Essay, Sachbuch

»War das jetzt Scheiße? Oder war das quasi wahnsinnig, groß und frei?«

1989 schrieb David Foster Wallace ein Buch über die »Antimusik« der damaligen Stunde: Rap. Dieses erscheint nun mit dem vielsagenden Untertitel »Warum Rap, den Sie hassen, nicht Ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit«. Ein Text, der Antwort gibt, ob sich die Lektüre eines 25 Jahre alten Buches lohnt, und eine Zitatensammlung, wie David Foster Wallace 1989 die ihn umgebende Subkultur wahrnahm.

Im Juni 1989 diskutiert der junge David Foster Wallace in Manhattan mit einigen Autoren über Subkulturen in den amerikanischen Großstädten und deren Einfluss auf die wachsende Gewalt. Ein Podiumsteilnehmer stellte dabei Rap, der in den 1980ern als neue Welle der Black Music Bedeutung gewann, als weißenfeindlich, sexistisch und gewaltverherrlichend dar. Wallace, der zu dem Zeitpunkt zwar erst zwei Bücher geschrieben hatte, konterte dieses Pauschalurteil mit einer konzisen Analyse des Genres. Sinngemäß sagte er, dass dieses Genre mit all seinem Lebenshunger, seiner Authentizität und seiner Sprachgewandtheit die Kopfwäsche sei, die Amerika nach der Reagan-Ära dringend nötig habe. Der New Yorker Reporter Lee Smith schlug ihm daraufhin vor, einen Essay zu schreiben; Arbeitstitel: Warum Rap, den Sie hassen, nicht Ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit.

So erzählt es DFW-Freund und Co-Autor Mark Costello im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Signifying Rappers, dem Resultat des angedachten Rap-Essays. Der New Yorker-Redakteur Daniel Max erzählt die Entstehungsgeschichte des Rap-Buches in seiner gerade erschienenen DFW-Biografie Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte etwas anders. Demnach war es die DFWs Freundin Bonnie Naddell, die das Projekt anstieß, nachdem sie sich ein paar Nächte in verschiedenen Clubs mit den beiden Autoren um die Ohren geschlagen haben soll.

Daniel Max
Daniel Max: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte. Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Kemper. Verlag Kiepenheuer & Witsch 2014. 512 Seiten. 24,99 Euro. Hier bestellen

Bleibt das Satzungeheuer des Untertitels, der nun die deutsche Ausgabe des Protokolls der musikalischen Erkundungen ziert, die DFW vor 25 Jahren gemeinsam mit seinem Freund Mark Costello vorgenommen hat. Dabei lenkt der deutsche Untertitel in seiner Fokussierung auf jene, die Rap hassen, vom eigentlichen Anliegen der beiden Autoren ab. Das Duo wollte nämlich die selbstbehauptende Bedeutung des Genres als »schwarze Musik von Schwarzen für Schwarze« aufzeigen. Deshalb geht es in Signifying Rappers auch die meiste Zeit um die Zusammenhänge von Politik und Ästhetik – schließlich stand unter dem Titel der amerikanischen Ausgabe von 1990 noch »Rap and Race In the Urban Present«.

Das ist vom Ansatz her aber fast egal, denn man liest diesen Text 25 Jahre nach seiner Entstehung ohnehin nur, weil DFW für Genialität steht. Dieses Versprechen halten die meist theoretischen Texte aber nur vereinzelt. Auf den Ebenen von Musikästhetik, Sprache, Theatralik, Effekt, Vermarktung und kultureller Rezeption finden die Autoren überall Zeichen – Signifikante, die auf den Sinn hinter den Wörtern, Rhythmen und Posen verweisen. In dem Versuch, diese zu verstehen, tritt immer wieder dasselbe Motiv zu Tage: der Kampf auf der Straße und der Krieg der Symbole in den Clubs sind zwei Seiten einer Medaille. Die Wut und Gewalt der »Antimusik« Rap wirkt dabei gleichermaßen nach innen und nach außen.

