Die fünf besten Bücher für Sachbuch-Leser:innen reichen vom Porträt einer aufsässigen kulturellen Bewegung über eine Kulturgeschichte des reaktionären Denkens, der Analyse von Putins Netzwerken und dem Erwachsenwerden am Ende der Geschichte bis hin zu einem Museumsbesuch zwischen zwei Buchdeckeln.
Die Preise, die diese bislang ungeschriebene Geschichte der schwarzen Emanzipationsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhalten hat, gehören zu den wichtigsten, die ein solches Buch erhalten kann. Saidiya Hartmans Porträt »Aufsässige Leben, schöne Experimente« hat den National Book Critics Circle Award in Criticism, den PEN/John Kenneth Galbraith Award for Nonfiction und den Judy Grahn Award for Lesbian Nonfiction gewonnen, zahlreiche Bestsellerlisten gerockt und zu einer gigantischen Eloge im New Yorker geführt. Darin stellt die Professorin für afroamerikanische Literatur und Kulturgeschichte Frauen wie Edna Thomas, Ida B. Wells, Olivia Wyndham und Eleanora Fagan alias Billie Holiday, die sich ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert gegen die Unfreiheiten ihrer Zeit stemmten. In der Auseinandersetzung mit der Frage nach einem freien Leben wählten viele junge schwarze Frauen nicht alltägliche Lebensformen abseits des bürgerlichen Diktats der Anständigkeit und damit auch außerhalb der gesetzlichen Grenzen. Hartman blättert kenntnisreich Geschichte auf und lässt – mithilfe ihrer kritischen Fabulierkunst – ganze Biografien vor dem inneren Auge entstehen, die von einer aufsässigen kulturellen Bewegung erzählen, die in den »schönen Experimenten« mit Sehnsucht und Verlangen, Lust und Begehren ihre eigene Definition von Freiheit findet.
Gibt es eine Grenze zwischen Traditionalismus, reaktionärem Denken und Faschismus, die man benennen und genau verorten, die als Maßstab für politisches und zivilgesellschaftliches Handeln herangezogen werden kann? Diese Frage beschäftigt angesichts rechtskonservativer Wellen, religiös-autoritärer Staatschefs, eskalierender und manipulierter Debatten sowie seltsam rechtsdrehender und antimoderner Buchpreisautoren viele (gesellschafts)politisch Interessierte. Der Schriftsteller Karl-Heinz Ott bietet in seiner facettenreichen Studie »Verfluchte Neuzeit« viele Anhaltspunkte, um sich mit der reaktionären Wut oder besser gesagt den Abgründen der Gegenwart und deren intellektuellen Fundamenten auseinanderzusetzen. Dabei gräbt er tief in der Geschichte des lauten Leidens der intellektuellen Bewahrer und zeigt, wie die rückwärtsgewandten Denker von Charles Baudelaire bis zu Michel Houellebecq den gefühlten Nihilismus ihrer jeweiligen Gegenwart zum Anlass nahmen, das Hohelied auf die gute alte Zeit anzustimmen, und arbeitet deren Einfluss auf die Bushs, Trumps und Tellkamps dieser Welt heraus. Dass Putin und dessen Vordenker Alexander Dugin in diesem Buch fehlen, ist zweifellos eine Schwäche, der man mit der parallelen Lektüre von Paul Masons »Faschismus. Und wie man ihn stoppt« geschickt ausweichen kann, da der britische Intellektuelle darin auch über die ideologischen Vordenker der Neofaschisten unserer Zeit informiert.
Catherine Beltons fulminante Recherche »Putins Netz« setzt sich dezidiert mit Wladimir Putin und seinem Aufstieg vom Geheimdienstler zum unantastbaren Kremldespoten auseinander. Im englischsprachigen Raum war diese eindrucksvolle Ergründung der inneren und äußeren Zirkel von Putins Machtsystem auf allen Bestsellerlisten zu finden und hat die Debatten um die Russlandpolitik geprägt. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der Financial Times zeigt in ihrem politischen Thriller auf, wie der ehemalige Geheimdienstler Putin seine politische Karriere systematisch auf Betrug, Korruption, antidemokratische Maßnahmen und Terror innenpolitisch stabilisiert hat. Belton lässt unzählige Akteure aus Putins Umfeld sprechen, zeigt die wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen von »Putins Netz« – bis in den Westen hinein – auf und führt den gezielten Umbau Russlands zu einer autoritären Kleptokratie vor Augen. Seit Anna Politkowskaja hat niemand die erbarmungslose Machtpolitik des obersten Russen derart genau und konzis auseinandergenommen wie die britische Journalistin.
Hierzulande gerät gern mal aus dem Blick, dass der Zusammensturz der sozialistischen Welt auch in zahlreichen anderen Gesellschaften unmittelbare Konsequenzen hatte, die tief in die Privatleben eingriffen. Die in der albanischen Hauptstadt Tirana geborene und an der London School of Economics lehrende Lea Ypi beschreibt in ihrem mitreissenden Memoir »Frei«, was das Ende des Ostblocks für sie und ihre Familie in Tirana für Folgen hatte. Bemerkenswert an diesem ernsten, aber nie ironiefreien Blick auf die Geschichte aus subjektiver Perspektive sind vor allem die Überlegungen über die verschiedenen Dimensionen von Wirklichkeit und Wahrheit, die die Autorin mit Blick auf die familiäre Geschichte, auf politische Strukturen und wirtschaftliche Entwicklungen, auf Hoffnungen, Erwartungen und Realitäten entwickelt. Zugleich erzählt dieser schillernde und vibrierende Text unheimlich viel über das Aufwachsen in den 80ern in einer isolierten Gesellschaft und dem erwartungsvollen Aufbruch einer Gesellschaft nach der Öffnung. Lea Ypi erzählt nicht nur vom Erwachsenwerden am Ende der Geschichte, sondern von der eigenen Zeugenschaft dieser Geschichte und wie sie das Selbst formt.
Es ist fast genau zehn Jahre her, da kam man um den fest eintausend Seiten zählenden Wälzer »Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten« des britischen Historikers und ehemaligen Direktors des British Museum Neil MacGregor kaum vorbei. In dessen Fussstapfen tritt nun Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums in München mit seinem ebenfalls voluminösen, reich bebilderten und informativen Buch »Die Welt der Technik in 100 Objekten«. Das ersetzt zwar nicht den Besuch des Deutschen Museums, holt 100 zentrale Objekte (und zahlreiche zusätzliche Hintergrundinformationen und Bilder) aus dem Haus aber in dieses mobile Buchobjekt. Die Reise beginnt mit der ersten gedruckten und bebilderten Himmelsbeschreibung und endet beim Covid-19-Impfstoff von Biontec, dazwischen wird man Zeuge vieler technischer Revolutionen, die unser leben bis heute prägen. Und man erfährt von höchst unterhaltsamen Skurrilitäten – der Rumpler Tropfenwagen galt beispielsweise als erstes Auto aus dem Windkanal und bekam daher den werbeträchtigen Beinamen »Flugzeug für die Straße« – die aus verschiedenen Gründen scheiterten und die Geschichte der Technik auch als eine Geschichte grandiosen Scheiterns erzählen.
[…] Kritische Blicke auf Geschichte und Gegenwart […]
[…] Geheimdienstroman in den Roman einer Ehe, bei dem Leser:innen mit Anspielungen auf Shakespeare, Baudelaire oder Yeats in grundsätzliche Fragen des Lebens […]