Film

Die Angst haben

Mit dem Krieg in der Ukraine geht auch eine Militarisierung der Welt einher. Der Italiener Giacomo Abbruzzese und der Mexikaner David Zonana gehen in ihren Filmen dieser befremdlichen Entwicklung nach und zeigen, was die Erfahrung von Gewalt mit Menschen macht.

Alexej will nur noch weg aus Weißrussland. Mit seinem Freund Mikhail macht er sich auf den Weg, getarnt als Fussballfan, und reist ins benachbarte Polen. Von dort wollen sich die beiden bis nach Frankreich durchschlag, um bei der Fremdenlegion anzuheuern. Denn die bietet allen ihren Mitgliedern nach fünf Jahren Mitgliedschaft die französische Staatsbürgerschaft. Dort kommt allerdings nur Aleksei (Franz Rogowksi) an, sein Freund (Michal Balicki) wird es nicht schaffen. Ohnehin scheint der junge Weißrusse aber ein Einzelgänger zu sein, viel reden wird der in sich gekehrte Mann im Laufe des Films zumindest nicht. Aber er wird sich durchbeißen, den harten Aufnahmetest der Fremdenlegion bestehen und zum ständigen Mitglied der internationalen Eingreiftruppe werden, die in Giacomo Abbruzzeses Drama »Disco Boy« bald zu einem Einsatz im Dschungel des Nigerdeltas aufbrechen muss.

Hart sind auch die Aufnahmetests beim mexikanischen Militär, das insbesondere für diejenigen aus sozial benachteiligten Schichten die einzige Alternative zur Bandenkriminalität darstellt. Der 18-jährige Luis (Santiago Sandoval Carbajal), ein schmächtiger Junge aus einer indigenen Familie, wagt dennoch den Versuch. Er braucht das Geld und vor allem die Familienversicherung des Militärs für seine kranke Mutter. Er steht im Zentrum von David Zonanas bedrückendem Film »Heroico«, der das Gewaltregime innerhalb des Militärs in drastischen Bildern anklagt. Die Handlung folgt den Schicksalen einiger Jungs (man wagt kaum, von Männern zu sprechen), die an der traditionsreichen nationalen Militärakademie, dem Heroico Colegio Militar, zu bedingungslosem Gehorsam ausgebildet werden.

Ohne Gehorsam funktioniert keine Armee, um das zu erfahren, braucht es kein Kino. Wer allerdings erfahren will, was dieser Gehorsam mit den Menschen macht, welche inneren Abgründe, Zweifel und Widerstände sie mit sich herumtragen, der findet in den Filmen von Giacomo Abbruzzese und David Zanona Antworten.

Franz Rogowski in »Disco Boy« von Giacomo Abbruzzese | © Films Grand Huit

Der Italiener bricht dafür seinen Film auf und holt eine andere Perspektive in den Film. Er erzählt nämlich auch von einer Guerillaarmee im Nigerdelta, die sich gegen die korrupten Eliten in ihrem Land und die skrupellosen Westler zur Wehr setzen, die ohne Rücksicht auf Land und Leute die natürlichen Ressourcen ausbeuten. Der charismatische Jomo (Morr Ndiaye), den wie seine Schwester ein goldenes Auge schmückt, führt als bewunderter Aktivist diese Guerilla an, die einige Investoren in Geiselhaft nehmen, um der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen Einhalt zu gebieten. Die Fremdenlegion versteht sich als Elitearmee, solche Dinge abseits der internationalen Aufmerksamkeit zu lösen. Im Dunkel der Nacht soll Alekseis Einheit die entführten Westler befreien.

