Comic

Preisgekrönter Yakuza-Noir

Mit »Gogo Monster« und »Sunny« entdecken gerade viele deutschsprachige Comicfans den japanischen Zeichner Taiyo Matsumoto. Der Durchbruch ist ihm aber mit »Tekkon Kinkreet« gelungen. In Japan millionenfach verkauft liegt das Epos um die Ereignisse in Tankara Town hierzulande in einer eindrucksvollen Master Edition vor.

»Ich mag Gewalt. je mehr Furcht und Grauen sie hervorruft, umso herrlicher ist sie. Wäre Gewalt vernünftig, logisch oder mitfühlend, bräuchte man sie nicht. Allein das Leid bestimmt alles«, schwärmt Yakuza Kimura für den Terror, den er und seine Bande in Takara Town verbreiten. Sie sind die Regenten der Straße, zumindest wenn man ihnen selbst glaubt, denn letztlich sind Kimura und sein Lehrmeister Suzuki nur kleine Fische im weiten und wütenden Ozean des Verbrechens. In dem räubert nämlich längst ein brutaler Hai, der mit Immobilien spekuliert und unter dem Deckmantel einer karitativen Stiftung die Stadt zu einem Vergnügungsparadies machen will.

Nun ist Tankara Town ohnehin schon kein Fleck von Unschuld, der Titel von Taiy Matsumotos »Tekkon Kinkreet« spielt auf das harte Pflaster an, das diese düstere Stadt aus Stahlbeton prägt. Hier leben auch die beiden Brüder Kuro und Shiro, in der 2008 mit dem Eisner Award ausgezeichneten amerikanischen Ausgabe einfach nur Black und White genannt. Sie sollen sich – so will es zumindest der alte Mann, den die beiden liebevoll Opi nennen – von Gangstern wie Kimura fern halten.

Aber wenn man in dieser Stadt Leuten vertraut, dann lebt man nicht lange. Also machen Kuro und Shiro, was sie wollen. Zumal sie auf der Straße leben und überzeugt sind, dass die Stadt ihnen gehört. Während Shiro von Normalität in der Schule träumt, hat sich Kuro mit seinem Schicksal als Hasardeur abgefunden. Er thront als Herr der Lüfte immer wieder über der Stadt und blickt von Hausdächern, Ampeln oder Laternen im wahrsten Sinne des Wortes in ihre Abgründe, wo Betrüger, Halsabschneider und marodierende Banden ihr Unwesen treiben. Die Perspektive der Zeichnungen folgt entweder ihrem Blick nach unten oder nimmt den Blick der anderen ein und führt hinaus dahin, wo Kuro lauert.

Gemeinsam mit seinem kleinen Bruder Shiro, der, wie er selbst behauptet, über »den stärksten Tritt im ganzen Universum« verfügt, sorgt Kuro für Ordnung im Chaos. Auf die Auslauf-Modelle der alten Ordnung, den Kimuras und Suzukis, lassen sie ihre Stücke und Prügel ebenso unbarmherzig niederregnen wie sie den beiden Sonderermittlern Fujumura und Sawada immer wieder die Hacken zeigen. Oder wie ein Vertreter der Halbwelt an einer Stelle anerkennend einräumt: »Die Lümmel haben sich mit dieser Stadt verbündet. Jedes Gebäude, jede Gasse, jede Straßenlaterne, einfach alles ist auf ihrer Seite. Gegen die beiden zu kämpfen heißt, es mit dieser Stadt aufnehmen.«

Indem die rasante Erzählung den beiden Brüdern und den Ereignissen in Tankara Town folgt, lernen wir die dunklen Ecken der Stadt kennen. Dabei erinnert dieser fulminante Comic an Alan Moores düstere Jack-the-Ripper-Historie »From Hell«. Dabei ist die viel später erschienen, da lag Matsumotos Hard-Boiled-Dystopie – zunächst in 33 Einzelkapiteln im Mangamagazin »Big Comic Spirits« und dann in drei Bänden in Millionenauflage erschienen – längst vor.

Die Produktionsweise der 1993 und 1994 gezeichneten Geschichte erklärt auch Stil und Erzählform, denn Matsumoto stand unter gehörigem Druck. In einem ständigen Wettlauf mit der Zeit musste er das nächste Kapitel mit 20 Seiten packender Handlung vorlegen. Entsprechend nutzt er die Zeichnungen oft, um Rhythmus in die Geschichte zu bringen. Es geht wie in einem Film weniger um Handlung, als um Atmosphäre – eine Eigenheit, die viele japanische Mangas aufgrund ihrer seriellen Entstehung unter Zeitdruck prägen. »Ich habe kaum geschlafen, als ich das geschrieben habe – ich musste es als wöchentliche Serie machen, also erinnere ich mich kaum«, erklärte Matsumoto dem japanischen Magazin Time Out in einem Interview. Es sei also weniger um künstlerische Anliegen als vielmehr das Berechnen von Seiten gegangen.

