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One man in his time plays many parts – Reaktionen auf den Tod von Harry Rowohlt

Harry Rowohlt war Übersetzer, Autor, Kolumnist, Kommunist und der Penner in der Lindenstraße. Schlechte Autoren verdarben ihm den Spaß, von guten Autoren konnte er hingegen nicht genug bekommen. Vielen ließ er die Ehre zuteil werden, ihre Werke selbst einzulesen. Mit Harry Rowohlt verliert die deutsche Literatur- und Übersetzerszene ihren sympathischsten und streitbarsten Knurrhahn. Ulrich Blumenbach, Isabel Bogdan, Ulrich Pröfrock, Martina Tichy, Hinrich Schmidt-Henkel, Maria Hummitzsch, Sylke Hachmeister, Marvin Kleinemeier und Thomas Hummitzsch erinnern sich an »ihren« Harry Rowohlt .

Harry Rowohlt ist tot. Für mich geht ein Lotse von Bord. Ich erinnere mich, in den neunziger Jahren Bücher nicht ihrer Autoren wegen gelesen zu haben, sondern weil Rowohlt sie übersetzt hatte. Es war immer ein Gewinn. Wenige Übersetzer dürften die deutsche Sprache in den letzten hundert Jahren so bereichert haben wie er. Klar war er unbelehrbar. Klar war er eitel. Aber er war hilfsbereit. Und hat nicht damit herumgeprotzt. Kollegen erzählen, er habe ihnen ganze Gedichte für ihre Übersetzungen übersetzt. Und er hat unserem Berufsstand genützt – weil er den Leuten in seinen Kolumnen (die in den Literaturbeilagen der Zeit am Ende sogar Lost in Translation hießen) ebenso wie in seinen Interviews immer wieder eingebläut hat, dass Übersetzer schlecht bezahlt sind. Und Sprüche wie dieser dürften nicht nur bei mir hängengeblieben sein: »Schlechte Autoren vermiesen einem den Spaß am Übersetzen, und den muss man haben, denn Geld bekommt man nicht dafür.«
Ich bin traurig, aber mit dem Barden von Avon gesagt: »We have our exits and our entrances – and one man in his time plays many parts«. Das hat Rowohlt im Wortsinne getan. Er ist Pi mal Daumen fünfzehn Jahre zu früh gestorben, und diese fünfzehn Jahre zu früh müssen wir sein Lebenswerk würdigen. Hans Blumenberg formulierte einmal als kategorischen Imperativ: »Handle so, dass du wünschen kannst, nicht vergessen zu werden.« Das ist Harry Rowohlt gelungen.

Ulrich Blumenbach ist Übersetzer unter anderem von David Foster Wallace, Joshua Cohen und Jonathan Lethem. 2010 gewann er den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse und den Kurd-Laßwitz-Preis. In diesem Jahr erhält er das Zuger Übersetzerstipendium.

Ich hatte vor einigen Jahren den Vorzug, Harry Rowohlt kennenzulernen: Wir hatten eine Signierstunde mit Daniel Clowes und Chris Ware, und da die amerikanischen Kollegen sich gerne sehr früh zurückziehen, saßen wir mit ihrem holländischen Verleger Hansje Joustra, der auch der Verleger und Freund Robert Crumbs ist, noch in einem Lokal, wo sich am Nebentisch plötzlich eine sichtlich freudlose Gesellschaft um Verleger Haffmans, David Sedaris und eben auch Harry einfand. In einer Buchhandlung hatte es parallel eine Lesung gegeben. Ich hatte mich dann erfrecht Harry abzufangen, um ihn mit Hansje Joustra bekannt zu machen – wann treffen zwei der wenigen Freunde Crumbs schon mal aufeinander. Er nahm das begeistert zum Anlass, zu uns überzuwechseln, mit dem Resultat, dass ich mit ihm dann wohl so gegen fünf Uhr morgens den Abend für beendet erklärte. Ein unvergessliches Erlebnis, mit dem Meister mal frei improvisierend Zeit verbringen zu dürfen, und in der Folge auch für eine ihm später demütig überreichte Übersetzung durchaus ein wenig wohlwollendes Lob erfahren zu haben. Der Ritterschlag sozusagen, denn Harry war nun wahrlich nicht der, der einem aus falsch verstandener Höflichkeit Honig hätte ums Maul schmieren wollen.
Faszinierend ist für mich insbesondere sein Briefwechsel mit von ihm übersetzten Autoren, das Frage-Antwort-Spiel zu sprachlichen Details und Interpretationsmöglichkeiten als schlagender Beweis seiner Hingabe und Liebe zur Sache. Wenn es mit dem Begriff wortmächtig denn je eine rechte Bewandtnis hatte, dann wohl bei ihm. Und dass hinter all seiner gern zur Schau getragenen Knurrigkeit eine über die Maßen freundliche und liebenswerte Persönlichkeit steckte… na ja, das hat wohl jeder erfahren, der ihn auch nur ein bisschen kennenlernen durfte. Auszeichnungen gab es für ihn genügend und das mit Fug und Recht. Mir bleibt er als eines der unerreichbaren Vorbilder unvergesslich.

