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Der Treibstoff der schwarzen Vernunft

»Colored« drinking fountain from mid-20th century with african-american drinking | wikimedia commons

Anders als der US-Präsident bemüht sich Coates nicht mit Euphemismen um Verständnis und Versöhnung. Er nennt die Dinge beim Namen, ohne Furcht, sich an dem heißen Eisen der US-amerikanischen Nation die Finger zu verbrennen. Etwa wenn er Rassismus von der Sklaverei als physische und individuelle Erfahrung spricht und vor Augen führt, dass sie nichts anderes bedeute, als »den Einsatz von Kutschgerten, Zangen, Schüreisen, Handsägen, Steinen, Briefbeschwerern oder was auch immer griffbereit war, um den schwarzen Körper zu brechen, die schwarze Familie, die schwarze Gemeinde, die schwarze Nation.«

Dieser schonungslose Ton erinnert nicht zufällig an die Black-Panther-Bewegung, Coates Vater war darin aktiv. Der Brief ist Coates Mittel, seinen Blick auf die Geschichte der Sklaverei, die Bürgerrechtsbewegung und den Einfluss beider auf seine éducation intellectuelle zu einem Appell an seinen Sohn zu verbinden, der sich an alle Söhne der USA richtet. Er ruft dafür seine eigene Jugend in Baltimore in Erinnerung, in der Schwarzsein bedeutete, »den Elementen der Welt – Schusswaffen, Fäusten, Messern, Crack, Vergewaltigung, Krankheit – nackt ausgeliefert zu sein.« Jede schwarze Familie habe damals ein Kind verloren, an die Straße, an das Gefängnis, an Drogen, an eine Kugel, so dass ihm nichts anderes übrig geblieben sei, als die Kultur der Straße anzunehmen, »eine Kultur, die in erster Linie der Sicherung des Körpers dient.« Nicht gewalttätig genug zu sein habe ihn seinen Körper kosten können, zu gewalttätig zu sein ebenfalls.

Schon in seinen Jugendjahren wendet sich Coates den intellektuellen Vordenkern der schwarzen Emanzipationsbewegung zu. »Vielleicht könnte auch ich diese alte Kraft nutzen, die unsere Vorfahren beseelte, die in Nat Turner lebte, in Harriet Tubman, Granny Nanny, Cudjoe und Malcom X. Vielleicht könnte auch ich so sprechen – nein, handeln –, als gehörte mein Körper mir«, habe er damals gedacht, erinnert er sich. Die Ansprachen von Malcom X, der seit fünfundzwanzig Jahren tot war, wurden von Hip-Hop-Künstlern wiederentdeckt. Sie legten seine Reden über die Breaks oder ließen sein Konterfei in ihren Videos aufblitzen. Der Rapper Ice Cube verkündet auf seinem Album Death Certificate »Let me live my life, if we can no longer live our life, then let us give our life for the liberation and salvation of the black nation.« Dieses Motto, der Black-Panther-Bewegung entnommen, prägte auch Coates Bildungsweg.

Während des Studiums an der renommierten afroamerikanischen Howard University setzte er sich intensiv mit Rassismus-Theorien auseinander und reflektierte sie vor der ihn umgebenden Gegenwart. In diesem Mekka der schwarzen Emanzipation eignet sich Coates die theoretischen Grundlagen an, mit denen er hier die Gegenwart seziert. Vorherrschaft und Ausgrenzung, das begreift er an der Howard, sind die zentralen Motive für »die Überhöhung des Glaubens an das eigene Weißsein«, das »durch Plünderung von Leben, Freiheit, Arbeitskraft und Land; durch das Auspeitschen von Rücken, das Anketten von Gliedmaßen, das Erdrosseln von Andersdenkenden, die Zerstörung von Familien, die Vergewaltigung von Müttern, den Verkauf von Kindern und diverse andere Maßnahmen, die in erster Linie dir und mir das Recht absprechen sollten, in Sicherheit über unseren eigenen Körper zu bestimmen.« Das Stakkato dieser und anderer Aufzählungen ist auch vom Hiphop inspiriert, über dessen Umweg er zur Literatur fand.

Coates ist mit diesen Gedanken nicht allein, Grey’s Atonomy-Star Jesse Williams hielt kürzlich bei der Verleihung des BET Humanitarian Awards eine mitreißende Rede, in der er gleich zahlreiche Argumente von Coates aufgriff. Um nur einen Auszug zu zitieren: »We’ve been floating this country on credit for centuries, and we’re done watching and waiting while this invention called whiteness uses and abuses us, burying black people out of sight and out of mind while extracting our culture, our dollars, our entertainment like oil — black gold! — ghettoizing and demeaning our creations and stealing them, gentrifying our genius and then trying us on like costumes before discarding our bodies like rinds of strange fruit.« (hier die komplette Rede im Video).

11 Kommentare

  1. […] der Shortlist für den Man Booker Prize, Shortlist für den National Book Award und gewann neben Ta-Nehisi Coates Zwischen mir und der Welt 2015 den hoch dotierten Kirkus Prize. Dennoch wurde kaum ein Buch in den USA derart kontrovers […]

  2. […] amerikanische Journalist und Essayist Ta-Nehisi Coates ist spätestens seit seinem bahnbrechenden Essay »Zwischen mir und der Welt« einer der profiliertesten Kritiker des US-amerikanischen Rassismus. In dem als Brief verfassten […]

  3. […] weißen Rassisten, dem der Teenager »verdächtig« vorkam, auf offener Straße erschossen wurde. Der Publizist Ta-Nehisi Coates schrieb nach diesem und anderen rassistischen Morden einen Brief an s…, in dem er von der amerikanischen Tradition sprach, »den schwarzen Körper zu zerstören«. Die […]

  4. […] das man als das Gute erkennt«) und Tomas Espedal mit der Lesart wütender Mütter konfrontiert, Ta-Nehisi Coates Texte an der pazifistischen Ethik Martin Luther Kings und der literarischen Finesse James Baldwins […]

  5. […] Ende der 80er in den USA über die kulturellen Schätze des Westens wild debattiert wurde, soll der amerikanische Romancier Saul Bellow enerviert den westlichen Kanon gegenüber anderen Kultu…. Der ihm zugeschriebene Satz »Wenn die Zulus einen Tolstoi hervorbringen, werden wir ihn lesen« […]

  6. […] zuzulassen. Die Essays des radikalen Humanisten James Baldwin dienten vielen als Vorbild, Ta-Nehisi Coates’ Brief an seinen Sohn »Zwischen mir und der Welt« ist an Baldwins Brief an seinen Neffen »Nach der Flut das Feuer« angelehnt, gleiches gilt für […]

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