Literatur, Roman

Geduld als Gefängnis

Die kamerunische Schriftstellerin Djaïli Amadou Amal beschreibt in ihrem Roman »Die ungeduldigen Frauen« das Schicksal von drei Frauen, die im Norden Kameruns als muslimische Fulbe leben und unter die Räder des religiösen Zwangssystems geraten.

Wenn im traditionalistischen System der Fulbe Frauen verzweifeln, weil sie an ihnen unbekannte Männer zwangsverheiratet werden, dann raten ihnen ihre Mütter zu Geduld. Munyal, die Liebe wird schon kommen. Wenn Männer im Alkohol-, Drogen- oder Wutrausch ihre Frauen schlagen, dann appellieren ihre Schwiegermütter an ihre Geduld. Munyal, heißt es dann, die Wunden werden heilen und dein Mann sich beruhigen. Wenn Männer ihre Frauen betrügen oder Zweit-, Dritt- und Viertbräute ins Haus holen, auch dann soll die Geduld herhalten. » Geduld ist ein göttliches Gebot«, heißt es an einer Stelle. »Sie ist die erste aller Antworten. Sie ist die Lösung für alles.«

Ramla, Hindou und Safira erfahren am eigenen Leib, was es heißt, wenn dieses göttliche Gebot für alles herhalten muss. Denn die erste aller Antworten ist auch die letzte aller Antworten und damit das Totschlagargument schlechthin – im schlimmsten Fall sogar wortwörtlich. Denn als göttliches Gebot gibt es auch keine Alternative. Alles, aber auch wirklich alles ist in ihrem Namen zu erdulden. Und am Ende der Geduld wartet der Himmel, wie es in einem afrikanischen Sprichwort heißt. Die kamerunische Schriftstellerin Djaïli Amadou Amal lässt in ihrem autobiografisch fundierten Roman »Die ungeduldigen Frauen« die drei Frauen eindrucksvoll von den Geduldsprüfungen erzählen, die ihnen auferlegt werden.

Djaïli Amadou Amal: Die ungeduldigen Frauen. Aus dem Französischen von Ela zum Winkel. Orlanda Verlag 2022. 176 Seiten. 18,00 Euro. Hier bestellen.

Der 2017 in Kamerun und 2020 in Frankreich erschienene Roman war Amals internationaler Durchbruch als Autorin. Sie gewann mit dem Buch den Preis der panafrikanischen Literaturkritik, den Prix Orange du Livre en Afrique, stand auf der Shortlist des Prix Goncourt (wo sie Hervé Le Tellier und seinem Roman »Die Anomalie« unterlag) und gewann von allen nominierten Titeln den Goncourt-Schülerpreis (Prix Goncourt des Lycéens). »Es ist ein subtiles Buch, das es ermöglicht, das Thema Zwangsheirat durch das Prisma dieses bewegenden Zeugnisses zu betrachten«, sagte die Vorsitzende der Schülerjury, Clémence Nominé zur Preisvergabe.

Eine der drei Frauen, die hier Zeugnis ablegt, ist die 17-jährige Ramla, die im Norden Kameruns ein Gymnasium besucht. Sie ist eines von »um die dreißig« Kindern, die ihr polygam lebender Vater von seinen vier Frauen bekommen hat. Ramla ist in einen jungen Apotheker verliebt, der in Tunis lebt. Sie plant, nach der Schule zu ihm zu ziehen und Medizin zu studieren. Doch ihr Vater und dessen einflussreicher Bruder haben andere Pläne. Um ihre Geschäfte mit persönlichen Verbindungen zu stärken, verhökern sie die schöne Ramla an einen einflussreichen älteren Geschäftsmann. Als Zweitfrau soll sie in dessen Haushalt einziehen und bevor ihr Leben überhaupt richtig angefangen hat, werden all ihre Träume beendet. »Wenn morgen wenigstens alles vorbei wäre!«, denkt sie am Vorabend der Zeremonie. »Aber die Ehe beschränkt sich nicht auf die Hochzeit, sie dauert ein Leben lang!«

Der Roman beginnt mit den Vorbereitungen der Hochzeitszeremonie, die Ramla gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Hindou durchleben muss. Die wird zugleich an einen älteren Cousin zwangsverheiratet, da ihr Onkel keine andere Braut für seinen missratenen Sohn findet. Und vom ersten Moment des Romans an wird die Ausweglosigkeit und Misogynie der traditionellen muslimischen Lebensweise der Fulbe deutlich. Während die Männer der Gemeinschaft tun und lassen können, was sie wollen, sind die Frauen ihnen untergeordnet. »Von nun an gehört ihr euren Ehemännern, ihnen gebührt absolute Unterwerfung, so will es Allah«, heißt es da im rituellen Abschiedsgebet des Vaters an seine Töchter. Und der Onkel ergänzt mahnend: »Das Paradies einer Frau liegt zu Füßen ihres Mannes.«

