Film

Das Erfahrungskino des David Lynch

Das Kino des amerikanischen Kultregisseurs David Lynch führt in die höchsten cineastischen Höhen und zugleich tief in die dunklen Kammern der menschlichen Seele. Eine prächtige DVD-/Blu-ray-Box versammelt nun erstmals sämtliche Spielfilme sowie die Kurzfilmreihen »The Dumbland Series« und »Dynamic:One«.

Fällt nur der Name David Lynch, scheiden sich augenblicklich die Geister. Die einen geraten ins Schwärmen, sprechen vom Kult-Regisseur, dem der Markt für seins avantgardistische Kunst ziemlich egal sei und dem es gerade deshalb gelinge, beim Publikum immer wieder neue Irritationen über das menschliche Dasein auszulösen. Die anderen halten den Amerikaner für einen der überschätztesten Filmemacher aller Zeiten, der nicht erzählen könne und mit opulenter Ausstattung über die inhaltliche Leere seiner Filme hinwegtäusche. So krass diese Gegensätze sind, ist doch eines klar: Der Name ist längst zu einer Marke geworden, dem David-Lynch-Kino.

Dieses Kino kann man nun erstmals vollständig auf Blu-Ray entdecken. Alles begann mit Eraserhead 1977. Er ist das Ergebnis einiger Kurzfilmprojekte, bevor er sich Anfang der siebziger mit minimalem Budget an die Arbeit für sein Langfilmdebüt machte. In diesem surrealen Drama in Schwarz-Weiß erzählt er von einem überforderten Junggesellen, der als verrückt gewordener Mörder endet. Die Wirklichkeit von Henry verzerrt Lynch so lange, bis es vollkommen verständlich erscheint, dass der in den Wahnsinn abgleitet.

John Hurt in der Rolle des »Elephant Man« im gleichnamigen Film
John Hurt in der Rolle des »Elephant Man« im gleichnamigen Film

Danach bekam er den Auftrag für Der Elefantenmensch. Dieses stets auf der Grenze zum Kitsch wandelnde Melodrama erzählt die »schockierende Geschichte eines echten Monsters« und basiert auf den Erlebnissen von John Merrick. Der ganz auf Emotionen setzende Film wurde für acht Oscars nominiert und machte Lynch, auch wenn er keinen davon gewann, über Nacht zu einem der gefragtesten Filmemacher. Ganz nebenbei sorgte der Film auch dafür, dass bei den Oscars die Rubrik »Bestes Make-Up« eingeführt wurde.

Lynchs Verfilmung von Dune – Der Wüstenplanet floppte gehörig, viel zu behäbig und abgedroschen kommt das Machwerk daher, zumal bereits sieben Jahre zuvor ein gewisser George Lucas mit dem ersten Star Wars-Film die Messlatte weit nach oben schob. David Foster Wallace schrieb in dem Essay »David Lynch bewahrt kühlen Kopf«, dass der Film dennoch wegweisend für den Filmemacher gewesen sei und zitiert ihn mit den Worten »Ich habe gelernt, dass ich einen Film lieber gar nicht mache, als dass ich auf den final cut verzichte.«

Mit Blue Velvet findet der Amerikaner zurück in die Spur. Sein surrealer Krimi ist sein cineastischer Stinkefinger an die Laurentis-Brüder, die Produzenten von Dune, die den Film schon vorher mit ihm vereinbar hatten. Collegestudent Jeffrey gerät aus Neugier und Übermut in eine Welt aus Gewalt, Korruption und Perversion. Hier legt Lynch nicht nur seine manichäische Weltsicht von »Gut gegen Böse« offen, sondern beginnt auch, mit Angelo Badalamenti zusammenzuarbeiten. Dessen Kompositionen werden Lynchs alptraumhaften Kino einen Stempel aufdrücken, sein Score für Lynchs Twin Peaks-Saga ist legendär.

Harry Dean Stanton und Kyle MacLachlan in David Lynchs legendärer Serie »Twin Peaks«
Harry Dean Stanton und Kyle MacLachlan in David Lynchs legendärer Serie »Twin Peaks«

Twin Peaks – Der Film erzählt die Vorgeschichte zu den ersten beiden Staffeln der legendären Serie, die das Format revolutionierte und bis heute kultisch verehrt wurde. Sehenswert ist der Film nicht wegen der Schilderung der letzten Wochen der Laura Palmer, sondern weil er ein paar Lücken in der übergreifenden Erzählung schließt. Welchen Stellenwert der Film für die Serie hat, ist umstritten. Ob die für Dezember angekündigte Blu-ray-Box Twin Peaks: From Z to A hier Licht ins Dunkel bringen wird, bleibt abzuwarten. Was aber bleibt, ist die Tatsache, dass sich diese Serie (übrigens bereits ein viertel Jahrhundert vor dem Netflix-Erfolg von Stranger Things der Duffer Brothers) wie kaum eine andere einem rationalen Zugang entzieht. Kein geringerer als Homer Simpson hatte das schon vor Jahren festgestellt. »Genial. Ich habe absolut keine Idee, was da vor sich geht«, lautete sein legendäres Urteil über die Serie, nachdem er sie in einer Simpsons-Folge auf dem Sofa liegend verfolgt hat.

Der für Lynch-Verhältnisse geradezu klassische Roadmovie Wild at Heart ist nicht nur seine mit der Goldenen Palme ausgezeichnete Hommage an Victor Flemmings The Wizard of Oz, sondern führt auch schon die Perspektive ein, mit der er sieben Jahre später Lost Highway eröffnen wird.

