Literatur, Roman

Keine Heimat

In seinem fulminanten Roman »Homeland Elegien« geht der Dramatiker Ayad Akhtar seinem eigenen Dasein als Amerikaner mit muslimischen Wurzeln auf den Grund. Geduldig und mit Sympathie für die Menschen macht Akhtar sichtbar, wie Amerika zu dem dunklen Ort werden konnte, der er heute ist.

Ayad Akhtar ist ein US-amerikanischer Dramatiker mit pakistanischen Wurzeln, dessen Theaterstück »Disgraced« mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Es handelt von Rassismus und Islamophobie in den USA nach 9/11 und gipfelt in der Aussage des Anwalts Amir Kapoor, dass er angesichts der brennenden Türme nicht nur Trauer, sondern angesichts der Erfahrung der jahrelangen Diskriminierung und Ausgrenzung auch so etwas wie Stolz empfunden habe.

In »Homeland Elegien« geht Akhtar seinem eigenen Dasein als Amerikaner mit muslimischen Wurzeln auf den Grund. Seine Eltern haben Pakistan in den sechziger Jahren verlassen, um in den USA zu arbeiten. Der Vater legte seine muslimischen Wurzeln radikal ab und hielt – unter anderem als Donald Trumps behandelnder Mediziner – fortan die Fahne des stolzen Amerikaners hoch. Ganz anders die Mutter, die trotz traumatischer Erinnerungen eine tiefe Sehnsucht nach Heimat in sich trug.

Dieses zerrissene Erbe spiegelt sich in Akhtar selbst, der nun fünfzigjährig seinen Erinnerungen nachgeht, um zu verstehen, was mit seinem Land geschehen ist. »Einem Land, in dem ich, je mehr ich es verstand, desto weniger zu Hause zu sein schien«, wie er seinem Alter Ego im Roman in den Mund legt. Sein Klagegesang ist ein Spiel mit den Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, denn was genau hier autobiografische Erinnerung und was fantastische Erweiterung ist, lässt sich kaum mehr feststellen. Soll man auch nicht, wie im Vorwort deutlich wird. »Ich gehöre zu den Schriftstellern, die Tatsachen verdrehen, um sie desto deutlicher sehen zu können, und bin dieser Neigung auch hier gefolgt.«

Damit spiegelt Akhtar auch die Gegenwart, in der einfache US-Bürger nicht mehr unterscheiden können, was genau Wahrheit und was Lüge ist von dem, was ihnen so täglich als Nachricht präsentiert wird. Im Gespräch mit der Zeit sagt der Autor: »Deshalb kommt Trump in diesem Buch so prominent vor. Seine Wahrnehmung der Welt, seine Krankengeschichte ist über dieses Land hereingebrochen und hat die Macht übernommen.«

Ayad Akhtar: Homeland Elegien. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsterem. Ullstein Buchverlage. 464 Seiten. 24,00 Euro. Hier bestellen

Um dieses Land, dessen Volk wie von einer Massenpsychose erfasst scheint, geht es in Akhtars wehmütiger Klage. Er erkundet die Schattenseiten des amerikanischen Way of Life, einer Kultur, die so eng »mit Rassismus und der Anbetung von Geld« verbunden ist. Dabei hilft der Blick von außen, für den nicht nur die Eltern, sondern auch andere Figuren muslimischer Herkunft stehen. Etwa seine Bekannte Asha, neben der der Erzähler eines Morgens aufwachte und das erste Mal spürte, »dass unsere dunklen Hauttöne durch und durch richtig waren«. Oder ein Investor namens Riaz Rint, der dem Erzähler zu Geld verhilft und der ihm zur Erkenntnis verhilft, »dass Geld seinen eigenen Standpunkt mitbringt; wenn man genug davon besitzt, bewirkt es, dass man die Welt aus seiner Perspektive betrachtet.«

Der Roman leitet geduldig und empathisch her, wie Amerika zu dem dunklen Ort werden konnte, der er heute ist. Dafür reist der Erzähler durch den konservativen Süden und den Bible Belt, erlebt Ausgrenzung und Rassismus am eigenen Leib. Aber gut, das kann man erwarten. Akhtar schaut aber genauer hin, will wissen, woher die Wut der Leute kommt, und lässt das am Ende eine Anwältin erklären, die sagt, dass es nicht um rechts oder links gehe, sondern darum, dass die Menschen die Hoffnung verloren haben.

