Gesellschaft, Sachbuch

Politik als Mondmission

Marianna Mazzucato hat ein Buch darüber geschrieben, was wäre, wenn die Innovationskraft, die die Menschheit vor 50 Jahren auf den Mond gebracht hat, auf die Herausforderungen unserer Gegenwart angewendet würde. »Mission« ist ein Buch, nach dem diese unruhigen Zeiten verlangen.

Im Krisenherbst 2022 wird offensichtlich, dass Deutschland eine umfassende ökonomische Transformation benötigt. Sie umfasst mehrere Dimensionen:

  • Der Wohlstand Deutschlands beruht auf den technologischen Innovationen der zweiten Welle der Industrialisierung: Chemie, Maschinenbau und Automobilität. Im 21. Jahrhundert zeigt sich jedoch, dass der volkswirtschaftliche Erfolg und das damit einhergehende Wohlstandsversprechen, die auf Technologien des 19. Jahrhunderts beruhen, endlich ist. Ganz offensichtlich werden diese Business-Modelle nicht die Erfolgsgaranten für die zweite Hälfte des 21. oder gar für das 22. Jahrhundert sein.
  • Auch der ökonomische Erfolg der Bundesrepublik der letzten drei Dekaden ist mit dem 24. Februar 2022 an sein Ende gekommen. Bis dahin hatte Deutschland die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik an die USA, die Energiepolitik an Russland und das wirtschaftliche Wachstum an China outgesourct. Nun präsentieren diese Staaten die Rechnung und sie ist sehr teuer. Es war zudem ein Modell, das auf Gier und Ausbeutung des Planeten beruhte. Wir wissen: Rohstoffe, Energie und Lieferketten werden in Zukunft teurer sein. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat zudem die bestehende Ausgestaltung der Globalisierung in Frage gestellt. Eine De-Globalisierung ist aber weder ökonomisch noch gesellschaftlich eine Lösung für die ökonomische Entwicklung Deutschlands. Wie sieht eine faire, aber auch eine resiliente Form der Globalisierung bzw. eine Aufgabenteilung innerhalb Europas aus?
  • Finanz- und währungspolitisch hat Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten in den letzten beiden Jahrzehnten übermäßig vom Euro profitiert. Im Zeitraum von 1999 bis 2017 konnte die Bundesrepublik dank der Euro-Einführung rund 1,9 Billionen Euro mehr erwirtschaften, als es unter der D-Mark gewesen wäre. Die rot-grünen Strukturreformen des Arbeitsmarkts der Jahre 2003 bis 2005 haben den Trend verstärkt, sind aber nicht Grundlage des Erfolgs. Gleichzeitig fiel der währungs- und finanzpolitische Druck zu Zeiten von D-Mark, Francs, Pfund und Lira weg, der Deutschland zu permanenten ökonomischen Innovationen zwang. Die deutsche Wirtschaft ist in großen Teilen innovationsavers geworden.
  • Die Stärke des Euros hat zu einer falschen Gewissheit der eigenen Stärke und zur Behäbigkeit der deutschen Wirtschaft geführt. Abzulesen etwa bei der Digitalisierung. Laut eines Rankings des European Center for Digital Competitiveness (ECDC) vom September 2021 fiel Deutschland in der digitalen Wettbewerbsfähigkeit erneut zurück, nunmehr auf den vorletzten Platz unter den Staaten Europas. Lediglich Albanien schnitt noch schlechter ab. Digitalisierung ist in Deutschland immer noch »Neuland«, während es für andere Staaten längst zum gelobten Land geworden ist.

Der Klimawandel verlangt zudem einen raschen, CO2-freien Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft. Die ökologische Transformation ist ein Teil einer umfassenden ökonomischen Transformation Deutschlands, sie ist aber nicht der Beginn, sondern Mittel und Ziel. Zugleich wissen wir, dass die ökologische Transformation in erster Linie eine ökonomische Transformation ist. Ohne eine zukunftsfeste Ökonomie ist der klimaneutrale Umbau Europas nicht zu leisten.