Zugleich konzentriert sich die Geschichte im Kern auf wenige Charaktere, weil er echte Charaktere und keine mit Klischees aufgefüllten Hüllen auftreten lässt. Das unterscheidet seine Arbeiten von den meisten Mangas, hier werden die europäischen Einflüsse in seinem Werk – die Arbeiten von Moebius, Enki Bilal und Miguelanxo Prado – sichtbar. Das erkennt man schon im markanten Auftreten seiner beiden Helden, der eine mit Schädelkette und tierischen Kopfbedeckungen, der andere mit Taucherbrille und Narbe im Gesicht. Eine wohl gesetzte Maskerade, die gleichermaßen Schutz bietet wie Ausstellungsmerkmal ist. Weil sich Matsumoto aber nicht für den größten Zeichner hält – tatsächlich unterstützt ihn oftmals seine Frau, die Mangaka Saho Tōno – ist der Stil hier oft rau und ungehobelt, seine Charakterköpfe haben zuweilen etwas Fratzenhaftes. Aber das passt zum extremen Setting. Schließlich es geht hier nicht – wie etwa in seiner deutlich feinfühligeren und emotionaleren Erzählung »Sunny« – um große Gefühle, sondern ums nackte Überleben.

Denn in Takara Town taucht plötzlich eine düstere Figur auf, die Joker-Face Kimura um ein vielfaches übertrumpft. Hebi ist Vertreter der Stiftung Kinderschloss und er hetzt den beiden ungleichen Brüdern drei seltsame Brutalos auf den Leib, die ihnen den Garaus machen sollen. Und tatsächlich wird Shiro fies erwischt und entkommt dem Tod nur knapp, was dazu führt, dass Kuro seinen Bruder in Sicherheit bringt und allein in den Entscheidungskampf gegen den skrupellosen Schlägertrupp der Kinderschloss-Bande zieht. Das ihm an Ende eine unbekannte Macht zur Seite steht, hat wiederum etwas mit seinem eigenen Erwachsenwerden zu tun; ein Thema, das Matsumotos Schaffen prägt.

Die Geschichte ist im Original im Kansai-Dialekt verfasst, der über besondere Lautmalereien und Ideophone verfügt. Verena Maser hat das in flüssige Dialoge übertragen. Die eigentliche Herausforderung aber liegt im popkulturellen Hintergrund, den Sarah Weissbeck als Redakteurin in einem Glossar entschlüsselt. Die Erzählung ist voller Anspielungen auf Kino, Literatur, Fernsehserien und Videospiele, die zwar nie wirklich wichtig sind, aber der Erzählung Tiefe und Welthaltigkeit geben. Diese Verweise sind auch der Grund, dass dieser Ziegelstein Neunte Kunst heute Kultcharakter genießt, wie Matsumoto in dem Interview mit »Time Out« erklärt: »Ich hatte lange das Gefühl, bei der Geschichte versagt zu haben. Ich war zwar voller Zuversicht gestartet, aber in den Magazinen kam sie nicht an, so dass mein Redakteur mir sagte, dass sie abgesetzt würde. Ich konnte nichts dagegen sagen, denn die Serie war tatsächlich unbeliebt. Erst später entdeckten viele Künstler, Musiker oder Filmemacher die Geschichte und begannen, sie ihren Fans zu empfehlen.«

Taiyo Matsumoto: Tekkon Kinkreet. Master Edition. Aus dem Japanischen von Verena Maser. Cross Cult 2018. 624 Seiten. 32,00 Euro. Hier bestellen.

Mit »Tekkon Kinkreet« ist Taiyo Matsumoto nach den Sportcomics »Straight« und »Zero« sowie der Magazinserie »Hanaotoko« in den neunziger Jahren der Durchbruch gelungen. Ihr sollten das eintausendseitige Tischtennis-Epos »Ping Pong« und die surreale Coming-of-Age-Saga »Gogo Monsters« folgen, die gerade bei Reprodukt erschienen ist undeinen eigenen Blick verdient, wie auch die autobiografisch motivierte Heimkinder-Serie »Sunny«, die bei Carlsen erscheint. Was sich durch all diese Arbeiten zieht ist seine offene Neugier für die Belange von Kindern und deren Perspektive.

In einem Interview, dass er mit dem Radiosender France Info anlässlich seines zweiten Besuchs beim Comicfestival in Angoulême 2019 führte, räumte er ein, dass es ihn glücklich mache, wenn er Kinder zeichne. Dabei achtet er aber streng darauf, niemals den Blick der Erwachsenen auf Kinder einzunehmen. »In meinen Arbeiten werden Kinder aus kindlichem Perspektive dargestellt, ich bleibe auf Augenhöhe der Kinder, und bin froh, dass mir das gelingt.« Dass er diesen Blick selbst in extremen Situationen hält, das beweist der grandiose Schlag in die Magengrube namens »Tekkon Kinkreet«, mit dem er der neoliberalen japanischen Leistungsgesellschaft den Spiegel vorhält.

2 Kommentare

  1. […] der achtziger Jahre arbeitet der Japaner Taiyo Matsumoto an seiner eigenen Manga-Welt. Arbeiten wie die preisgekrönte SciFi-Yakuza-Dystopie »Tekkon Kinkreet«, die auch den Weg ins Kino gefunden hat, oder die eintausendseitige Tischtennis-Oper »Ping Pong« […]

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