Zu Füßen ihres Mannes liegt auch Hindou, kaum ist die 14-Jährige in sein Haus gebracht worden – allerdings nicht ehrfürchtig oder ergeben, sondern geschlagen und getreten. »Er springt auf, wirft mich blitzartig aufs Bett und zerrt an meinen Kleidern. Ich wehre mich, so gut ich kann. Als er mein Oberteil zerreißt, grabe ich meine Zähne tief in seine Haut. Erzieht die Hand zurück, Blut tropft herunter. Wutentbrannt beginnt er mich zu schlagen. Ich schreie, ich schlage um mich, da streckt mich ein heftiger Hieb nieder und ich falle benommen aufs Bett zurück.« Für das Mädchen gibt es aus dieser Hölle kein Entkommen. Zwar hört die ganze Nachbarschaft seine bittenden und bettelnden Schreie, aber niemand schreitet ein. Im Gegenteil, ihr Wehklagen wird ihr als Obszönität ausgelegt. Wochenlang geht das so, immer wieder wird sie geschlagen, misshandelt und brutal vergewaltigt. Die Zwangsehe ist ein Martyrium, das gesellschaftlich hingenommen wird.

Die verschiedenen Ausgabe von »Die ungeduldigen Frauen«

»Mein Mann hat zahlreiche Affären, er trinkt, nimmt Drogen und kommt immer erst spät nach Hause. Nach wie vor schlägt er mich und überhäuft mich mit Beschimpfungen, die entwürdigend und erniedrigend sind. An meinem Körper mehren sich Blutergüsse, Kratzspuren und blaue Flecke – vor den Augen der ganzen Familie, die es gleichgültig hinnimmt. Alle wissen, dass Moubarak mich schlägt, und finden es normal. Es ist ganz natürlich, dass ein Mann seine Frauen zurechtweist, beschimpft oder verstößt.«

Als Moubarak beginnt, seine Affären ins eigene Haus zu holen und damit Hindou vor aller Augen bloßstellt, wendet sie sich verzweifelt an ihre Familie. Während sie auf das Verständnis ihrer Mutter trifft, erntet sie von ihrem Vater nur Zorn. Der Patriarch stellt das Recht des Mannes, Affären zu haben, natürlich nicht in Frage und schickt seine Tochter zurück in ihr Martyrium.  Hindou versucht davonzulaufen, doch auch das gelingt ihr nicht. Schließlich tagt der männliche Familienrat, um die Ehre der Familie zu retten. Die verwandtschaftliche Nähe ihres brutalen Mannes zu ihrer Familie ist dabei nicht hilfreich. »Es ist keine Vergewaltigung. Es ist ein Liebesbeweis. … So sei die Ehe nun einmal. Beim nächsten Mal liefe es besser. Genau das bedeute eben munyal, die Geduld, von der alle sprachen. Eine Frau habe in ihrem Leben viele schmerzliche Momente durchzustehen. Was ich erlebt hätte, gehöre dazu«.

Die dritte Frau, die in Amals Roman über ihr Schicksal spricht, ist Safira, in deren Haushalt Ramla im ersten Teil des Buches als Zweitfrau einzieht. Nun erfahren wir aus ihrer Perspektive, wie es ist, nach zwanzig Ehejahren und sechs Kindern eine deutlich jüngere Frau als Konkurrentin vorgesetzt zu bekommen. »Mein Herz zieht sich zusammen. Ich bin nicht mehr die Einzige in meinem Haus. Ich bin keine Frau mehr, die geliebt wird. In Zukunft bin ich nur noch eine Ehefrau, eine von vielen. Alhadji Issa, mein Liebster, ist nicht mehr mein Geliebter.« Der eigene Schmerz wird für Safira zum Motiv, selbst auszuteilen, aber nicht gegenüber ihrem Mann, sondern gegenüber der Ramla, die sich aus ihrer Sicht in ihre Ehe gedrängt hat. Ihre Eifersucht wird zu rasenden Wut, mit der sie die junge Rivalin, die ihre Tochter sein könnte, heimlich schikaniert.