Der Klimawandel verlang schnelle und effektive Antworten | Foto: Markus Spiske via pexels.com

Aus dem ökonomischen Dreikampf Eingangs des 20. Jahrhunderts zwischen Großbritannien, den USA und Deutschland ist Anfang des 21. Jahrhunderts ein unübersichtlicher Wettbewerb geworden. Noch scheint Europa bei Maschinenbau, Chemie und Automobilität gut aufgestellt zu sein, bei den Technologien des 21. Jahrhunderts – Digitalisierung, Internet of Things, Gen- und Zelltherapie – machen die USA und China das Rennen unter sich aus. Es sind Rennen, von denen es heißt, es gäbe keinen dritten Platz.

Die deutsche Wirtschaft hat zweifellos ihre Stärken. Eine kooperative Kultur von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen und eine Kombination von sehr gut ausgebildeten Arbeitskräften, Forschung und Entwicklung, in der sich Theorie und Praxis verschränken. Diese Bedingungen erhielten eine Vielzahl industrieller Kerne, die sich verstreut in ganz Deutschland finden und die in den Hidden Champions ihren Ausdruck finden. Die exportstarke Wirtschaft ist Grundlage für den deutschen Wohlstand, sie wird jedoch aufgrund der Energiekrise in ihrer Existenz bedroht. So jedenfalls das Fazit einer Analyse der Forschungsabteilung der Deutschen Bank. Unter dem Titel »Energiekrise trifft Industrie ins Mark« schreibt Senior Economist Eric Heymann: »Wenn wir in etwa zehn Jahren auf die aktuelle Energiekrise zurückblicken werden, könnten wir diese Zeit als Ausgangspunkt für eine beschleunigte Deindustrialisierung in Deutschland betrachten.«

Solche Zeiten verlangen Bücher wie »Mission – Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft«. Mariana Mazzucato beschreibt darin, wie sich Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft auf den Weg machen können, eine aktive Form des Kapitalismus zu gestalten. Dieser Kapitalismus funktioniert anders als jene Ausformung der letzten vier Dekaden, die sich ungeregelt und ungehemmt zeigte. Er verlangt ein anderes Staatsverständnis als das neoliberale Modell mit seiner Vorstellung vom Nachtwächterstaat, der die öffentliche Sicherheit gewährleistet, das Eigentum schützt und sich ansonsten aus fast allen Lebensbereichen zurückzieht. Bei Mazzucato steht ein aktiveres, selbstbewussteres und wirksameres Selbstverständnis des Staates im Zentrum. Ein Staat, der nicht nur in Krisensituationen – aber auch dann – über eine entsprechende Handlungsfähigkeit verfügt. Nicht reaktiv, sondern proaktiv. Nicht weniger Staat ist die Losung, so die britisch-italienische Wirtschaftswissenschaftlerin, sondern ein Staat mit Gestaltungsanspruch und -fähigkeit. So gilt es auch, so die Wirtschaftswissenschaftlerin, in die »Muskelmasse« des Staates zu investieren.

Mariana Mazzucato : Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum. Aus dem Englischen von Ursel Schäfer. Campus Verlag 2023. 304 Seiten. 18,- Euro. Hier vorbestellen.

Bekannt wurde Mariana Mazzucato im Jahr 2014 mit ihrem Buch »Das Kapital des Staates – Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum«, das im kommenden Jahr neu aufgelegt wird. Darin widerspricht sie der gängigen Vorstellung, dass nur der private Sektor Innovationen vorantreibe, während der Staat träge und innovationsavers sei. Stattdessen sei es stets so gewesen, dass »bei den meisten radikalen, revolutionären Innovationen, die den Kapitalismus vorangetrieben haben, von Eisenbahnen über das Internet bis aktuell zur Nanotechnologie und Pharmaforschung, die frühesten, mutigsten und kapitalintensivsten unternehmerischen Investitionen vom Staat kamen.«

