Film

Bewegung nach rechts

Alice Diop fühlt bei der digitalen Berlinale der Grande Nation auf den Zahn. Für ihr Gesellschaftsporträt »Nous« hat die Tochter senegalesischer Einwanderer Franzosen getroffen, die an der Pariser Vorstadtlinie RER B leben.

So lernen wir den Mechaniker Ismael kennen, der als illegaler Einwanderer unter der Hand Autos repariert und selbst in einem ausrangierten Kleinbus lebt. Wir begegnen zahlreichen Alten, die auf die Hilfe von Einwanderern angewiesen sind, weil sie sich nicht mehr selbst helfen können, sowie alteingesessenen Franzosen, die den Sonnenkönig Ludwig XVI. hochleben lassen und Treibjagden veranstalten. Parallel erzählt Diop die Geschichte ihrer Familie, den Kampf ihrer Eltern, ihren Kindern eine Zukunft in einem Land zu bieten, in dem sie selbst nicht einmal begraben sein wollen.

Diops Film ist ein Puzzle, in dem sie die einzelnen Teile einer immer mehr auseinanderfallenden Gesellschaft einfängt. Sie bemüht sich erst gar nicht, irgendeinen Klebstoff zu finden, denn dieser fehlt. Eine gemeinsame Kultur könnte es sein, aber es gibt keine, auf die sich diese Gesellschaft verständigen könnte.

Als sie mit dem Autor Pierre Bergounioux eine Adaption seines Tagebuchs aufnimmt, sagt sie ihm in einer Pause fasziniert, dass er von einem Leben erzählt, dass sie nie hatte und auch nie haben wird, sie aber dennoch so ergriffen sei, als wäre es ihr leben. Eine faszinierende Begegnung, von denen es mehr bräuchte, um Franzosen mit und ohne andere kulturelle Hintergründe näher zueinander zu führen.

Was mit dieser Gesellschaft passiert, beschreibt am besten die erste Einstellung des Films. Sie zeigt einen Mann mit seiner Frau und seinem Enkel, die einen Hirsch in der Dämmerung am Waldrand beobachten. Lange Zeit tut sich nichts, aber dann doch. »Er bewegt sich nach rechts«, flüstert die Großmutter ihrem Enkel zu.

Genau das beschreibt die Situation in Frankreich wohl am besten. Das hatte auch schon Didier Eribon in seinem Bestseller »Rückkehr nach Reims« gezeigt. Diop fügt dem die Perspektive der Tochter senegalesischer Einwanderer hinzu. Am Gesamteindruck ändert das nichts, es verstärkt ihn aber. Das Wir, von dem hier die Rede ist, verharrte lange Zeit im Stillstand, aber seit es sich in Bewegung gesetzt hat, bewegt es sich nach rechts.

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