Dazu dient eine Passage, in der das Erleben der Menschen, die in der sterbenden Provinz leben, beschrieben wird: »Wenn sie sechs oder acht Stunden an verlassenen Farmen und unbewohnten Häusern vorbeigefahren sind, durch leere Städte und sterbende Hauptstraßen, und dann nach Madison oder Milwaukee kommen, dann ist das wie ein Science-Fiction-Film. … Die Leute hier fahren ein- oder zweimal im Jahr in die große Stadt. Und da sehen sie es dann, da sehen sie den Unterschied. Und das gefällt ihnen nicht.«

Der von Dirk van Gunsterem übersetzte Text – psychologisch klug, mal witzig, mal bitterernst – handelt von der Entfremdung – der zwischen Mensch und Politik, der zwischen den Menschen und auch der vom Autoren selbst. Dessen Alter Ego steht am Morgen nach Trumps Wahl am Fenster und denkt einfach nur, »dass es an der Zeit war, nicht mehr auf das zu hören, was mein hoffnungsvolles Herz mir erzählte.«

Woher diese Enttäuschung kommt, ist nicht allzu schwer zu entschlüsseln. Es ist die schiefe Wahrnehmung der weißen Mehrheitsgesellschaft, die sich selbst positiv verkennt, während sie das Fremde permanent in der Abwertung betrachtet. »Das Wir-Bild der eigenen Gruppe lesen die mächtigsten Etablierten von der Minorität der Besten, das Sie-Bild der verachteten Außenseiter von der Minorität der Schlechtesten ab«, schreibt Akhtar. »In diesem Land ist die weiße Mehrheit praktisch blind für ihre Schlechtesten.«

2 Kommentare

  1. […] Ayad Akhtar geht in seinem fulminanten Roman »Homeland Elegien« seinem eigenen Dasein als Amerikaner mit muslimischen Wurzeln auf den Grund. Seine Eltern haben Pakistan in den sechziger Jahren verlassen, um in den USA zu arbeiten. Der Vater – ein ehemaliger Arzt von Donald Trump – legte seine muslimischen Wurzeln radikal ab, die Mutter trägt trotz traumatischer Erinnerungen eine tiefe Sehnsucht nach Heimat in sich. Dieses zerrissene Erbe spiegelt sich in Akhtar selbst, der nun fünfzigjährig seinen Erinnerungen nachgeht, um zu verstehen, was mit seinem Land geschehen ist. »Einem Land, in dem ich, je mehr ich es verstand, desto weniger zu Hause zu sein schien«, wie er seinem Alter Ego im Roman in den Mund legt. Sein Klagegesang ist ein Spiel mit den Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, denn was genau hier autobiografische Erinnerung und was fantastische Erweiterung ist, lässt sich kaum mehr feststellen. Damit spiegelt Akhtar auch die Gegenwart, in der einfache US-Bürger nicht mehr unterscheiden können, was genau Wahrheit und was Fake ist. Der Roman leitet geduldig und empathisch her, wie Amerika zu dem dunklen Ort werden konnte, der er heute ist (hier die ausführliche Rezension). […]

  2. […] Ayad Akhtar geht in seinem fulminanten Roman »Homeland Elegien« seinem eigenen Dasein als Amerikaner mit muslimischen Wurzeln auf den Grund. Seine Eltern haben Pakistan in den sechziger Jahren verlassen, um in den USA zu arbeiten. Der Vater – ein ehemaliger Arzt von Donald Trump – legte seine muslimischen Wurzeln radikal ab, die Mutter trägt trotz traumatischer Erinnerungen eine tiefe Sehnsucht nach Heimat in sich. Dieses zerrissene Erbe spiegelt sich in Akhtar selbst, der nun fünfzigjährig seinen Erinnerungen nachgeht, um zu verstehen, was mit seinem Land geschehen ist. Der von Dirk van Gunsteren übersetzte Klagegesang ist ein Spiel mit den Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion. Irgendwo zwischen autobiografischer Erinnerung und fantastischer Erweiterung wird der dunkle Ort sichtbar, der Amerika heute ist. Hier gehts zur ausführlichen Kritik. […]

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