Ein Beispiel aus der jüngsten Zeit sei etwa Apple, deren Must-Have-Gadgets Technologien verwenden, die von der Öffentlichen Hand finanziert wurden. Steve Jobs nutzte sein Genie und Designverständnis, um aus vorhandenen, vom Staat finanzierten Technologien Produkte zu machen. Ohne den Staat und seine Investitionen hätte Jobs niemals jene Grundlagen vorgefunden, um daraus iPod, iPad, iPhone etc. zu produzieren. Dass der Staat weiter mit ausreichend hohen Investments den Fortschritt vorantreibt, sich also als unternehmerischer Staat zeigt – darauf verweist auch der Titel des englischen Originals »The Entrepreneurial State: Debunking public vs. private sector myths« –, ist der Appell der Autorin. Nur so können Firmen sich bei zukünftigen Forschungsergebnissen bedienen und es so die Apples der Zukunft geben. Unternehmen finanzieren mit ihren Steuern die Grundlagen für ihre eigenen zukünftigen wirtschaftlichen Erfolge mit. Daran sollten sie sich bei ihren nächsten findigen Versuchen erinnern, neue Steuersparmodelle zu entdecken.

Mazzucato macht vier wesentliche Quellen für einem aus dem Ruder gelaufenen Kapitalismus ausmachen: das kurzfristige Denken auf dem Finanzsektor, die Finanzialisierung der Wirtschaft, die Klimakrise und ein träger oder überhaupt fehlender Staat. Märkte sind nicht die Ergebnisse individueller Entscheidungen, sondern werden über Regeln, Regulierungen und Normen der einzelnen wertschöpfenden Akteure gestaltet. Daher muss es das Anliegen des Staates selbst sein, Märkte explizit mitzugestalten. »Mission« ist ein Plädoyer für die Veränderung des Staates, um ehrgeizige Resultate zu erzielen. Der Staat muss sich selbst in eine innovative Organisation, um die Wirtschaft zu beleben.

Der Staat kann dies, das Apollo-Programm ist dafür das beste Beispiel. Der Flug zum Mond war Anlass, Prozess und Ziel eines ambitionierten Staats. Dieses Programm sollte darauf abzielen, »quer durch die Gesellschaft für katalytische Reaktionen zu sorgen, wozu er nicht zuletzt der Wirtschaft ein besserer Partner werden müsste – indem er einen Beitrag dazu leistet, den Wandel auf die gesellschaftlichen Herausforderungen hin auszurichten, indem er Unternehmen belohnt, die den Willen zur Mitarbeit in diese Richtung an den Tag legen und indem er die hochriskanten Anfangsinvestitionen aufbringt, welche die Realwirtschaft in der Regel scheut.« Aus dem Staat als Kreditgeber letzter Instanz wurde ein aktiver Investor, der von den Früchten dieser Investitionen profitieren wollte.

Mariana Mazzucato: Mission. Auf dem Weg zu einer neuen Wirtschaft. Aus dem Englischen von Bernhard Schmid. Campus Verlag 2021. 301 Seiten. 26,- Euro. Hier bestellen.

Sechs Aspekte des Apollo-Programms arbeitet Mazzucato dabei als wesentlich heraus:

  1. eine von starkem Zweckbewusstsein erfüllte Vision;
  2. Risikofreudigkeit und Innovation;
  3. organisatorische Dynamik;
  4. Zusammenarbeit und Spill-Over-Effekte über mehrere Sektoren hinweg;
  5. langfristige Horizonte und eine auf Resultate fixierte Budgetierung und
  6. eine dynamische Partnerschaft zwischen öffentlichem und privatem Sektor.

Wir wissen, welche Spuren die drei Astronauten Neil Armstrong, Edwin »Buzz« Aldrin und Michael Collins im kollektiven Gedächtnis der Menschheit hinterlassen haben. Apollo 11, die erste Mission des Apollo-Programms, die auf dem Mond landen sollte, war das Symbol weltweiter Hoffnungen, etwas »Außerirdisches« leisten zu können. Dabei war das Programm nicht vor Rückschlägen gefeit. Bei Apollo 1 brach am 27. Januar 1967 bei Bodentests ein Feuer aus, bei dem die drei Astronauten Gus Grissom, Ed White und Roger Chaffee ums Leben kamen. Innovationen ergeben sich stets aus Versuch und Irrtum. Auf Rückschläge, Unfälle und Niederlagen müssen die Verantwortlichen mental, politisch und gesellschaftlich vorbereitet sein, sonst hemmt die Angst vor dem Scheitern die Innovation an sich und damit die sich daraus ergebenden Lernprozess. Grundlage dafür ist ein gesellschaftlicher Konsens, der die Mission und ihre Durchführung rechtfertigt. Wir wissen heute, dass die Aufgabe des Apollo-Programms – trotz der Katastrophe von Apollo 1 – keine Option gewesen wäre.

