Fotografie

»Nude you are, but never naked«

»The Opéra« ist die internationale Publikation für zeitgenössische Akt-Fotografie. Die aktuelle, neunte Ausgabe vereint ein neues Design und bewährte Vielseitigkeit.

Der Akt ist eines der zentralen Motive der Kunstgeschichte und damit auch der Fotografie. Von Alfred Stieglitz führt die Spur der Aktfotografie über Ikonen der dreißiger und vierziger Jahre wie André Kertész und Man Ray hin zu Robert Mapplethorpe und Helmut Newton, die die Achtziger und Neunziger prägten, um schließlich mit Ellen von Unwerth, Bettina Rheims und Nadav Kander im neuen Jahrtausend anzukommen. Letzterer hatte es mit einem Foto aus seinem »Bodies«-Zyklus auf den Titel des dritten Jahresmagazins für klassische und zeitgenössische Akt-Fotografie geschafft, das Matthias Straub nun schon im neunten Jahr unter dem Titel »The Opéra« herausbringt. Darin vermisst er jedes Jahr den Stand und die Entwicklung der Aktfotografie, die zwar immer wieder auf klassische Motive zurückgeht, diese aber auch ständig neu denkt.

Dies zeigt auch die neunte Ausgabe des Magazins, dass von dem Designer Mirko Borsche eine Layout-Anpassung bekommen hat. Die nun einheitliche Typografie rückt schlicht und sachlich an den Seitenrand, das Bild wird ins Zentrum gestellt. Die Fotografien erhalten im neuen Design mehr Platz, stärker als zuvor arbeitet »The Opéra« im neuen Look mit ganzseitigen Aufnahmen.

Der Name des Magazins ist Programm, der Körper wird hier als Bühne und Schauspiel zugleich gefeiert. »In der Oper finden sich viele verschiedene künstlerische Annäherungen und Darstellungsformen (Musik, Tanz, Gesang, Schauspiel, Bühnenbild) an das Wesen und die Natur des Menschen«, erklärt Herausgeber Straub den Vergleich zur Oper. »Der Zuschauer betrachtet aus einer gewissen respektvollen Distanz eine mal opulente, mal euphorische, mal traurige, mal zurückhaltende Darstellung des Lebens. Der getragene und würdevolle Charakter der Oper erscheint mir als passender Vergleich zum Akt.« Zudem gibt Gustav Freytags Aufbau des Dramas jedem Magazin seine innere Struktur. Der Exposition als vertraute Einführung folgt die Steigerung durch stärker künstlerische Ansätze, dann eine Art Zwischenspiel, dass die Erzählung aufbricht, um dann zu neuen künstlerischen Herangehensweisen zurückzukehren und durch ein Finale Vertrautes und Neues zusammenzuführen.

In der neunten Ausgabe ergibt sich so eine Erzählung, die von nahezu klassischer Aktfotografie (Christina Rollny, Emmet Green) zu Spielarten des Genres (David PD Hyde, Lin Zhipeng Aka, Arnoldas Kubilius, Joanne Leah) und Cyber-Inszenierungen des Körpers (French Cowboy, Veronique Pecheux, Samy La Crapule, Slava Thisset) führt, um dann langsam wieder zu vertrauten essayistischen Ansätzen (Gerhard Merzeder, Indira Cesarine, Stéphane Coutelle) zurückzukehren. Farbaufnahmen und Schwarz-Weiß wechseln sich ebenso ab wie gestochen scharfe Aufnahmen mit Bildern, über denen diesige Schleier liegen. Punkige Journal-Ansätze wie die Bilder von Martina Borsche, Joanna Szproch, Laurence Philomène, Ryuta Sakurai und Indira Cesarine wechseln sich ab mit naturverbundenen Meditationen von Kimbra Audrey, Jim de Block und Leafy Yeh oder den ironischen Spielereien von Shiori Akiba, Julia Luzina und François Delebecque.

Matthias Straub (Hrsg): THE OPÉRA IX – 2020. Kerber Verlag 2020. 232 Seiten. 45,00 Euro. Hier bestellen

»Nude you are, but never naked«, schreibt Straub in seinem kurzen Vorwort zur neunten Auflage seines Magazins, das einmal mehr belegt, wie vielfältig die zeitgenössische Aktfotografie ist. Sie feiert den Körper als geheimnisvolle und genderfluide terra incognita, was angesichts der Bilderfluten nackter Haut überraschen mag. Aber eben genau darin liegt der Unterschied. Es geht hier eben nicht um Nacktheit, sondern darum, dem Menschen (haut)nah zu kommen.

Diese Annäherung ermöglicht »The Opéra« immer wieder verlässlich, ohne dabei in allzu vertraute Gefielde abzudriften. Dem Magazin wohnt eine revolutionäre Entdeckerkraft inne. Es torpediert die Sehgewohnheiten immer wieder verlässlich und macht mit seinen Sinnesreisen einzigartige Erfahrungen möglich.