Aber die Autoren tanzen eingeschüchtert von der Wucht der Rhythmen der sie umgebenden (Sub)Kultur um das zum goldenen Kalb erkorene Genre. »Die Hölle kennt nicht das Paradox einer Angst, für deren Durchleben wir auch noch zahlen«, schreibt DFW mit Blick auf die Konzerte, die er mit Marc Costello besucht. Dass er sich vorher beraten ließ, in welchem Aufzug man dort am besten auftaucht und mit »schwarzen Grausamkeiten« in der Hinterhand für verrückt erklärt wurde, überhaupt dorthin zu gehen (»Sie sagten, unsere Begleiterinnen würden Gruppenvergewaltigungen zum Opfer fallen, uns würde man zwingen zuzuschauen, und am Ende würde man uns alle unter schallendem, widerlichem Gelächter umbringen.«), liest man aus heutiger Perspektive kurz amüsiert, nach längerem Nachdenken gruselt jedoch der offene Rassismus dieser Vorurteile.

Cover Rappers
David Foster Wallace & Marc Costello: Signifying Rappers. Warum Rap, den Sie hassen, nicht Ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit. Aus dem amerikanischen Englisch von Maria Hummitzsch und Ulrich Blumenbach. Verlag Kiepenheuer & Witsch 2014. 240 Seiten. 12,99 Euro. Hier bestellen

Immer dann, wenn die Autoren das Soziale ebenso wie das Triviale in Beatboxmanier auf höchstem Niveau bis ins kleinste Detail sezieren, hält dieses Buch das DFW-Versprechen des intellektuellen Lesevergnügens. Die Lektüre wird aber zur Last, wenn sich die Autoren zwischen Slang, Detailwissen und pseudoakademischen Diskursen verzetteln. Übersetzer will man dabei nicht gewesen sein. Diese können auch nichts dafür, dass das Untersuchungsobjekt ein fremdes Ding bleibt, denn Foster Wallace und Costello versuchen theoretisch zu ergründen, was faktisch vermeintlich nicht für sie bestimmt ist. Das klingt mal mehr und mal weniger genial, wie man in den am Ende dieses Textes folgenden Zitaten zum Rap lesen kann.

Signifying Rappers dreht die Uhren zurück auf den Sommer 1989, in dem sich zwei weiße Akademiker für ein »Experiment in Musikhören« tausende Stunden Rap reinzogen, während die Hoods explodierten. Auf der Straße spielte sich die Revolte ab, von der Public Enemy, N.W.A., Schoolly D, Flavor Flav, Slick Rick, DJ Jazzy Jeff und De La Soul sprechsangen. Die Stars der Szene gaben mit ihren Songs einen Scheiß auf Syntax, Metrum und alles Regelhafte und hielten dem »Yuppie-Amerika« symbolisch die Wumme an die Schläfe. Man hört noch das Durchladen. Den Knall muss man sich selbst vorstellen.