Der Erfolg von Apollo beruhte auf Veränderungen in der Organisation. Die NASA setzte zusehends auf Agilität und Flexibilität. Den Führungsspitzen wurden die Ziele vorgegeben, die Umsetzung dann an Abteilungen und Zentren delegiert. Die NASA bildete ein hierarchisches Management aus, das Ausführung und Risiko dezentralisierte und damit wieder enthierarchisierte. Letztlich zeigt der Misserfolg von Apollo 1 und der Erfolg von Apollo 11, dass Organisationen und Menschen Lösungen finden, die experimentierfreudig mitmischen wollen und ihre eigenen Wege gehen können, und nicht, indem man sie auf mutmaßlich gute Lösungen festlegt und auffordert, diese dann zum Funktionieren zu bringen. Die wichtigste Botschaft der Autorin dazu: »Organisatorische Innovation ist sowohl notwendiger Treibstoff für Missionen als auch ihr Resultat.«

Innovation setzte sich aber auch an anderen Stellen fort. Die klare Zielsetzung ohne jede Einschränkung der Experimentierfreudigkeit für die Beteiligten regte Kreativität und Gestaltungskraft an – »Big science meets big problems«. Unsere elektronischen Geräte und digitale Welten des Alltags sind Ergebnisse der Innovationen der 60er Jahre, Apollo war der Beginn unserer IT-Revolution. Die Apollo-Missionen waren das Ergebnis interdisziplinärer und intersektoraler Innovationen. »Missionen setzen auf die Willigen – Organisationen aus allen Bereichen der Wirtschaft, die zur entsprechenden Zusammenarbeit bereit sind.«

Welche gesellschaftlichen Transformationen braucht es? | Foto: Romain Kamin via pexels.com

Die intersektorale Partnerschaft von Wirtschaft und Staat in den 1960er Jahre sind für Mazzucato die Blaupause für die anstehenden gesellschaftlichen Transformationen, seien es unsere Städte, unsere Sozialversicherungssysteme oder der ökologische Umbau unserer Wirtschaft. Mit dem Spirit der Mondflug-Programms könnten auch heute die größten aktuellen Herausforderungen wie Klimawandel, Energiekrise und Pandemien angegangen werden. Eines jedoch muss bedacht werden. Der Autorin erscheint es leichter, einen Konsens für rein technologische Missionen wie etwa das Apollo-Programm zu entwickeln als für gesellschaftliche Herausforderungen wie etwa den Klimawandel, die auf mehr gesellschaftlichen Widerstand stoßen. Eine Vision ist das eine, eine dazugehörende Auseinandersetzung mit den Bürger:innen das andere. Bei Missionen mit gesellschaftlichem Charakter, wie etwa grünes Wachstum, die Zukunft der Mobilität oder Digitalisierung, erscheint es der Autorin als eminent, von Anfang an die verschiedensten Stimmen und Perspektiven zu hören. Nur so können die Implikationen einer Mission für die Normalbürgerinnen und -bürger erfahren werden. Dieser Prozess, dies sei klar, werde auf keinen Fall harmonisch verlaufen. Ohne Konflikt und öffentliche Debatte wären viele Innovationen, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger im positiven Sinne von Grund auf verändert haben, nicht zustande gekommen.

Was benötigt aktive Innovationspolitik, die sich um diese gesellschaftlichen Probleme kümmern möchte? Mariana Mazzucato definiert dazu sieben Essentials:

  1. Alles staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Handeln muss einem für die »Gemeinschaft als Ganzes« geschaffenen Wert dienen.
  2. Märkte sollten die Schaffung dieser Werte befördern. Insbesondere staatliche Institutionen sind aufgerufen, Märkte entsprechend zu gestalten.
  3. Nur durch übersektorale Teilhabe lassen sich gemeinsame Ziele definieren und Lösungen für komplexe Herausforderungen finden.
  4. Faire Partnerschaften sind essenziell. Nicht nur die Kosten, auch die Risiken und Gewinne müssen fair verteilt werden – der Stakeholder-Value sollte zur Orientierungsgröße werden.
  5. Verteilung: Alle Wertschaffenden müssen angemessen vom Fortschritt profitieren. Die Teilhabe aller ist eine Voraussetzung einer gerechten Gesellschaft.
  6. Organisationen, vor allem der öffentliche Sektor, müssen Strukturen schaffen, die zum einen Lernprozesse und Kreativität begünstigen und zum anderen Risikoaffinität belohnen.
  7. Es braucht einen neuen Blick auf Finanzen: Diese sind kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur (langfristigen) Schaffung von Werten.
Der Staat ist als Antreiber, Unterstützer und Regelsetzer der ökologischen Transformation gefordert | Foto: Markus Spiske via pexels.com

Für die Autorin ist klar: »Große Herausforderungen sind nur über einen Neuentwurf des Staates zu lösten, der wiederum als Vorbedingung für eine Neustrukturierung des Kapitalismus unter den Vorzeichen von Inklusion, Nachhaltigkeit und Innovation zu sehen ist.« Der Staat ist als Antreiber, Unterstützer und Regelsetzer der ökologischen Transformation gefordert. Ein Blick in die Geschichte lehrt, dass öffentliche und private Akteure sehr wohl in der Lage sind, gemeinsam Großes zu schaffen. Um diese selbstgesteckten Missionen zu erfüllen, muss die öffentliche Hand in ihre eigenen, internen Kapazitäten investieren. Sie muss Kompetenzen wieder aufbauen und das nötige Selbstvertrauen entwickeln, visionär zu denken, sich mit Akteurinnen und Akteuren aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammentun und interdisziplinäre und intersektorale Kooperationen aufsetzen. Der Staat wird seine angestammte Rolle als Problemlöser weiterhin ausüben (müssen), er wird vielmehr auch die Rolle einnehmen (müssen), präventiv und prospektiv gestalten. Märkte gilt es nicht nur zu reparieren, sondern zu gestalten. Nichts macht Politik und Verwaltung so langweilig wie das Wort »verwalten«, wir sollten uns angewöhnen von »Öffentlicher Gestaltung« zu sprechen.

Mariana Mazzucato hat ein faszinierendes und lehrreiches Buch geschrieben. Lehrreich dahingehend, dass einzig der Staat in der Lage ist, jenen Ruck auszulösen, der Gesellschaft und Wirtschaft tatsächlich verändert. Jener Ruck, den die wirtschaftlichen Strukturen in Deutschland unbedingt benötigen, um Deutschland als wohlhabenden Staat in einem wohlhabenden Europa zu erhalten. Wer die Geschichte Deutschlands kennt, mag vor einem anmaßenden Staat, wie er von Mazzucato beschrieben wird, schaudern. Wer um die Wirtschaftsgeschichte der DDR und des Ostblocks weiß, wird ökonomische Ängste vor einem solchen Staat entwickeln. Wer von der Bräsigkeit und digitalen Rückständigkeit öffentlicher Stellen in Deutschland betroffen ist, mag über solche Anmaßungen höflich-pikiert lächeln.

Klar ist: Ein Staat, der den Wohlstand seines Landes erhalten und ausbauen möchte, benötigt einen anderen Zugriff auf Wirtschafts-, Wissenschafts-, Forschungs- und Innovationspolitik als bisher. Interdisziplinäres und intersektorales Zusammenwirken wird den Erfolg unserer Wissensökonomie ausmachen. Die Politik kann es sich in Zukunft nicht mehr leisten, ein für die Zukunft zentrales Ministerium wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit einer Quotenperson zu besetzen. Es muss das zukünftige Königsjuwel jeder Regierung sein. Beherzigt die aktuelle Regierung diese Ratschläge von Mariana Mazzucato, dann ist sie in der Lage, aus den Krisen der letzten zweieinhalb Jahre – Pandemie und Energiekrise – gestärkt herauszukommen und die Transformation der deutschen Wirtschaft anzugehen, die dringend nötig ist. Es geht um viel, es geht um den Wohlstand Deutschlands und Europas. Und eines ist klar: Die wirtschafts- und innovationspolitischen Rezepte der letzten 40 Jahre werden in Zukunft nicht mehr funktionieren. Es ist Zeit für eine European Mission Economy.

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