücherherbst diskutiert würde. Nun ist es etwas mehr als eine Diskussion geworden, denn Lutz Seiler hat mit seinem ersten Roman gleich die einflussreichste aller Listen gestürmt. Kruso steht gekrönt an der Spitze der Shortlist zum deutschen Buchpreis.
Das passt zur Person, die Seiler ins Zentrum seines Romans stellt. Alexander Krusowitsch ist der heimliche Pate von Hiddensee, wo sich der Erzähler Edgar Bendler im Sommer 1989 auf die Suche nach der Freiheit macht. Kruso nimmt ihn dabei wie ein Vater unter seine Fittiche. So wie er mit ihm gegen die niemals schrumpfenden Geschirrberge am Abwaschbecken des Klausners kämpft, so ertränkt er mit ihm und den anderen zehn »Esskaas« allabendlich die Versuchung, der Sehnsucht nachzugehen. Was bedeutet Freiheit? Wann ist der Mensch unfrei? Wie weit trägt die Hoffnung? Diesen Fragen geht Seiler in seiner Robinsonade – die abseits der politischen Umwälzungen, aber vor ihrem Hintergrund spielt – nach.
Die Jury zum Deutschen Buchpreis lobte Seilers »lyrische, sinnliche, ins Magische spielende Sprache«, mit der er das Leben im Sommer 1989 auf Hiddensee beschreibt. »Hier sammelten sich Sonderlinge, Querdenker, Freiheitssucher, Menschen, die aus der DDR fliehen wollten. Man darf die packende Robinsonade um den titelgebenden Kruso und den jungen Abwäscher Edgar als wortgewaltige Geschichte eines persönlichen und historischen Schiffbruchs lesen – und als Entwicklungsroman eines Dichters. Der Text entwickelt eine ganz eigene Dringlichkeit und ist nicht zuletzt ein Requiem für die Ostseeflüchtlinge, die bei ihrer Flucht ums Leben kamen. Lutz Seilers erster Roman überzeugt durch seine vollkommen eigenständige poetische Sprache, seine sinnliche Intensität und Welthaltigkeit.«
Lutz Seiler selbst war von seinem Erfolg nicht vollkommen überwältigt, auf der Bühne zog er eine vorbereitete Dankesrede aus der Jacketttasche. Einmal durchpusten musste er dennoch, bevor er gestand, dass für die Verhältnisse, die er aus der Lyrik kenne, diese Preisverleihung schon »ein großer Bahnhof« sei. Literatur lebt notwendigerweise von ihrer Fülle und Vielfalt, sagte Melle und brachte die anderen nominierten Bücher von Short- und Longlist mit ins Spiel. Dieser Bahnhof, der nun für ihn und seinen Roman gemacht werde, wäre erst dann einer Metropole würdig, wenn er mindestens zwanzig Gleise hätte. Es bräuchte aber auch einen Bahnsteig für ein ignoriertes Genre, für das Seiler hier eine Bresche schlug. Vor knapp dreihundert Gästen im Frankfurter Römer forderte er sanft, aber nachdrücklich einen ähnlich großen Bahnhof für seine literarische Heimat, um Autoren wie den Leipziger Thomas Kunst, den Hamburger Farhad Showghi oder die Berlinerin Nadja Küchenmeister dafür zu loben, dass sie sich mit ihrer Lyrik in Höhen streckten, wo den meisten Prosastücken die Luft zu dünn sei.
Seiler dankte auch ausdrücklich der »Suhrkamp-Lokomotive«, einem altgedienten, blauen Schlachtross, und den 128 Heizern, die den Kruso-Zug durchs Land zögen. Nach Katharina Hacker (2006: Die Habenichtse) und Uwe Tellkamp (2008: Der Turm) ist Lutz Seiler der dritte Suhrkamp-Autor, der in der zehnjährigen Historie des Deutschen Buchpreises den mit 25.000 Euro dotierten Preis erhält. Namentlich dankte Seiler demonstrativ seiner Verlegerin Ulla Berkéwicz-Unseld sowie seiner Lektorin Doris Plöschberger (»Doris…, Mensch…«), die an den Roman schon geglaubt habe, als noch nicht mehr als der Titel feststand.
Seilers Erstlingsroman galt in den Wochen vor der Verleihung als großer Favorit für den Deutschen Buchpreis, er setzte sich gegen Thomas Hettche, Angelika Klüssendorf, Gertrud Leutenegger, Thomas Melle und Heinrich Steinfest durch. Thomas Hettche war mit seinem Roman Pfaueninsel bereits zum dritten Mal für den Deutschen Buchpreis nominiert und unterlag nach 2006 (Woraus wir gemacht sind) zum zweiten Mal im Finale. Ebenfalls zum zweiten Mal auf der Shortlist vertreten war Angelika Klüssendorf, die sich nach Das Mädchen (2011) nun auch mit der Fortsetzung April dem Sieger geschlagen geben musste. Thomas Melle war zum zweiten Mal für den Deutschen Buchpreis nominiert, kam mit seinem Roman 3000 Euro aber erstmals unter den letzten sechs Preiskandidaten. Die Schweizer Autorin Gertrud Leutenegger war mit Panischer Frühling ebenso das erste Mal für den Deutschen Buchpreis nominiert wie Heinrich Steinfest mit seinem Nicht-Krimi Der Allesforscher.
Der Deutsche Buchpreis wurde in diesem Jahr zum zehnten Mal vergeben, im vergangenen Jahr hatte Terézia Mora mit ihrem Roman Das Ungeheuer den Preis erhalten.
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