»Die ungeduldigen Frauen« ist ein eindrucksvolles Dokument, dass das Leid von Frauen in den religiös-patriarchalen Verhältnissen der Fulbe-Gemeinschaften Kameruns in all ihrer bedrückenden Vielfalt vor Augen führt. Mal poetisch, mal in erschreckend konkreten Bildern lässt Djaïli Amadou Amal in der sehr guten Übersetzung von Ela zum Winkel ihre drei Protagonistinnen von ihren qualvollen Zwangsehen berichten. Sie gibt ihnen das Wort, lässt sie aufbegehren und rebellieren. Den Stolz der Frauen lässt sie in den Worten aufscheinen, ihre Würde in den prächtigen Gewändern der Fulani-Kultur, der sie angehört.

Feministische Literatur von Autor:innen mit Wurzeln in Afrika

In der Zeichnung der drei Frauen hat sie jeweils autobiografische Erfahrungen verarbeitet. Ramlas Schicksal, glücklich versprochen zu sein, dann aber an einen vermögenden und wesentlich älteren Mann zwangsverheiratet zu werden, kennt sie aus ihrer ersten Ehe, als sie selbst mit 17 Jahren zwangsverheiratet wurde. Hindous Martyrium hat sie in ihrer zweiten Ehe selbst erlebt, als sie mit einem Mann verheiratet war, der sich »als brutal, gewalttätig und bedrückend [erwies]. Diese Ehe war genau wie in meinem Roman, sehr hart, ohne Platz für die Frau«, wie sie in einem Interview mit der französischen Zeitung Le Temps verriet. Kein Wunder, dass dieser Teil mit der größten Wucht daherkommt. In Dadiyel, der Mutter von Ramla und Hindou und vierten weiblichen Hauptfigur in diesem Roman, hat sie ihre eigene Erfahrung als Mutter verewigt, die die herrische Gewalt ihres Mannes nur so lange erträgt, bis sie die eigenen Töchter trifft.

Amals hat sich wie viele andere, auf dem afrikanischen Kontinent geborene Autor:innen dem Schicksal der Frauzen verschrieben. Man denkt bei ihren weiblichen Figuren an Tsitsi Dangerembga und ihre Protagonistin Tambudzai Sigauke, an das Waisenmädchen Thula in Imbolo Mbues Roman »Wie schön wir waren«, an Nana Oforiatta Ayims Alter Ego Maya Mensah, Kayo Mpoyis Mai, Nadifa Mohammeds Kawsar oder Hirut, Maaza Mengistes weibliche Hauptfigur, die vom Abessinenkrieg aus weiblicher Perspektive erzählt.

Amals Schreiben ist immer auch ein sozialkritisches Schreiben. Ihr aktuelles Buch »Coeur du Sahel«, das für den Prix Relay des Voyageurs Lecteurs nominiert ist, handelt von einer Frau, die versucht, in diesem Land auf eigenen Füßen zu stehen. Vor Jahren hat die Autorin in Kamerun den Verein »Femmes du Sahel« gegründet, der sich für die Ausbildung von Frauen und Mädchen in der Sahelzone einsetzt und Aufklärungsarbeit zum Thema Zwangsehe und Gewalt betreibt.

Die französischen Ausgaben der aktuellen Erfolgstitel von Djaïli Amadou Amal

In »Die ungeduldigen Frauen« zeigt sie eindrucksvoll, wie Frauen als Mütter, Schwiegermütter, Schwägerinnen und Schwestern dazu beitragen, dass männliche Gewalt gegenüber Frauen immer wieder als kulturelle Normalität verharmlost und heruntergespielt wird. Als Hindou ihren Fluchtversuch damit rechtfertigt, dass ihr ihre Familie nie geholfen, sondern sie immer wieder zu ihrem brutalen Mann zurückgeschickt habe und das nur einmal mehr getan hätte, entgegen ihr ihre Tante streng: »Natürlich hätten wir dich zurückgeschickt. Du bist weder die erste noch die letzte Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird! Das ist noch lange kein Grund, einfach so zu verschwinden! Wir hätten bestimmt eine Lösung gefunden. Du bist kein vom Baum gefallenes Blatt, das dem Wind ausgeliefert ist.«

Dem Wind sind die drei Frauen in diesem Roman nicht ausgeliefert, dem göttlichen Gebot der Geduld aber schon. Sie sind gezwungen, sich demütig und duldsam den Männern zu unterwerfen und Tradition, Aberglauben und religiösen Interpretationen zu folgen. Die schmerzhaften Konsequenzen führt dieser Roman aus dezidiert feministischer Perspektive eindrucksvoll, schonungslos und perspektivverändernd vor Augen.