Ulrich Pröfrock ist Buchhändler und Übersetzer zahlreicher preisgekrönter Comics aus dem Französischen und Englischen. Für seine Übertragung des Comics »Quai d’Orsay« von Christophe Blain und Abel Lanzac wird er im Oktober mit dem Christoph-Martin-Wieland-Preis für Übersetzung ausgezeichnet.

Harry Rowohlt, diese singuläre Erscheinung, hat viel dazu beigetragen, dass das Literaturübersetzen als Kunst wahrgenommen wird.

Hinrich Schmidt-Henkel, Übersetzer unter anderem von Céline, Denis Diderot, Tomas Espedal, Michel Houellebecq, Henrik Ibsen, Édouard Louis und Jo Nesbø. Er ist Träger des Paul-Celan-Preises und seit 2008 ehrenamtlicher Vorsitzender des Verbands deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ).

Denke ich an Harry Rowohlt, denke ich an seinen Zottelbart, an quer gestreifte T-Shirts, an einen nahezu kleinen Körper mit einer gewaltigen Stimme. Tief. Brummig. Rauchig. Einnehmend. Als Vorleser einmalig. Ich denke an Die grüne Wolke von Alexander Sutherland Neill, an Die Katzen von Kopenhagen von James Joyce und an Frank McCourts Kindheitserinnerungen Die Asche meiner Mutter, nur drei der vielen deutschen Stimmen des Harry Rowohlt. Ich denke an einen der bekanntesten, begnadetsten und eigenwilligsten Übersetzer. An einen, der das Übersetzen als Sprachkunst erfahrbar gemacht hat. Er war nicht unumstritten, stritt selbst gern. Er hatte eine Haltung, war im besten Sinne eine Persönlichkeit. Poly-Harry. Polyneuropathie. Ich frage mich, was seine letzten Gedanken waren. Ob er am Montag allein war? Und höre ihn aus dem Kinderzimmer meiner Tochter: Tideli-pom.

Maria Hummitzsch, Übersetzerin unter anderem von Carola Saavedra, Shani Boianjiu, Beatriz Bracher, Helen Walsh, Jessica Keener und David Foster Wallace. Sie ist Mitglied im Vorstand des Verbands deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ).

Twitter-Reaktionen

Ich habe kein Verhältnis zu Hörbüchern, hatte ich noch nie. Schon nach wenigen Minuten merke ich, dass ich nicht mehr zuhöre, dass ich mit den Gedanken woanders bin und das Vorgelesene an mir vorbeirauscht. Das einzige Hörbuch, das ich länger als zehn Minuten gehört habe – nämlich komplett von vorne bis hinten, und dann noch mal – war Pu der Bär, übersetzt und gelesen von Harry Rowohlt. Weil es so zauberhaft ist, wie der olle Brummbär dem Bären von geringem Verstand, I-Aah, Ferkel und all den anderen eine Stimme gibt; und wie liebe- und wundervoll sie alle klingen. Harry Rowohlt macht sich über keinen seiner Helden lustig, sie sind alle ganz genau richtig so, wie sie eben sind. Und als Pu eines Morgens aufsteht und feststellt »Heute ist ein guter Tag zum Sachenmachen«, da habe ich laut Hurra geschrien und mir diesen Satz gemerkt.

Isabel Bogdan, Übersetzerin unter anderem von Jonathan Safran Foer, Megan Abbott, Nick Hornby, Miranda July und Tamar Yellin. 2014 wurde sie gemeinsam mit Maximilian Buddenbohm für das Interviewprojekt »Was machen die da?« zur Bloggerin des Jahres gekürt. 2016 erscheint ihr erster eigener Roman »Der Pfau« (hier ein Auszug). Bis dahin bloggt sie weiter unter www.isabelbogdan.de

Mir als Literaturübersetzerin drängt sich da spontan einer seiner Beiträge für Pooh’s Corner. Meinungen und Deinungen eines Bären von geringem Verstand auf (erschienen im Haffmans Verlag: Zürich 1993, S.  52-54). Auf knapp drei Seiten unter dem Titel »Meine Herren. Ich beantrage die Einstellung« fasst dort Harry Rowohlt das Elend des gemeinen Literaturübersetzers so brillant wie eklatant zusammen. Fazit: »Fünf Zeilen in sechs Stunden. Und all das in der schönen Gewissheit, dass man sie wieder umschreiben muss.« Der Mann wird uns fehlen.

Martina Tichy übersetzt unter anderem die Werke von Francis Scott Fitzgerald, Amitav Ghosh, Paul Murray, John Boyne und Lauren Weisberger. Sie ist Mitglied im Vorstand des Verbands deutschsprachiger Übersetzer (VdÜ).