Es sind spektakuläre Bilder, mit denen Abbruzzese diesen Einsatz festhält. Gleich zu Beginn trifft die Truppe auf ein brennendes Dorf. Als Aleksei den Einsatzleiter fragt, ob sie helfen dürfen, wird ihm gesagt, sie sollten sich auf ihren Auftrag konzentrieren. Fortan schleppt er Zweifel mit sich herum, wem und welchen Interessen er hier eigentlich dient. Nach einigen Bildern, die die hochgerüsteten Elitesoldaten in der Dunkelheit des Dschungels zeigen, wechselt die Perspektive und wir sehen durch die Nachtsichtgeräte der Soldaten. Dieser Entfremdungseffekt sorgt auch für die maximale Abbildung von Realität. Denn wenn Soldaten wie in einem Egoshooter auf rosa Figuren schießen, sinkt der Skrupel, am Trigger zu ziehen.

Santiago Sandoval Carbajal in »Heroico« von David Zonana | © Teorema

Absolut skrupellos sind die Ausbilder an der Militärakademie. Abseits der Aufmerksamkeit treiben sie mit den Kadetten perverse Machtspiele, um deren Persönlichkeit zu brechen. Sie werden nackt über den Duschboden geschleudert, mitten in der Nacht zum Antritt geweckt oder müssen stundenlang nackt in der Kälte stehen. Vor allem Ausbilder Eugenio Sierra (Fernando Cuautle) genießt die Demütigung der jungen Soldaten, bei denen er es an Grausamkeit und Brutalität nicht missen lässt. Luis nimmt er allerdings von seinen Quälereien aus, die nur im ersten Moment willkürlich erscheinen, und macht ihn zu einem Komplizen bei seinen kriminellen Machenschaften außerhalb der Kaserne.

Auch David Zanona bricht diese Erzählung immer wieder auf, indem er den Ängsten und Albträumen von Luis Raum gibt. Sie zeigen seine Freunde, die unter dem Druck Sierras zusammenbrechen und sich das Leben nehmen. Und immer wieder sieht man ihn, wie er langsam durch die Reihen eines leeren Schlafsaals zu den Duschen geht, aus denen Geräusche von Schlägen und Misshandlungen dringen.

Wie geht man um mit Schuld und Gewissensbissen. Diesen Fragen gehen sowohl Giacomo Abbruzzese in seinem Wettbewerbsbeitrag »Disco Boy« als auch David Zanona in »Heroico« nach. Franz Rogowksi beweist in der Rolle des schweigsamen Aleksei einmal mehr, dass er einer von Deutschlands besten Charakterdarstellern ist. Er verkörpert hier einen jungen Mann, der sich selbst verliert, durch die Hölle geht und neu erfinden muss. Als er vor seinem ersten Einsatz gefragt wird, ob er sich fürchte, antwortet er lakonisch: »Diejenigen, die Angst haben, bleiben zu Hause.«

Laëtitia Ky in »Disco Boy« von Giacomo Abbruzzese | © Films Grand Huit

Die Idee der Neugeburt in einem Pariser Nachtclub, in dem ihm nicht nur Jomo, sondern auch dessen verführerische Schwester Udoka (Laëtitia Ky) erscheint, auf die der italienische Regisseur dabei setzt, funktioniert allerdings nicht ganz so gut. Denn hier wird weniger die Utopie eines Ortes abseits der Wirklichkeit gefeiert, sondern vielmehr das lethargische Nebeneinander von brutaler Realität und magischer Träumerei als folgenlose Weltflucht inszeniert.

So versöhnlich ist sein mexikanischer Kollege mit seien Figuren nicht. David Zanona geht mit Luis den unvermeidlichen Weg bis zum Ende. Er entlässt ihn nicht aus dem Konflikt, unter den Fittichen eines brutalen Gewalttäters der Gewalt entkommen zu können. Zumal es Sicherheit nicht gibt. Wenn er eines gelernt hat, dann dass er jederzeit zu Sierras nächstem Opfer werden kann. Diese Angst wird er nie los. Gewalt gebiert nur neue Gewalt, so die Moral von »Heroico«. Ob die eine Legitimität hat oder nicht, ist eine Frage der Perspektive. Dass sie Menschen von innen auffrisst, eine Tatsache.

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