Zitate zum Rap aus Signifying Rappers von David Foster Wallace und Mark Costello 

  • Der »Rhythmus« liefert, was den Rap grundlegend definiert: Tanzbeats, die dem Körper unbegrenzte Möglichkeiten bieten, rhythmisch vermählt mit komplex betonten Texten, die in Message und Metrum klarmachen, dass die Dinge jetzt nie anders sein können als das, was IST.
  • »Echter« Rap – eine einzigartige amerikanische Großstadtmischung aus Funk, Electro-Reggae, »Hardcore«-Rock von Jugendlichen für Jugendliche und der »Lyrik aus der schwarzen Wirklichkeit« der afroamerikanischen Dichter der frühen 70er wie Nikki Giovanni, The Last Poets etc. – hat, seit er in den späten 70ern von den Platten scratchenden Händen eines Afrika Bambaataa und seiner Zulu Nation, der Sugarhill Gang, Kool Herc und seinen gebieterischen Roboter-Herculords und Grandmaster Flash ausgetragen wurde, seine wahren Wurzeln immer in der ’Hood gehabt, dem Underground schwarzer Gangs, hat aus der Kloake Bäume wachsen lassen. Schwarze Musik von Schwarzen für Schwarze.
  • Zu Rap zu tanzen, fällt Außenstehenden leicht; ihn zu ergründen, fällt schwer, haben Sekundärliteratur zur Rap-Kritik gelesen
  • Denn Rap, ob nun fruchtbar oder steril, ist die einsame Speerspitze aktueller Popmusik, das Neue, das Unbekannte, das sich dem Gehirn entzieht, während der Körper schon mitwippt.
  • Weil Rap sich als synekdochisch präsentiert: seine duale Identität sowohl als Kopf als auch als Körperteil und dass er sowohl zum Publikum als auch für das Publikum spricht, machen einen gewaltigen Teil der Autorität aus, die er in jeder Nummer geltend macht. Und eben weil die
  • Synekdoche ein symbolisch so gewaltig aufgeladener Teil ist, eignet sie sich hervorragend für das begriffliche Aufnehmen, Einschließen und Repräsentieren dessen, wovon sie selbst ein Teil ist.
  • Rap / HipHop ist die tonangebende Kraftlinie dieser Explosion, dieser Anderen Nation mit ihrer eigenen, vielgestaltigen Stimme; eine so beängstigende Ausdrucksform, dass sie Massen zusammenschweißt und anführt. Interessierte Weiße können in günstigen oder unvermeidbaren Augenblicken nur durch ein Fenster starren, dessen kugelsicheres Glas den Blick auf das freigibt, was uns aufatmen lässt, dass da Glas ist. Die Hölle kennt nicht das Paradox einer Angst, für deren Durchleben wir auch noch zahlen.
  • Zu Rap zu tanzen, fällt Außenstehenden leicht; ihn zu ergründen, fällt schwer.
  • Rap ist trotz allem eine Kunstform, wo Scheiße und Wichser und Fotze aus bloßer Gewohnheit Akzente setzen.
  • Rap ein Genre ohne Harmonien und Kontrapunkt, ohne Melodie und mit zweifelhafter Ästhetik.
  • … war Rap / HipHop der erste bedeutende amerikanische Pop, der digitale Aufnahmetechnik und Mischtechnik auch in der Seele, der Komposition von Musik verwendete statt nur als Hochkunstgeste.
  • Der Rapper als Scherzkeks, der listenreiche Seefahrer, der shakespearesche Narr, der pikareske kleine Held, der seinen Scharfsinn und seine Rap-Kreativität nutzt, um stärkere und besser bewaffnete Gegner aufs Kreuz zu legen (hier sind die Feinde immer entweder andere B-Boys oder die Polizei)
  • Kraft, Scharfsinn und formale Raffinesse des Rap sind das, worüber jeder schäbig gekleidete Zuschauer am Fenster ohne Außenseiterstatus einen ästhetischen Zugang zu dieser Musik suchen muss und wird, die laut Selbstdefinition nicht für ihn bestimmt ist. Der draußen stehende Zuhörer muss Rap also nicht nur als Autorität anerkennen, sondern er muss diesen Rap als Geschichte lesen.
  • Rap ist der selbstbewusste Selbstbewusstseins-Loop, an dem universitäre Feministinnen und Dekonstruktivisten ihre kindische Freude haben
  • Rap ist der blutige Pulli.
  • Trotz all der aufregenden formalen Innovationen und Transformationen des Rap besteht seine gewaltige Qualität für uns letztlich darin, dass er das erste Popgenre ist, das sich einer eigenartigen amerikanischen Verzweiflung stellt, einer Verzweiflung, für die populäre Musik, vielleicht populäre Kunst überhaupt, nicht länger ein Palliativ sein kann
  • Der Soft-Rap ist der Lovesong der Postmoderne
  • Rap ist tatsächlich so »schräg«, wie es nur eine Kunstform von nach 1950 Geborenen sein kann: Rap ist ZEITLOS: Das Hier und Jetzt des Raps ist immer hier und jetzt: Eine Musik ohne Futur kann nur unsterblich sein

5 Kommentare

  1. […] Im Sommer 1989 sitzt der 27-jährige David Foster Wallace an einem Text über Produktion und Konsum von Pornographie, als ihm ein anderes Thema in den Schoß fällt. Auf einer Podiumsdiskussion soll er eine flammende Rede zur Verteidigung des Rap gehalten haben, im Sinne von Rapper würden in ihrem Lebenshunger, ihrer Authentizität und Sprachgewandtheit dem postreaganschen Amerika die dringend nötige Kopfwäsche verpassen. Was DFW mutmaßlich sagen wollte, kann man viel besser und ausführlicher in dem Buch Signifying Rappers. Warum Rap, den Sie hassen, nicht Ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit (Kiepenheuer & Witsch. 240 Seiten. 12,99 Euro) nachlesen, an denen jeder seine Freude haben wird, der DFW aufgrund seiner Genialität liest. Die ausführliche Besprechung finden Sie hier. […]

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