Film

Land der streunenden Hunde

Den wichtigsten Film zur Situation in der Ukraine präsentieren Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko. Ihr Film »Shidniy Front« (Encounters) erzählt ungeschönt von der grausamen Wirklichkeit des Krieges in der Ukraine und von den kleinen rettenden Momenten zwischen den Einsätzen. Yevhen Titarenko ist bereits seit 2014 mit dem Krieg konfrontiert, denn seitdem unterstützt er als Freiwilliger das Sanitätsbataillon Hospitaliter. Damals war seine Einheit mit den Truppen im Donbass aktiv, heute hilft sie überall dort, wo sie gebraucht wird.

Titarenko und zwei andere Männer seiner Brigade haben bei ihren Einsätzen direkt hinter den Linien oft Kameras mitlaufen lassen. Die Bilder, die dabei entstanden sind, bilden die rohe, brutale und grausame Seite dieses augenöffnenden Filmes. Sie dokumentieren den gefährlichen Einsatz unter aktivem Beschuss und halten den existenziellen Kampf um das Leben dutzender Soldat:innen fest. Die Aufnahmen zeigen aber auch die Hinterlassenschaften des Krieges, die verlassenen Gräben und zerstörten Kriegslandschaften an der Front. In einer Szene kommt die Einheit an einer Rinderanlage vorbei. Dutzende aufgeblähte Kadaver liegen zwischen Kühen, die bis zum Hals im Mist stehen und in diesem wortwörtlich langsam versinken. Eine Szene wie aus Dantes Inferno.

»Shidniy front« von Vitaly Mansky, Yevhen Titarenko | © Vertov

Diese gesammelten Live-Bilder aus dem Krieg erinnern an embedded journalism. Nur das Journalisten bei der Auswertung von Bildern darauf achten, dass sie den Zuschauer:innen oder Leser:innen zumutbar sind. »Shidniy Front« aber enthält Bilder, die nahezu unzumutbar sind, die verbrannte Körperteile neben Bombenkratern und Soldaten mit zerfetzten oder weggebombten Gliedmaßen zeigen. Es sind Szenen, die an »Apokalypse Now« von Francis Ford Coppola erinnern, nur dass sie echt und gegenwärtig sind. Das ist selbst im Encounters-Wettbewerb, der eigens für »ästhetisch und strukturell wagemutige Arbeiten« gemacht wurde, ein Grenzfall.

Unterbrochen werden die Bilder immer wieder von Aufnahmen, die Vitaly Mansky von den Männern der Einheit gemacht hat, wenn sie sich zwischen den Kämpfen im Westen des Landes getroffen und ihre Geschichten erzählt haben. Hier öffnet sich der Film nicht nur für die kleinen ausgelassenen Momente, sondern blickt auch hinter die Kulissen dieses Konflikts. So wird deutlich, wie dieser Konflikt auch zwischen den Generationen entflammt ist und wie die russischsprachige Propaganda insbesondere bei den Alten wirkt. In den Gesprächen begreift man aber auch, warum Städte wie Charkiw oder Donezk historisch bedingt russisch dominiert sind, im Umland aber bis an die Grenze heran eher Ukrainisch gesprochen wird.

Der Wechsel zwischen den Bildern aus den Einsätzen im Osten des Landes und der Auszeiten im Westen veranschaulicht das Wechselbad der Gefühle, in dem sich die Männer und Frauen dieser Einheit befinden. Dass man bei den Bildern aus der Ostukraine nie weiß, ob diese 2014, 2022 oder irgendwann dazwischen entstanden sind, zeigt, wie lange dieser Krieg schon mit der gleichen vernichtenden Erbarmungslosigkeit tobt und macht deutlich, wie lange der Westen diese Wirklichkeit ignoriert hat. Deshalb braucht es diese schonungslosen Bilder, die uns die Unmenschlichkeit und Grausamkeit dieses Krieges vor Augen zu führen.

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4 Kommentare

  1. […] Erzählweise im Gedächtnis, die Dokumentationen »Le Mura Di Bergamo« von Stefano Savona und »Shidniy Front« von Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko betreiben mit ihren radikalen Bildern vom Tod an ganz unterschiedlichen Fronten – Corona-Pandemie […]

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