Seinen wohl besten Film dreht Lynch Mitte der neunziger Jahre, als die ersten wegen verschiedener Misserfolge schon den Abgesang auf ihn einleiten. In seinem surrealen Horrorthriller Lost Highway (hier zur ausführlichen Kritik) erzählt er die Geschichte des erfolglosen Saxofonisten Fred Madison, der aus Eifersucht und Wahn seine Frau umbringt. Zentral dabei die Szene auf einer Party, auf der Fred von einem mysteriösen Mann angesprochen wird, der behauptet, dass er zeitgleich in Freds Haus sei. Über Montage, Überlagerung und Suggestion führt Lynch tief hinab in die Abgründe der Seele. Sein mephistophelischer Mystery Man, der zugleich überall und nirgendwo ist, verkörpert den Mensch gewordenen Albtraum, der den gefallenen Helden bis in die letzte Ecke verfolgt.

Robert Blake als geheimnisvoller Mystery Man in »Lost Highway«
Robert Blake als geheimnisvoller Mystery Man in »Lost Highway«

Daniel Kehlmann, selbst ein Freund des Fantastischen und Absurden, meint, dass Lynch eine »große Empfänglichkeit für surreale Traumbilder« hat. »Was Lynch so faszinierend macht«, schreibt Kehlmann, »ist dieser Überschuss an Albtraumbildern, von denen man immer das Gefühl hat, dass sie einem geheimnisvollen Zweck folgen, den der Erfinder nur nicht verrät.«

Tatsächlich docken Lynchs Filme an unsere tiefsten Ängste in der Wirklichkeit an. Dies gilt umso mehr für seine beiden letzten Filme Mulholland Drive und Inland Empire. In beiden geht es auch nicht mehr um eine irgendwie geordnete Erzählung, sondern um ein Spiel mit den psychischen Elementen seines Kinos. In beiden Fällen lässt Freuds Traumdeutung grüßen. Während in Mulholland Drive noch eine Grenzlinie zwischen Traum und Realität gezogen werden kann, indem Betty ihre Schuldgefühle in einer geträumten Reinszenierung ihrer Affäre zu betäuben versucht, ist diese Unterscheidung bei Inland Empire kaum mehr möglich. Die düstere Geschichte einer Filmdiva, die zunehmend die Kontrolle über sich verliert, überschreitet jede Grenze von Weltlichkeit. Der Film zerfällt erzählerisch und bildhaft in seine Einzelteile, die extremen Kontraste und Nahaufnahmen verstärken die klaustrophobe Atmosphäre und steigern das Gefühl, in der eigenen Seele eingesperrt zu sein. Hier schließt Empire Island die Klammer, die Lynch dreißig Jahre zuvor mit Eraserhead geöffnet hat.

Intuition ist vielleicht das Zauberwort, dass den Zugang zu Lynchs Kino ermöglicht. Folgt man in seinen vielschichtigen Filmen dem eigenen Bauchgefühl, kann man nicht so viel falsch machen. Intuitiv ging Lynch auch selbst vor, wenn es um die Wahl seiner Schauspieler ging. Naomi Watts und Laura Harring hat er für Mulholland Drive ausgewählt, nachdem er ihre Porträts in einer Castingmappe entdeckt hatte. Zu einer der eindrücklichsten Szenen des Film kam es nur, weil Lynch bei einem Treffen mit Rebekah Del Rio von ihrer Performanz der spanischen Fassung von Roy Orbisons Crying so begeistert war, dass er spontan das Drehbuch erweiterte. Sheryl Lee bekam in Twin Peaks die Rolle von Laura Palmer, weil sie die einzige war, die kein Problem damit hatte, sich bei Minustemperaturen nackt in Plastikfolie einpacken zu lassen. Und Killer-Bob bekommt nur deshalb seinen Auftritt, weil bei den Dreharbeiten zufällig ein Spiegelbild von Ausstatter Frank Silva von der Kamera eingefangen wurde. Darauf sah Silva so gruselig aus, dass Lynch spontan entschied, eine Rolle mit ihm zu besetzen. »Es geht immer nur um magische Kombinationen von Menschen und diese Anordnungen schaffen Dinge. Wenn also jemand auf eine bestimmte Art und Weise kommt und ich auf eine bestimmte Art und Weise drauf bin, dann ist das Ergebnis anders als bei jeder anderen Person.«

Am Ende bleibt nicht viel mehr als das Gefühl, eine Erfahrung zu haben, die man weder greifen noch erklären kann, aber dennoch unmittelbar mit einem zu tun hat. »Das Kino kann die Zuschauer in eine Welt jenseits des Intellekts entführen, in der sie sich ganz und gar ihrer eigenen Intuition anvertrauen müssen«, ist sich Lynch sicher. »Es geht nicht darum, etwas zu verstehen, sondern darum, etwas zu erfahren.«

DAVID LYNCH COMPLETE FILM COLLECTION. Eraserhead (1977) | Der Elefantenmensch (1980) | Dune – Der Wüstenplanet (1984) | Blue Velvet (1986) | Wild at Heart – Die Geschichte von Sailor und Lula (1990) |Twin Peaks – Der Film (1992) | Lost Highway (1997) | The Straight Story – Eine wahre Geschichte (1999) | Mulholland Drive (2001) | Inland Empire (2006). u.a. mit: Bill Pullman, Patricia Arquette, Harry Dean Stanton, Naomi Watts, Kyle MacLachlan, Anthony Hopkins, John Hurt, Laura Harring, Sheryl Lee, Frank Silva. Studiocanal 2019. 1.249 Minuten. 77,99 Euro. Hier bestellen

Eine kürzere Version des Textes ist im Rolling Stone 10/2019 erschienen

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