Literatur

Prosa, Baby!

© Thomas Hummitzsch

Homayoun, Yorgos, Ferdinand, Toni und Yasmina sind Mitte Zwanzig und verzweifelt. In Arad Dabiris vielversprechenden Roman »Gloria!« (ver)zweifeln sie an der Kunst, an den Maßstäben, am ausbleibenden Erfolg, am Alkohol und an der Liebe.

Der 1997 in Wien geborene Autor Arad Dabiri hat mit seinem Erstling »Drama« 2023 den Debütpreis beim Österreichischen Buchpreis gewonnen. In seinem neuen Roman schickt er mit Houmayoun Badii ein Alter Ego ins Rennen, einen jungen Autor, der kürzlich für seinen Debütroman ausgezeichnet wurde. Nun will er mit seinem zweiten Roman durchstarten.

»Gloria!« ist eine exzessive Reise durch das Wien der Gegenwart, aber auch durch die deutschsprachige Literaturszene. Die ersten einhundert Seiten sind donnernde Überwältigungsprosa, in deren Mittelpunkt ein Künstlerkreis namens »Neue Wiener Welle«. Yorgos, Yasmina, Ferdinand und Toni sind Teil dieses illustren Kreises, der sich beständig um sich selbst dreht, dabei aber das Chaos der Welt magnetisch anzieht.

Arad Dabiri: Gloria! Korbinian Verlag 2024. 248 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen https://www.maerzverlag.de/shop/buecher/literatur/gloria/
Arad Dabiri: Gloria! Korbinian Verlag 2024. 248 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

»Feuilleton und Boulevard: Sie alle liebten uns, sie alle hassten uns. Empörung und Bewunderung, Verehrung und Verachtung, die Extreme gingen Hand in Hand. … Wir läuteten ein neues Zeitalter der Literatur ein, wurden Kult, waren Pop: mit Mitte Zwanzig. Prosa und Lyrik, Mainstream und Nische zugleich«, heißt es auf den ersten Seiten des Romans.

Der erinnert in Zügen an Roberto Bolaños grandiosen Dichterroman »Die Wilden Detektive«, man könnte sogar verleitet sein, zu behaupten, dass Dabiri etwas mehr verbalen Aufruhr wagt. Das ist Prosa, Baby!

Nach der Hälfte aber kippt diese Geschichte in einen Taumel aus Sex, Drogen und Selbstverliebtheit, mit der der Ich-Erzähler seinen Liebesschmerz über jene titelgebende Figur betäuben will. Denn Gloria hat Homayoun verlassen und was schmerzt mehr als das beständige Nagen, nicht genug zu sein?

»Gloria!« könnte in diesem Taumel, der durch die Wiener Nachtszene führt, zum Großstadtroman anwachsen, so wie schon »Drama« einer war und von der Jury zum Österreichischen Buchpreis als solcher gewürdigt wurde. Der Roman sei aber auch genau das, was der Titel verspreche, hieß es weiter: »Großes Gossentheater, eine Schmierenkomödie über Szenekaiser und Gernegroße, über deren Sprüche und die in diesen Sprüchen verborgenen Sehnsüchte, Ängste und Abgründe.« Die Jury lobte den Roman als »Satire und Suada, ein großes, sehr bewusstes und selbstbewusstes Spiel mit dem Spiel im Spiel – und auf verspielte Art ernst.«

Arad Dabiri: Drama. Septime Verlag 2023. 240 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen http://www.septime-verlag.at/Buecher/buch_DRAMA.html
Arad Dabiri: Drama. Septime Verlag 2023. 240 Seiten. 24,- Euro. Hier bestellen.

Der neue Roman aber verliert sich in den Klischees eines verkannten iranischen Autors, der sich in der mehrheitlich weißen Mehrheitsgesellschaft und Verlagslandschaft durchbeißen muss. So wie das Leben des Protagonisten wird die Handlung zu einem »Driften, wohin auch immer.« Er reist nach Frankfurt, Berlin und München, um Verlags- und andere Literaturgespräche zu führen. In selbstzerstörerischer Manier versinkt Homayoun in Alkohol- und Drogenexzessen, taumelt zwischen Selbstgefallen und Selbstmitleid in einer Welt, von der er sich nicht verstanden fühlt.

Der Tanz am Rand des Vulkans wird zum existenziellen Motiv von Homayouns Schreiben. Seine Prosa zum Ausdruck des Aufstands jener, »die mit Starthandicaps in der Vita in diesem Land und dieser Stadt begonnen hatten. Und sich jetzt zur Wehr zu setzen hatten.«

Zunehmend verwischen aber die Grenzen zwischen Leben und Werk, so dass unklar wird, ob hier einer schreibt, um zu überleben oder lebt, weil er schreibt. Spätestens hier fällt der autofiktionale Roman auf sich selbst zurück. Nicht nur Hauptfigur und Autor werden zunehmend ununterscheidbar, sondern auch die Erfahrungen, die sie im Kultur- und Literaturbetrieb machen, die dann wiederum in die Prosa fließen, die man in den Händen hält. Von sich selbst berauscht – »ich wusste, dass ich eines Tages diese Person, nein, diese Ikone sein würde, von der alle flüsterten, von der alle wissen wollten, was sie sagt« – verlieren Hauptfigur und Roman im zweiten Teil ihre radikale Kraft.

Arad Dabiris »Gloria!« ist nichts desto trotz ein vielversprechender Text. Am Ende ein wenig arg überdreht und selbstreferentiell, aber auf eine spielerische Art erinnert das an Bolaños »Die Wilden Detektive« – nur eben auf Dope im Wien der Gegenwart. Die erste Hälfte dieser Erzählung ist ein Rausch, nachdem man sich ein gedankliches Memo anlegt, diesen Autoren unbedingt im Blick zu behalten. Da wird noch großes kommen, in »Gloria« ist das angelegt.