Autor: Thomas Hummitzsch

Immer wieder Harlem

Der Bildband »125th Street. Photography in Harlem« taucht ein in über fünfzig Jahre Straßen- und Alltagsfotografie in New Yorks berüchtigtem Viertel. Die Bilder erzählen von der Selbstfindung der Black Community in einem Leben im ständigen Widerstand.

Die Zeit steht in »Der schlimmste Mensch der Welt« von Joachim Trier still: Julie (Renate Reinsve) kann es kaum erwarten, ihre große Liebe zu treffen | © Oslo Pictures

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Joachim Trier hat einen grandios lebensbejahenden Film über die Suche nach Erfüllung im 21. Jahrhundert gedreht. Seine Liebeskomödie »Der schlimmste Mensch der Welt« erzählt vom Erwachsenwerden in den 30ern und verhandelt dabei die großen existenziellen Fragen. Getragen von einer umwerfenden Hauptdarstellerin ist dies der schönste Film des Jahres.

Lilith Stangenberg als Fräulein Octavia mit ihrem treuen Assistenten Jacob, gespielt von Alexander Herbst, in »Blutsauger« von Julian Radlmeier | © Grandfilm

Durstige Kapitalisten

In Julian Radlmaiers marxistischer Vampirkomödie werden politische Mythen kongenial als grotesk dekonstruiert. Grundlage des Films ist ein Schelmenroman des russischen Avantgardisten Ilja Ehrenburg. Lilith Stangenberg glänzt in der Rolle einer vom süßen Leben müden Frau von Welt.

Durs Grünbein und Ines Geipel im Gespräch im Pfefferberg-Theater Berlin | Foto: Thomas Hummitzsch

Mit Frankenstein ins All

Die Schriftstellerin Ines Geipel macht sich immer wieder auf die Suche nach den Opfern der DDR-Diktatur. In »Schöner Neuer Himmel« geht es um die Biopolitik in der Weltraumforschung der DDR. In Berlin sprach sie mit dem Lyriker Durs Grünbein über mögliche Menschenexperimente im Wettlauf um die Vormacht im All und das Wegrutschen der Geschichte.

Ellen von Unwerth: "Lana del Rey", 2012 | © Ellen von Unwerth Studios

Weiblicher Blick

Noch bis Anfang Juli ist in Lübeck die Ausstellung »Female View – Modefotografinnen von der Moderne bis zum Digitalen Zeitalter« zu sehen. Dieses Who is Who der internationalen Fotokunst öffnet die Augen für Perspektiven, die die Wirklichkeit nicht ausblenden.

Foto: Thomas Hummitzsch

Zonengabi im Glück

Der in Rostock geborene Autor Gregor Sander folgt in seinem neuen Buch dem Ruf in den Westen. Abseits ausgetretener Pfade reist er nach Gelsenkirchen und trifft dort Menschen, die von den guten alten Zeiten träumen.

Les Années Super 8 | © Majority Production

Cannes zeigt Ernaux-Dokumentation

»Les Années Super 8« hat die französische Autorin gemeinsam mit ihrem Sohn aus privaten Aufnahmen zusammengeschnitten. Der essayistische Film, der ihr umfangreichstes Werk auf die Leinwand überträgt, wird beim Internationalen Filmfestival in Cannes in der kommenden Woche in der Nebenreihe »Quinzaine des Réalisateurs« gezeigt und startet im Dezember in den französischen Kinos. Im Herbst erscheint in Deutschland ein neuer Text der von Annie Ernaux.

Foto: Thomas Hummitzsch

»Es gibt nichts auf- und anregenderes als Sprache«

Mechtilde Lichnowsky ist eine große Unbekannte der deutschen Literatur der 20. Jahrhunderts. Mit der von Hiltrud und Günter Häntzschel liebevoll editierten »Werke«-Ausgabe kann man gut die Hälfte der facettenreichen und sprachlich herausragenden Texte der adligen »Fanatikerin der Prosa« entdecken. Und mit ihnen eine Stilistin ersten Ranges.

Foto: Thomas Hummitzsch

Keine Exil-Autor:innen

Seit 2017 denken Autor:innen, die aus Kriegs- und Krisengebieten geflohen sind, bei »Weiter Schreiben« mit deutschen Schriftsteller:innen über ihr Leben und Schreiben nach. Zum fünfjährigen Jubiläum des Projekts erscheint ein Hörbuch, das beweist, das Literatur ein Überlebensmittel ist. Kurz vor der großen Release-Party konnte ich mit Annika Reich, der künstlerischen Leiterin des Projekts, über die Bedeutung persönlicher Begegnungen, das Ankommen in der deutschen Literaturlandschaft und die traurige Seite des Projekts sprechen.

Dem Weltgeist auf der Spur

Die Reporterin Gabriele Riedle hat einen weiblichen Abenteuerroman über die Abgründe des erzählenden Journalismus geschrieben. Ihr Roman »In Dschungeln. In Wüsten. Im Krieg.« handelt vom Tod des Fotoreporters Tim Hetherington und dem gefährlichen Leben als Krisenreporterin.

Copyright: Thomas Hummitzsch

Eine eiternde Wunde

Die palästinensische Autorin Adania Shibli beschreibt in ihrem virtuosen Roman »Eine Nebensache« nicht nur ein monströses Verbrechen, sondern zeigt, wie die Wunden der Vergangenheit der Gegenwart im Nahen Osten den Stempel aufdrücken. Nadav Lapids aktuelle Filmsatire »Aheds Knie« steht dem nicht nach.

Die Kraft der Magie in dunklen Zeiten

Der georgisch-deutsche Regisseur Alexandre Koberidze erzählt mit großer Lust und in warmen Farben von einer fast unmöglichen Liebe in düsteren Zeiten. Sein Märchen »Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?« ist schon jetzt der zauberhafteste Film der Saison.

Werkausgabe von Jörg Fauser | Foto: Thomas Hummitzsch

Felix Magath der Literatur

Zu Lebzeiten als unkultivierter Schreiberling verkannt, kann man 35 Jahre nach seinem mysteriösen Tod den großen Erzähler Jörg Fauser und seine schonungslos ehrliche Kriminalprosa entdecken. Ein eindrucksvoller und selbstloser Kritiker war er zudem.