Die mexikanische Regisseurin Lila Avilés zeigt im Wettbewerb ihr Drama »Tótem«. Darin wird eine Geburtstagsfeier zum rituellen Abschied umgewidmet.
Der sechsjährigen Sol gefällt die Perücke, die ihre Mutter für sie gekauft hat, nicht so richtig. Auch die Clownsnase mag sie nicht, darunter fällt ihr das Atmen schwer. Und doch nimmt sie beides auf sich, denn sie sind Teil einer Überraschung, die Mutter (Saori Gurza) und Tochter (Naíma Sentíes) gemeinsam für die Geburtstagsvater ihres Vaters Tona (Mateo García Elizondo) vorbereitet haben. Dahin sind sie zu Beginn von Lila Avilés Film »Tótem« unterwegs, die Stimmung ist ausgelassen. Als sie unter einer Brücke durchfahren, halten beide die Luft an. Wer es schafft, kann sich etwas wünschen. Das ist der Moment, in dem dieser magische Film aufbricht, denn Sol wünscht sich nichts anderes als dass ihr Vater nicht sterben möge.
Die mexikanische Regisseurin Lila Avilés ist mit ihrem zweiten, von der eigenen Firma Limerencia produzierten Film im Wettbewerb der Berlinale vertreten. Wie schon in ihrem vielfach ausgezeichneten Debüt »The Chambermaid«, einer nüchtern erzählten, aber großen Geschichte einer Putzfrau in einem Hotel, gelingt es ihr hier, im Kleinen eine große Geschichte zu erzählen.
Im Haus von Tonas Familie ist emsiges Treiben, alle bereiten sich auf die Party am Abend vor. Der mürrische Familienvater führt noch letzte Patientengespräche und pflegt seine Bonsais, Tonas Geschwister bereiten die letzten Speisen vor und machen sich für den großen Abend schick. Sol beobachtet das alles mit neugierigen Augen, wenngleich sie lieber bei ihrem Vater wäre. Das geht aber nicht, da der sich für den Abend mehr vorbereiten muss als alle anderen. Denn Tona ist schwer krank, niemand weiß mit Sicherheit, ob er es am Abend überhaupt schafft, bei seinen Gästen zu sein.
Dieser Schatten liegt schwer über der geplanten Feier und auf den Seelen aller Beteiligten. Die Nerven liegen bei den Beteiligten blank, die Mühe, sich für diese mutmaßlich letzte Feier zusammenzureißen ist allen anzumerken. Um die Gemüter zu beruhigen, wird sogar eine Geisterbeschwörerin ins Haus geholt, die die negativen Energien vertreiben soll. Das funktioniert selbstredend nicht. Stattdessen bleiben alle eingesperrt in diesem Albtraum, aus dem es nicht nur kein Erwachen gibt, sondern den auch niemand beklagen darf, um es Tona nicht noch schwerer zu machen.
Das mexikanische Kino hatte bereits im vergangenen Jahr einen starken Auftritt im Wettbewerb. Die Mexikanerin Natalia López Gallardo erhielt 2022 für ihr Debüt »Robe of Gems« den Silbernen Bären Preis der Jury. Der Ensemblefilm handelte von verschiedenen Formen der Gewalt, die Frauen an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze erleben. Avilés schreibt diese Erfolgsgeschichte möglicherweise fort. Ihr Film erzählt in einer aufregenden cineastischen Sprache von den verschiedenen Formen des Schmerzes.
Der Film ist im kompakten 4:3-Format gedreht. So macht sie auch visuell die beklemmende Enge dieser Ausnahmesituation und die Endlichkeit des Daseins sichtbar. Avilés bietet visuelle Abschweifungen an, die wie ein Luft holen wirken. Mit den neugierig-offenen Augen einer Sechsjährigen wendet sie sich den kleinen Regungen der Natur in dieser Welt zu. Schnecken, Ameisen, Papageien und Hunde bringen unvoreingenommenes Leben in den angespannten Raum dieses Hauses, in dem alle mit sich selbst beschäftigt sind.
Während die Tanten und Onkel immer nur kurz Zeit für Sol haben, die den Verlust ihres Vaters ahnt, wendet sich die Kamera immer wieder diesem Mädchen zu, dessen eindringliche Präsenz und unvoreingenommene Neugier – wie schon die Kinderdarsteller:innen im Vorjahresgewinner »Alcarràs« von Carla Simón – ein Geschenk für diesen Film ist. Die unbeschwerte Direktheit der Kinder in diesem Film sorgt dafür, dass dieser Film mehr als eine tragische Geisterbeschwörung ist. »Tótem« ist ein dem Tod abgerungenes Manifest der Liebe und des Lebens, das die Zärtlichkeit und Schönheit eines Gedichts in sich trägt.
[…] der Nacht« einen bleibenden Eindruck. Dazu kommen die beiden weiblichen Kinderdarstellerinnen in Lila Avilés Familiendrama »Tótem« und dem baskischen Film »20.000 especies de […]