Hörbuch, InSzeniert, Literatur, Lyrik

»Hör dich ein mit dem Mund«

© Thomas Hummitzsch

Der Schauspieler Jens Harzer liest Paul Celan und sinnt dessen Zeilen nach. Das Hörbuch »Eine Annäherung« kommt seinem Titel im Wortsinne nach, denn es liefert nicht nur die Gedichte, sondern macht auch den Prozess der Aneignung und Lesung transparent.

»Okay, einmal geh’ ich noch durch«, »Ich les’ es einmal für uns«, »Jetzt ham’ wir, jetzt ham wir was Schweres vor uns«, »Boah, ist das traurig« oder »Oh Gott, gibt’s da auch `ne Aussprachebox für Mittelhochdeutsch?« – das Seufzen von Jens Harzer während seiner Celan-Lesungen hebt eben jene auf ein anderes Level. Weil es die Aufgabe, Celan zu lesen, als Herausforderung hörbar macht. Weil es den Respekt des Lesers vor Celans Texten sowie dessen Ängste und Beklemmungen angesichts seiner oft rätselhaften Lyrik spürbar macht. Und weil es dem bewundernden Zuhörer immer wieder ein verständliches »I feel you« ins Ohr flüstert, sollte er es jemals selbst mit Celan versucht haben oder versuchen wollen.

Paul Celan zählt zu den bedeutendsten Stimmen der europäischen Lyrik, seine »Todesfuge« ist ein Solitär der deutschsprachigen Lyrik, in der der 1920 in Czernowitz geborene Schriftsteller den Holocaust verarbeitet hat. Sein vielschichtiges und international bewundertes Werk wird von der Germanistin Barbara Wiedemann herausgegeben, zuletzt erschien eine neu kommentierte Gesamtausgabe von Celans Gedichten sowie eine Edition seiner Briefe. Sie hat gemeinsam mit dem Schauspieler Jens Harzer eine Auswahl an Gedichten zusammengestellt, die unter sieben thematischen Gesichtspunkten verschiedene Aspekte von Celans Lyrik abbildet: Heimat, Liebe, Wahnsinn, Schmerz, Jüdisch-Sein, Schreiben und Aktualität. Auf die Aufnahme der »Todesfuge«, die die Auseinandersetzung mit Celan dominiert, haben sie aus guten Gründen hier verzichtet.

Diese Zuordnung ist für das Hörbuch nahezu nebensächlich, belegt aber einmal mehr die Vieldimensionalität von Celans Werk. Das ist zwar unzweifelhaft mit der Erfahrung, den Todeslagern, in denen die Eltern ermordet wurden, nur knapp entkommen zu sein, verbunden, hier werden aber auch mal »Abzählreime« geschüttelt – und den Hörenden wird es bei Zeilen wie »Ich bin groß, du bist das Küken, | Hihihimmel, sollst dich bücken« leicht(er) ums Herz.

»Eine Annäherung« ist eine faszinierende Reise durch den lyrischen Kosmos Celans, ohne dass sie Anspruch auf Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit beanspruchen würde. Sie enthält leicht Zugängliches wie schwer Verdauliches, Emotionales wie Experimentelles, Zyklisches wie Anekdotisches und lädt ein, all das zu entdecken. Man kann aber auch beruhigt Gedichte an sich vorbeifliegen lassen, ohne Anschluss zu verlieren.

Dass das passiert, ist aber unwahrscheinlich, denn der Entdeckungsreise ist mit Jens Harzer ein großartiger Guide zur Seite gestellt, der durch diesen Kosmos führt und dabei selbst Momente der Be- und Verwunderung erlebt. Der Orientierung bietet (»Also auch dieses Gedicht [Wutpilger Streifzüge, A.d.A.] platzt vor Bezügen«), Ratlosigkeit anspricht (»Warum ist der Doppelpunkt da [In die Nacht gegangen, A.d.A.]?«), subjektive Bezüge sichtbar macht (»Für mich ist das [Schiboleth, A.d.A.] eines der schönsten Gedichte Celans.«) und einräumt, dass er bei Celan auch als professioneller Sprecher an Grenzen stößt (»zwei richtig schwere Stücke [In der Luft; Hafen, A.d.A.]«).

Es sind diese Kommentare aus dem Off des Studios, die dieses Hörbuch so aufregend und sensationell einzigartig machen. Wir hören hier nicht nur die x-te Interpretation von Celans Lyrik – auch wenn diese emphatische Lesung ihresgleichen sucht –, sondern auch das Rascheln der Textblätter, das Räuspern und Rätseln des Sprechers sowie dessen inneres Bewegtsein angesichts der Texte. Der Titel dieser Auswahl ist wörtlich zu nehmen, es geht um das sich Anpirschen, um das Hineinhören und Herantasten.

Paul Celan/Jens Harzer: Eine Annäherung. Gedichte gelesen von Jens Harzer, ausgewählt von Barbara Wiedemann. speak low 2021. 110 Minuten. 22,00 Euro. Hier bestellen

Von zwei Dutzend Gedichten gibt es zwei oder drei Interpretationen, mal, weil sich Harzer verspricht, dann wieder, weil er neu ansetzen will, um den Zeilen einen anderen Rhythmus oder Ton zu geben. In Kombination mit den Kommentierungen wird so das vorsichtige und feinnervige Einfühlen des in Hamburg lebenden Schauspielers in die Celan’schen Textlandschaften hör-, erfahr- und nachvollziehbar.

Gewissermaßen nimmt der amtierende Ifflandring-Träger die Zeile »Hör dich ein mit dem Mund« aus Celans »Die Posaunenstelle« beim Wort. In »Eine Annäherung« erschließt er die Gedankenwelten Celans, indem er jeder Silbe nachspürt, die Wortbedeutung zum Klingen bringt, sich die Texte aneignet, ohne sie einzuverleiben. Das ist erhellend, erhebend und berührend zugleich. Einfach grandios.

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