Eine der Anekdoten über Harry Rowohlt, die ich Anfang der Neunziger als Lektorin im Dressler Verlag (dort ist 1987 seine Neuübersetzung von Pu der Bär erschienen) zu hören bekam, ging so: Eine Lektorin hatte Harry Rowohlt ein Buch einer Autorin zum Übersetzen angeboten. Seine Antwort: »Wenn das eine Mausi geschrieben hat, dann kann das auch eine Mausi übersetzen.« Man glaubt die Geschichte sofort, wenn man sich die Liste seiner übersetzten Werke anschaut – weibliche Namen finden sich dort so gut wie keine. Mich haben in jener Zeit über Wochen die von ihm so wunderbar gesprochenen Hörbuchfassungen von Pu der Bär begleitet, immer eine Geschichte nachts vorm Einschlafen (als erwachsene Frau – schließlich ist Pu All-Age-Literatur im besten Sinne). Gestern, als ich von Harrys Tod erfuhr, habe ich meinen Kindern mein Lieblingskapitel daraus vorgespielt, »in welchem Ferkel ein Heffalump trifft«. Und da ist sie ja noch, die alte Brummbärenstimme, die das Ferkel so liebevoll piepsen und I-Ah so melancholisch klingen lässt. Ich hoffe, er hat es gut da, wo er jetzt ist; mit immer reichlich Whiskey für ihn und einem großen Topf Honig für Pu.

Sylke Hachmeister übersetzt unter anderem Stephenie Meyers »Biss«-Serie, Suzanne Collins Weltbestseller »Die Tribute von Panem« und Jeanne Birdsalls Kinderbuchserie »Die Penderwicks«. 2002 gewann sie als Übersetzerin den Jugendliteraturpreis mit dem besten Kinderbuch, 2010 dann gemeinsam mit Collins in der Kategorie Jugendbuch.

Harry Rowohlt zuzuhören versetzte mich in einen rauschartigen Zustand. Ich habe vor ein paar Jahren einige Lesungen von ihm besucht. In einem einzigen Satz von ihm konnte immer alles passieren, deshalb war es so wunderbar, ihm stundenlang zuzuhören; bis die Veranstalter der Lesungen aus rechtlichen Gründen abbrechen mussten.

Marvin Kleinemeier, manischer Vielleser und Verantwortlicher des Blogs www.wilde-leser.de. Wie Rowohlt ist er ganz nebenbei auch noch Werbetexter. Unter dem Künstlernamen Bob Sala ist Kleinemeier auch als Fotograf aktiv.

Robert Louis Stevensons Roman Die Schatzinsel gehört zu den wenigen Büchern, die mich seit meiner Kindheit begleiten. Obwohl, auch das stimmt nicht, es sind eher die Vertonungen des Romans, die mir immer noch im Ohr sind. Jahrzehntelang konnte nichts und niemand die von Dieter Scharfenberg stark eingekürzte Kinderzimmerfassung aus meinem Kopf verdrängen. Hoch und runter leierte die LITERA-Schallplatte in meiner Kindheit. Harry Rowohlt ist mit seiner vollständigen Lesung des von Andreas Nohl neu übersetzten Klassikers gelungen, was zuvor niemand anderes geschafft hat. Er hat nicht nur einen kindlichen Mythos vertrieben, sondern sich zu dem Leser dieses Seemansgarns aufgeschwungen. Niemand wird den brummeligen Seebär Harry Rowohlt von dem Thron der Authentizität vertreiben können, den er mit seiner Stimme jeder einzelnen Figur in Stevensons Figurenkabinett eingehaucht hat, vom mutigen Jim Hawkins und angezählten Billy Bones über den einbeinigen Piraten Long John Silver und den furchtlosen Kapitän Smollet bis hin zu dem schwatzhaften John Trelawny und dem bedachten Dr. Livesey. Die Jagd nach dem Schatz von Kapitän Flint ging niemals so unter die Haut, wie in der von Harry Rowohlt eingelesenen Fassung. Sie bildet nun die Schatzinsel-Kindheitserinnerung meines zehnjährigen Sohnes, der die achtstündige Lesung wie gefesselt verfolgt hat; und danach von vorne anfing.
Dafür und für seine zahlreichen anderen grandiosen Lesungen, darunter auch Pu der Bär, für seine Übersetzungen der Werke von Kurt Vonnegut, Robert Crumb, Francis Scott Fitzgerald, William Kotzwinkle, Alexander Sutherland Neill (hier ein besonderes Danke für die Wiederentdeckung des Rotwelsch) und allen voran von Flann O’Brien, für seinen steten Einsatz für das Werk von Erich Mühsam sowie für die großartigen Meinungen eines staunenden Bären von sehr geringem Verstand in Pooh’s Corner danke ich ihm von Herzen. Allein zu wissen, dass da nichts Neues mehr kommt, lässt mich den Brummelbart und Seebären schon jetzt vermissen.

Thomas Hummitzsch, freier Kritiker unter anderem für das Rolling Stone Magazin, den Tagesspiegel und Kulturaustausch sowie Betreiber dieses Blogs. 

Die letzten Worte an dieser Stelle sollen Harry Rowohlt selbst gehören, auf dass diese Stimme noch lange in unseren Ohren bleibt.

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