Drei Teenager-Girls fliegen nach Kreta, um dort den Sommer ihres Lebens zu verbringen. Sie trinken, tanzen und haben Sex, aber nicht für jede läuft es wie geplant. »How To Have Sex«, das Debüt der britischen Regisseurin Molly Manning Walker, überzeugt in seinen Zwischentönen und ist von verblüffender Reife.
Direkt nach ihren Prüfungen haben sich Tara, Skye und Em in einen Flieger nach Kreta gesetzt, wo sie es eine Woche lang krachen lassen wollen. Vor allem Tara, eindrucksvoll gespielt von Mia McKenna-Bruce (»The Witcher«) hat sich vorgenommen, den Urlaub in vollen Zügen zu genießen. Sie will endlich ihr erstes Mal haben und wissend mitreden können, wenn sich Skye und Em dem Sex-Talk hingeben. Entsprechend aufgekratzt ist sie in den ersten Momenten von Molly Manning Walkers Kinodebüt, das beim Filmfestival in Cannes im kleinen Wettbewerb Un Certain Regard den Hauptpreis gewann.
Das liegt vor allem an der Unmittelbarkeit, mit der einen dieser Film mit seinen jungen Figuren konfrontiert. Vom Lifestyle über Habitus und Sprache bis hin zur Musik – hier stimmt verdammt viel. Der Film wirft einen zunächst mitten hinein in das Partygetümmel. Nach Ankunft im Pauschalhotel werfen die Mädchen ihre Taschen in die Ecke, holen Alkohol und Schminke raus, werfen sich in ihre knappsten Klamotten und ziehen los in die Nacht, in der Alkohol in Strömen fließt, Lichter blitzen und Bässe wummern. Neugierige Blicke fliegen hin und her, es wird geflirtet, was das Zeug hält, das leben ist kurz, die Nacht lang.
Am nächsten Morgen, als Skye (Lara Peake) und Em (Enva Lewis) noch ausnüchtern, sitzt Tara schon auf dem Balkon, als nebenan der witzige Blondschopf Badger (Shaun Thomas) auf den Balkon tritt. Beide kommen sofort ins Gespräch, sind irgendwie auf einer Wellenlänge, aber immer, wenn sie sich nahe kommen könnten, kommt etwas dazwischen. Ungelenk nähern sie sich immer wieder an, tolpatschig lassen sie das, was zwischen ihnen sein könnte, fahren.
Eine exzessive Poolparty im Hotel treibt die beiden auseinander und Tara läuft in die Arme Badgers lässigem Freund Paddy (Samuel Bottomly). Eine neue Chance, ihre Jungfräulichkeit loszuwerden, die Enttäuschung über Badger und Paddys Überredungskünste lässt sie zur Tat schreiten. Ihr Tête-à-tête am Strand verläuft allerdings wenig romantisch, was bei Tara Spuren hinterlässt. Fortan fühlt sich nichts mehr richtig an. Die Eindrücke und Ereignisse wühlen in ihr und verändern ihren (und unseren) Blick auf das bunte Treiben in der Partyzone.
»How To Have Sex« ist starkes Indie-Kino und besticht in seiner kühnen, nuancierten und immer wieder auch poetischen Filmsprache. Die Kamera von Nicolas Canniccioni fängt das Dasein in der Partyzone in eindrucksvollen Bildern ein. Am stärksten ist der Film dann, wenn er die Kamera einfach durch die Menge fahren lässt, wenn er das Zucken der Körper, das Leuchten der Gesichter und die Lust in den Blicken einfängt, während sich laute Beats darüber legen. Und zugleich blitzt permanent die dunkle Kehrseite dieser Partyhölle durch, wo permanent die Gefahr von Drogen, Absturz und sexuellen Übergriffen lauert.
So vermisst die 1993 geborene Molly Manning Walker mit ihrem jungen und mitreißenden Ensemble den Raum der Annäherung und des sexuellen Erwachens. Dabei fängt sie nicht nur die Momente der Extase in eindrucksvollen Bildern ein, sondern auch die um sich greifende Sprachlosigkeit, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen.
Hier beeindruckt insbesondere die junge Hauptdarstellerin, die beide Zustände so treffend vermittelt, dass man innerlich auf die Knie geht. Dafür braucht sie keine großen Gesten oder überwältigenden Szenen, sondern nur den Blick in ihr Gesicht, in dem jede Nuance von Erwartung und Enttäuschung, Vorfreude und Schmerz abzulesen sind. Bei den Europäischen Filmpreisen war Mia McKenna-Bruce aufgrund ihrer facettenreichen Performance für den Darstellerpreis nominiert, musste sich dort aber Sandra Hüller geschlagen geben. Von der britischen Schauspielerin wird man aber ganz sicher noch hören, mit diesem Film hat sie die Tür in die erste Liga der Filmwelt weit aufgestoßen.
Molly Manning Walker, die auch das Drehbuch für ihr Regiedebüt geschrieben hat. wurde bei den Europäischen Filmpreisen als beste Neuentdeckung von der Internationalen Filmpresse (Prix Fipresci) ausgezeichnet, setzte sich dabei unter anderem gegen das hochgelobte Debüt »20.000 Especies De Abejas« der baskischen Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren durch, dessen Kinderdarstellerin Sofia Otero bei der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle erhielt.
Molly Manning Walker gelingt es in ihrem eindrucksvoll emphatischen Regiedebüt, das authentische Bild einer Generation zu zeichnen, die in in einer übersexualisierten Welt fremdgesteuert bestimmten Vorstellungen nachläuft, während sie sich eigentlich nach Intimität und Geborgenheit sehnt.